Maybrit Illner vor Sachsen-Anhalt-Wahl Warum ist die AfD im Osten so stark?

Düsseldorf · Populismus, Pappkameraden und politische „Randerscheinungen“: Bei Maybrit Illner ging es es am Abend im ZDF nicht zimperlich zu. Der CDU-Generalsekretär flehte trotzdem: „Wir müssen doch versöhnen und nicht spalten.“

 Maybrit Illner diskutiert mit ihren Gästen über die anstehende Wahl in Sachsen-Anhalt und die Rolle der AfD.

Maybrit Illner diskutiert mit ihren Gästen über die anstehende Wahl in Sachsen-Anhalt und die Rolle der AfD.

Foto: Screenshot ZDF

Darum ging es

„Warum wählt der Osten immer noch so anders?“ fragt Maybrit Illner am Abend im ZDF. Gewählt wird in Sachsen-Anhalt zwar erst am Wochenende, aber Umfragen zufolge könnte die AfD dort am Sonntag stärkste Partei werden. Außer über die rechten Populisten diskutieren vier Politiker und eine Journalistin auch über die Werte-Union, Marco Wanderwitz und die CDU nach Angela Merkel.

Die Gäste

  • Gregor Gysi, ehemaliger Fraktionsvorsitzender Die Linke
  • Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AFD
  • Kevin Kühnert, stellvertretender Parteivorsitzender der SPD
  • Melanie Amann, Leiterin des Hauptstadtbüros “Der Spiegel”
  • Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU

Der Talkverlauf

Wer ist Schuld daran, dass die CDU in Sachsen-Anhalt in einen Zweikampf mit der AfD geraten ist, will Maybrit Illner zum Auftakt wissen und Gregor Gysi findet gleich vier mögliche Gründe: Viele Ostdeutsche sähen sich als Verlierer der Geschichte, weil sie unter der sowjetischen Besatzungsmacht gelitten hätten. Zudem sei die DDR eine geschlossene Gesellschaft gewesen, in der viele nie Menschen muslimischen Glaubens kennengelernt hätten. Sie seien bei der Einheit zu Menschen zweiter Klasse geworden und hätten die „gewaltige Arbeitslosigkeit“ nach 1990 als Demütigung empfunden. Die AfD habe das später ausgnutzt und propagiert – nun seien es die Flüchtlinge, die ihnen die Arbeit nähmen, was nicht stimme. Sein Rezept: „Man muss der AfD nicht entgegenkommen, sondern sie widerlegen.“ Der Linke hat noch eine Einsicht mitgebracht: „Früher tat es weh, uns zu wählen, jetzt tut es weh, AfD zu wählen.“ Vielen gehe es vor allem um einen Protest.

Ziemiak wehrt sich gegen den Eindruck, Wählerinnen und Wähler gingen von der CDU zur rechten Partei: „Die AfD hat vor allem im Nichtwählerbereich mobilisiert“, sagt der CDU-Politker und empfiehlt: gute Politik. Als Kevin Kühnert die Standhaftigkeit der CDU gegenüber der rechten Partei anzweifelt, lobt Ziemiak Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff als „Garant für eine klare Politik der Mitte“. Er verspricht eine „vernünftige bürgerliche Politik“. Die Linie, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde, gelte für die gesamte CDU in Deutschland.

Alexander Gauland, gebürtiger Chemnitzer aus dem Nachbarland Sachsen und Ehrenvorsitzender der rechten Partei, klärt über die Befindlichkeiten auf: Es gebe nach wie vor eine „gewisse Arroganz im Westen“, die sich leider fortsetze. Als Argument dafür führt der AfD-Mann Themen wie Gendern oder Identitätspolitik an, sie gingen „über die Köpfe vieler Ostdeutschen weg. Sie haben da das Gefühl, sie werden vorgeführt vom Westen.“

Den vielzitierten Kommentar des Ostbeauftragen der CDU, Marco Wanderwitz, der gesagt hatte, ein Teil der Menschen in Ostdeutschland sei in einer Form „diktatursozialisiert“ und nicht in der Demokratie angekommen, kritisiert Gauland als „ziemlichen Unsinn“. Als Gauland gefragt wird, wie er die Kommentare seiner Wählerschaft und seiner Partei zur „Merkel- und Corona-Diktatur“ sieht, relativiert er minimal: „Wir sind mit der Bundes-Notbremse einen Weg gegangen, der zumindest sehr gefährlich in Richtung einer Diktatur geht.“

Journalistin Amann platzt der Kragen: Es sei „hanebüchener Unsinn“ wenn man sage, es sei eine Diktatur, wenn man über ein im Bundestag beschlossenes Gesetz spreche, das zudem vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde. Eine Diktatur sei kein Begriff, mit dem man „nach populistischem Belieben herumspielen“ könne. Sie beobachte im Osten eher eine „Denkzettelmentalität“, die Anfälligkeit für Populismus, sei auch historisch geprägt. Inzwischen zeige sich, dass Funktionäre der AfD „das DDR-Gefühl anzapften“: etwa wenn Höcke sage, man sei damals „nicht dafür auf die Straße gegangen, um das jetzt zu erdulden“. Höcke selbst, wettert Amann, sei freilich nie auf die Straße gegangen, außer vielleicht bei Neonazi-Demos. Es werde bewußt eine Angst davor geschürt, dass eine Dikatur zurückkommen könnte. Dabei sei es „völlig unverantwortlich, das Wort Diktatur zu benutzen.“

Kevin Kühnert ärgert, dass es vor der Wahl nicht mehr um die Dinge gehe, die das große Flächenland ausmachten: Sachsen-Anhalt stehe auf Platz drei beim Ausbau der Windkraft, wichtig sei die Erschließlung des ländlichen Raumes, „aber wir machen die zum Abstimmungstool für Bundestagswahl.“

Ist Kanzlerin Merkel Schuld am Zustand der CDU? So weitet Illner schließlich das Thema aus und bringt Hans-Georg-Maaßen und den AfD-nahen Chef der Werte-Union Max Otte ins Spiel. Amann fehlt das offene Gespräch darüber, „ob ein Rechtsausleger wie Herr Maaßen da sinnvoll ist.“ Sie stellt sich vor: „Man hätte ja auch mal eine ostdeutsche Kandidatin finden können?“ Merkel habe die Partei in die Mitte gerückt und ihr viele Erfoge beschert, Leute wie Maaßen fühlten sich da nicht mehr wohl und schügen jetzt zurück.

Die „rechten Randerscheinungen“, wie Gauland sie nennt, führen dazu, dass sich nach knapp 50 Minuten im Studio die meisten Gäste gleichzeitig ereifern und durcheinander reden – nur Gauland scheint zu dösen, und der per Video zugeschaltete Ziemiak verharrt im Dauerlächeln. Wir sind eine Volkspartei und sagen sowohl als auch, bringt er hervor und fleht dann fast: „Wir müssen doch versöhnen und nicht spalten.“ Er verspricht, noch mehr zuzuhören und Menschen zu verstehen, und hofft, es gelinge künftig, noch besser zu erklären, was warum entschieden wurde.

Auch Kevin Kühnert wünscht sich für die nächsten drei Monate: „Ich möchte, dass wir einen Wahlkampf ohne Pappkameraden führen.“ Er schlägt vor, die Politik solle sich nicht abarbeiten an Sachen, die niemand gefordert habe oder Lösungen für Probleme anbieten, die keine seien, „sondern präzise über Probleme der nächsten Jahre diskutieren.“

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