Jahresbericht der Wehrbeauftragten Mit Tempo viel Geld ausgeben

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, sieht die Bundeswehr gerade mit Blick auf den Ukraine-Krieg bei der Landes- und Bündnisverteidigung stark gefordert und fordert schnellere und einfachere Verfahren bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen für die Truppe.

Eine deutsche Bundeswehr-Soldatin steht zusammen mit ihrem Kameraden bei dem von der Bundeswehr angeführten Nato-Bataillon auf dem Militärstützpunkt in Rukla.

Eine deutsche Bundeswehr-Soldatin steht zusammen mit ihrem Kameraden bei dem von der Bundeswehr angeführten Nato-Bataillon auf dem Militärstützpunkt in Rukla.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Jetzt also der „Ukraine-Schock“. Die Republik ist aufgewacht. Eva Högl spricht von einem „veränderten Bewusstsein“, was Sicherheit und Verteidigung des Landes angeht. Högl, Wehrbeauftragte des Bundestages, ist zur Mittagsstunde in Berlin angetreten, ihren Jahresbericht vorzustellen, während auf Kiew und andere Städten der Ukraine wieder Bomben fallen. Seit bald drei Wochen ist erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges wieder ein Krieg in Europa, bei dem ein Land ein anderes überfallen hat. Die SPD-Politikerin sagt mit Blick auf den Ukraine-Krieg und mögliche Folgen für Deutschland: „Bündnis- und Landesverteidigung ist keine theoretische Diskussion mehr, sondern sehr real.“ Es sind Zeiten, in denen eine einsatz- und verteidigungsbereite Bundeswehr gebraucht werde. Die Bundesregierung hat unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges ein 100-Milliarden-Euro-Programm aufgelegt, mit dem die Bundeswehr in die Lage versetzt werden solle ihren Aufgaben nachzukommen. Neben den Auslandseinsätzen auf derzeit drei Kontinenten eben ihren Kernauftrag: Landes- und Bündnisverteidigung.

Högl, als Wehrbeauftragte gewissermaßen Anwältin der derzeit 184.000 Soldatinnen und Soldaten, bildet in ihrem Jahresbericht „wieder das gesamte Soldatenleben“ ab. Große und kleine Ärgernisse, Dienstvergehen, extremistisches Verhalten, sexuelle Übergriffe, Diskriminierung, Ausrüstungsmängel, überbordende Bürokratie, materielle Defizite in Einsätzen. Aber vor allem macht die Wehrbeauftragte noch einmal klar, was der Soldatenberuf nicht ist: „Soldat oder Soldatin ist kein normaler Job.“ Gerade jetzt, da keine zwei Flugstunden von Berlin entfernt wieder ein Krieg in Europa tobt, betont Högl: „Jetzt ist es sehr konkret, was es heißt, Soldatin oder Soldat zu sein: Dass sie im Zweifel mit ihrem Leben für den Auftrag einstehen.“ Die Wehrbeauftragte verweist in diesem Zusammenhang etwa auf die knapp 1000 deutschen Soldaten, die aktuell in Litauen mithelfen, die Ostflanke der Nato zu verstärken.   

Die SPD-Politikerin sagt mit Blick auf das Ende des Afghanistan-Einsatzes und Amtshilfe in der Corona-Krise: „2021 war das Jahr der Bundeswehr.“ Was erst wird dann aber 2022? Högl freut sich über das Auf- und Ausrüstungsprogramm für eine Truppe, die Nachholbedarf habe – beim Großgerät, aber auch im Kleinen. Sie habe sich bei der Truppe in Mali, in Niger, in Litauen und in vielen Kasernen in Deutschland umgesehen – und dabei den Soldatinnen und Soldaten viel zugehört. Die Mängelliste ist lang: Kälte- und Nässeschutz, Helme, Nachtsichtgeräte und Funkgeräte fehlten, ebenso Boote und Schiffe für die Marine, schwere Transporthubschrauber. Immerhin sei die Tornado-Nachfolge mit der Entscheidung für eine Mischlösung von US-amerikanischer F-35 und Eurofighter nun gefunden.   

Högl ahnt: Es könnte tatsächlich schwierig werden, die 100 Milliarden Euro auch sinnvoll auszugeben, wenn an den „behäbigen Verfahren“ bei der Vergabe von Aufträgen nichts verändert werde. Die Wehrbeauftragte will weg von der sich selbst blockierenden Bürokratie. Dass etwa zur Bestellung einer Flieger-Kombi ein Verfahren in sechs Schritten durchlaufen werden müsse, bis der Pilot endlich seine Kombi habe – ein Irrsinn. „Die endlosen Beschaffungsprozesse der Bundeswehr sind ein Dauerthema der vergangenen Jahresberichte.“ Das Vergaberecht müsse deutlich vereinfacht werden. So soll es künftig etwa möglich sein, Aufträge bis 5000 Euro (bislang bis 1000 Euro) ohne Ausschreibung direkt zu vergeben. Högl rät dazu, auf sogenannte „Goldrand-Lösungen“ möglichst zu verzichten, zu bestellen, was bereits auf dem Markt sei und auch keine Entwicklung „speziell für Deutschland“ anzutreiben.

15.03.2022, Berlin: Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Bundestages, stellt in der Bundespressekonferenz ihren Jahresberichts für 2021 vor. Sie bezeichnet Mängel und materielle Defizite bei den Einsätzen der Bundeswehr als «alarmierend». Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

15.03.2022, Berlin: Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Bundestages, stellt in der Bundespressekonferenz ihren Jahresberichts für 2021 vor. Sie bezeichnet Mängel und materielle Defizite bei den Einsätzen der Bundeswehr als «alarmierend». Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Christophe Gateau

Dann ist sie wieder beim Ukraine-Krieg und der Bündnis- und Landesverteidigung. Die Truppe müsse vor allem ihre „Kaltstartfähigkeit“ verbessern, sieht die Bundeswehr insgesamt aber gut aufgestellt. Sie will in diesen Zeiten ja keine Panik verbreiten. Högl versichert auf Nachfrage: „Wir müssen also alles parat haben, aber die Bundeswehr ist trotzdem einsatzbereit und kann ihre Verpflichtungen in der Nato auch übernehmen.“ Deutschland werde sich im Bündnis nicht alleine verteidigen müssen, müsse sich dafür aber wappnen. Die SPD-Politikerin will – auch im Angesicht des Ukraine-Krieges – die seit 2011 ausgesetzte allgemeine Wehrpflicht nicht wiederbeleben, sondern setzt auf Modelle der Freiwilligkeit, bei denen sich junge Menschen für die Gesellschaft und auch bei der Bundeswehr einbringen könnten. Für eine höhere Verteidigungsfähigkeit will sie auch nun jedes Jahr rund 10 000 Reservisten für den Dienst einplanen – „und zwar mit Material und persönlicher Ausstattung hinterlegt".   

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