Notarztstandorte in Xanten und Rheinberg Wenn im Notfall jede Minute zählt

Xanten/Rheinberg · Die Politik diskutiert am Montag, ob die Notarztstandorte in Xanten und Rheinberg nachts zusammengelegt werden. Das beunruhigt insbesondere Menschen, die schon auf schnelle Hilfe angewiesen waren. Ein Beispiel.

 Franz-Josef Dams.

Franz-Josef Dams.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Als Vera Koppers-Dams an diesem Abend ins Bett gehen will, zählt plötzlich jede Minute. Ihr Mann hat sich schon vor ihr schlafen gelegt, aber es ist kein friedliches Schnarchen, das er jetzt von sich gibt, sondern eine Art beunruhigendes Brabbeln oder Blubbern, und aus seinem Mund läuft Speichel. Seine Frau spricht ihn an, er antwortet nicht, sie versucht es noch einmal, aber es kommt keine Reaktion, also wählt sie die 112 und wartet darauf, dass Hilfe kommt. Immer wieder schaut sie durchs Fenster in die Dunkelheit, in der Hoffnung, dass am Ende der Straße endlich das Blaulicht auftaucht. „In so einer Situation fühlt sich eine Viertelstunde wie eine Unendlichkeit an“, sagt Koppers-Dams.

Es ist der 22. Mai 2020 und nicht das erste Mal, dass sie die 112 wählen muss. Ihr Mann, Franz-Josef Dams, hat schon mehrere Schlaganfälle, Herzinfarkte und andere Notfälle überlebt. An ein Dutzend Einsätze erinnert sich der 70-Jährige. Bisher sei der Notarzt immer rechtzeitig gekommen, sagt seine Frau bei einem Gespräch gut ein Jahr nach diesem Notruf. Aber sie und ihr Mann haben Angst, dass es künftig nicht mehr so sein könnte. Deshalb berichten sie unserer Redaktion von dem Einsatz im Mai 2020.

 Vera Koppers-Dams und ihr Mann Franz-Josef Dams befürchten, dass ein Notarzt zu spät zu ihnen kommen könnte, wenn der Standort nach Alpen verlegt und der Anfahrtsweg dadurch verlängert würde.

Vera Koppers-Dams und ihr Mann Franz-Josef Dams befürchten, dass ein Notarzt zu spät zu ihnen kommen könnte, wenn der Standort nach Alpen verlegt und der Anfahrtsweg dadurch verlängert würde.

Foto: Armin Fischer (arfi)

Sie haben diese Angst, weil im Frühjahr 2021 wieder über die Notarztstandorte in Xanten und Rheinberg diskutiert wird. Wie schon 2018 und 2019. Damals hatte ein Gutachter empfohlen, dass sie nachts in Alpen zusammengelegt werden sollten. Aber nach Protesten aus den betroffenen Städten beschloss der Kreistag, dass die Einsatzzahlen erst noch einmal ausgewertet werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Das ist jetzt geschehen, die Einsätze im Jahr 2020 sind dafür genommen worden. Nach Ansicht des Gutachters waren es zwischen 19 und 8 Uhr zu wenige, um noch länger zwei Standorte zu rechtfertigen. Nun soll die Politik entscheiden, ob aus den beiden Notärzten nachts nur noch einer werden soll, der dann in Alpen stationiert wird. Wenn stattdessen weiter zwei Notärzte rund um die Uhr in Xanten und Rheinberg bleiben sollen, würden Mehrkosten von 250.000 Euro anfallen, sagt die Kreisverwaltung. Und dann müsse die Politik entscheiden, von wem diese Mehrkosten übernommen werden: vom Kreis, also von allen Kommunen, oder nur von den Städten Xanten und Rheinberg.

Eine Entscheidung soll zwar erst im dritten Quartal fallen. Aber am Montag, 7. Juni, befasst sich der zuständige Fachausschuss mit dem Thema. Die Debatte ist also eröffnet. Vera Koppers-Dams hat sich deshalb für das Gespräch mit unserer Redaktion einige Notizen gemacht. Es sind ihre Argumente gegen die Überlegungen des Kreises. Ganz oben hat sie aufgeschrieben, dass es um Menschen gehe und nicht um Fallzahlen. Also nicht um 0,86 Einsätze im Durchschnitt in den Nachtstunden in Rheinberg und 0,81 in Xanten, auch nicht um rund 600 Einsätze im ganzen Jahr in beiden Städten zwischen 19 und 8 Uhr, sondern um Hunderte Menschen, die allein im Jahr 2020 nachts Hilfe brauchten. So wie ihr Mann.

Die Hilfe kam dafür vom Krankenhaus in Xanten, bisher ist dort der Notarztstandort. Die Strecke bis zum Rheindamm in Vynen, wo Franz-Josef Dams mit seiner Frau lebt, schafft ein Autofahrer in 16 bis 18 Minuten, wie die Eheleute mit einem Routenplaner ausgerechnet haben. Hätte der Notarzt dagegen aus Alpen kommen müssen, hätte er 24 bis 25 Minuten bis zu ihnen gebraucht, also mindestens sechs Minuten mehr – und im Notfall gehe es um jede Minute, sagt Vera Koppers-Dams. „Die Randbereiche des Kreises Wesel dürfen nicht ins Abseits geraten“, warnt sie.

Nun macht sich nicht nur der Notarzt auf den Weg, wenn jemand die 112 wählt, sondern auch ein Rettungswagen, in dem Notfall- und Rettungssanitäter fahren. Sie sind von der Debatte nicht betroffen. Die Rettungswachen bleiben in den beiden Städten, auch wenn die Notarztstandorte zusammengelegt werden sollten. Der Rettungswagen wird also weiter aus Xanten oder Rheinberg zum Einsatz fahren. Im Mai 2020 war er auch zuerst bei Franz-Josef Dams, aber die Sanitäter konnten ihm nicht helfen. „Sie wussten keinen Rat und haben den Notarzt nachgeordert“, erinnert sich Koppers-Dams. Der Notarzt sei dann, nachdem er eingetroffen sei, von einem Schlaganfall bei ihrem Mann ausgegangen und habe ihn in ein Krankenhaus bringen lassen. Letztlich wurde eine schwere Sepsis diagnostiziert. 16 Tage blieb Franz-Josef Dams zur Behandlung im Krankenhaus.

Im Rettungsdienstbedarfsplan hat der Kreis Wesel geschrieben, dass „planerisch von einer Eintreffzeit eines Notarztes am Einsatzort von 15 Minuten ausgegangen“ werde. „Wer trägt die Verantwortung bei späteren Ankunftszeiten“, fragt Koppers-Dams. Sie appelliert an die Politik, dass „sich der Kreis Wesel als Solidargemeinschaft zeigen sollte, auch beim Notarztstandort“. Und Koppers-Dams, die sich im Forum Xanten (Fox) engagiert, kündigt an, dass die Wählergemeinschaft „jede Aktivität zum Erhalt des Notarztstandortes in Xanten unterstützen wird“. Und nicht nur sie: Auch andere Parteien, Gruppen und Verbände sprechen sich für den Erhalt der Notarztstandorte aus.

(wer)
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