„Freundesgruppe“ gegründet Baerbocks Versuch, Orbáns Veto auszuhebeln

Brüssel · Auch zum jüngsten Treffen der EU-Außenminister schickte Ungarn eine Blockade-Drohung zur geplanten Ukraine-Hilfe voraus. Die Provokationen aus Budapest sorgen für zunehmende Verstimmung. Nun startet Bundesaußenminister Annalena Baerbock den Versuch, die Hürde der Einstimmigkeit zu minimieren.

Viktor Orbán am Rande eines Gottesdienstes während der Ungarn-Reise von Papst Franziskus Ende April.

Viktor Orbán am Rande eines Gottesdienstes während der Ungarn-Reise von Papst Franziskus Ende April.

Foto: AFP/VINCENZO PINTO

Sie kam etwas später zum offiziellen Treffen der EU-Außenminister, doch da hatte Deutschlands Ressortchefin Annalena Baerbock eine inoffizielle Runde bereits hinter sich. Sie gab den Startschuss für die Arbeit in einem besonderen „Freundesgruppe“ aus zehn EU-Staaten, die die Fesseln des Einstimmigkeitsprinzips für EU-Beschlüsse lockern wollen. Einer der markantesten Anlässe für diese deutsche Initiative hatte die anderen Länder auch im Vorfeld der Tagung an diesem Montag wieder genervt: Ungarn. Immer mehr sind die andauernden Provokationen von Viktor Orbán leid.

„Niemand zwingt die Ungarn, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, wenn sie sich dabei unwohl fühlen“, gab der tschechische Außenminister Lipavsky in der vergangenen Woche zu Protokoll, nachdem es Orbán mal wieder geschafft hatte, die EU auf übelste Weise zu beschimpfen. Dieses Mal sogar mit einem Hitler-Vergleich. Schon dieser habe von der europäischen Einheit geträumt und sich auf die Idee einer „immer engeren Union“ bezogen, verkündete der ungarische Regierungschef.

Die nicht nur in Tschechien als neuerliche Entgleisung betrachtete Behauptung reiht sich ein in eine Kette von Auftritten, mit denen Orbán die europäischen Werte in Frage stellt. Im November erschien er zu einem Freundschaftsspiel der ungarischen Nationalmannschaft mit einem Schal, der die Umrisse „Groß-Ungarns“ zeigte, also auch Teile von Österreich, Kroatien, Serbien, Rumänien, der Slowakei und der Ukraine. Was ihn geritten hatte, während des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine indirekt die Grenzen in Europa in Frage zu stellen? Es gehe um die Nationalmannschaft „aller Ungarn, egal wo sie leben“, erläuterte er.

Auch die Versuche der EU, sich von der russischen Energie-Abhängigkeit zu lösen, macht Ungarn nicht mit. Orbán ließ EU-Sanktionen gegen die Lieferungen von Öl und Gas aus Russland erst passieren, nachdem darin festgehalten war, dass sie für Ungarn nicht gelten. Inzwischen hat Ungarn mit Russland sogar eine Ausweitung der Liefermengen vereinbart. Dabei weisen Experten darauf hin, dass das ungarische Pipeline-System derart mit polnischen, litauischen und kroatischen Versorgungen verknüpft ist, dass es seine fossile Energie leicht auch außerhalb Russlands beziehen könnte. Es handele sich deshalb ausdrücklich um eine politische Entscheidung. Gleichzeitig stellte Orbán wiederholt klar, dass er den Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshof gegen Wladimir Putin auf ungarischem Staatsgebiet nicht vollstrecken werde - und verlangte eine Aufhebung aller bisherigen EU-Sanktionen gegen Russland.

Deshalb stellten sich die EU-Außenminister vor Beginn ihres Treffens am Montag darauf ein, das elfte Sanktionspaket nur anzudiskutieren, nicht zu einer Entscheidung zu kommen. Auch das Schicksal einer weiteren Hilfstranche für die Ukraine aus der EU-Friedensfaszilität wurde von Budapest in Frage gestellt. Weitere 500 Millionen Euro soll die Ukraine nach der Bedingung Ungarns erst erhalten dürfen, wenn die Ukraine die größte ungarische Bank OTP nicht mehr als „Kriegssponsor“ einstuft. Allerdings hatten zuvor auch schon die USA die russisch-ungarische Internationale Investitionsbank auf ihre eigene Sanktionsliste gesetzt.

„Die Tatsache, dass ein einzelnes Land sein Vetorecht um der Sache selbst willen einsetzen kann, wenn es um die Unterstützung der Ukraine und damit um Frieden und Sicherheit auf dem ganzen europäischen Kontinents geht, ist ebenso knapp wie einfach zu beschreiben: Es ist frustrierend“, meinte der Chef des Auswärtigen Ausschusses des Europa-Parlamentes, David McAllister. Er erinnerte daran, dass das Parlament seit Jahren dafür plädiere schrittweise zu Abstimmungen per qualifizierter Mehrheit überzugehen. Diese seien „das Gebot der Stunde“.

Am Rande des Treffens wies auch Baerbock darauf hin, dass die EU als weltpolitischer Akteur „nicht vorkommt“, wenn weiter das Prinzip der Einstimmigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik herrsche. Das zu ändern, hat sie nun die „Freundesgruppe“ gegründet. Sie will schauen, was die so genannte Passerelle-Klausel in den EU-Verträgen möglich macht. Sie lässt zwar Mehrheitsentscheidungen zu, aber erst nachdem dafür ein einstimmiger Beschluss gefasst worden ist - und zudem die nationalen Parlamente zugestimmt haben. Das kann dauern.

In der Zwischenzeit stellen erste EU-Politiker die EU-Ratspräsidentschaft in gut einem Jahr in Frage. Nach einer intensiven Recherchereise der EU-Haushaltspolitiker nach Ungarn stellte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund zusammenfassend fest, dass eine Haushaltskontrolle dort de facto nicht stattfinde. „Viktor Orbán muss begreifen, dass es EU-Geld nur gibt, wenn er europäische Werte respektiert“, unterstrich Freund. Zeigten die aktuellen Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung, müsse die EU-Kommission den Druck auf erhöhen. „Die Zeit drängt. Schon im Juli 2024 soll Viktor Orbán die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Es kann nicht sein, dass ein nichtdemokratisches Land die Europäische Union führt“, meinte Freund.

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