Lesung im Burgsaal „Wassenberger haben Spaß am Leben“

Wassenberg · Buchautor Wladimir Kaminer las im ausverkauften Burgsaal aus seinem neuen Werk „Die Kreuzfahrer“ – und erzählte darüber hinaus noch viele weitere Geschichten, deren Komik nur das Leben selbst schreiben kann.

 Wladimir Kaminer las nicht nur aus seinem neuen Buch „Die Kreuzfahrer“ im mit 200 Besucherinnen und Besuchern voll besetztem Burgsaal.

Wladimir Kaminer las nicht nur aus seinem neuen Buch „Die Kreuzfahrer“ im mit 200 Besucherinnen und Besuchern voll besetztem Burgsaal.

Foto: Laaser, Jürgen (jl)

Die Stadt gefällt ihm. Die Bewohner dieser Stadt hat er sofort ins Herz geschlossen. Wladimir Kaminer möchte wiederkommen. „Auf dem Weg hierher hatte ich Angst, ob überhaupt jemand zu meiner Lesung kommen würde. Auf den Straßen war niemand zu sehen. Aber jetzt ist es knackevoll“, staunt der bekannte Russendisko-Autor, der auf Einladung der Kunst, Kultur und Heimatpflege gGmbH in Kooperation mit der Bücherkiste sein aktuelles Buch „Die Kreuzfahrer“ vorstellte. Sein Eindruck von den Wassenbergern: „Tagsüber verstecken sie sich, abends besuchen sie Kulturveranstaltungen. Die Leute hier haben Spaß am Leben, das sieht man schon am Getränketisch.“

Der große Burgsaal, den Pächter Jörg Savio zur Verfügung gestellt hat, war komplett ausverkauft. Rund 180 Fans des aus Moskau stammenden Schriftstellers, der heute im Berliner Szene-Kiez Prenzlauer Berg zu Hause ist, waren gekommen, um für zwei Stunden seinen urkomischen Geschichten mit dem trockenen Humor zu lauschen, die den 51-Jährigen seit Jahrzehnten auf einer Erfolgswelle schwimmen lassen.

Schwimmen, ach ja. Schwimmen geht Wladimir Kaminer regelmäßig mit seiner mittlerweile 87-jährigen Mutter. Und zwar in der Schwimm- und Sporthalle Europa-Park. „Schriftsteller mit Mutter“ wird er von den vier Bademeistern mit obligatorischen Trillerpfeifen immer intern genannt, berichtet er schmunzelnd. „Im Schwimmbad trennen sich unsere Wege“, beschreibt er die wöchentliche Verabredung zur sportlichen Aktivität. Kaminer bevorzugt Rückenschwimmen. „Da kann man gleichzeitig Sport treiben und die Menschen beobachten.“ So entstehen seine Erzählungen, aus denen im Lauf der Jahre 25 Bücher entstanden sind.

„Die größte Welle dort war die Flüchtlingswelle“, erinnert sich Kaminer augenzwinkernd an den Besuch von 20 Syrern in Unterhosen, die in ihrer Unterkunft auf dem ehemaligen Flugplatz Tempelhof nicht genügend Duschkabinen hatten und eigentlich nur zum Duschen ins Schwimmbad geschickt worden waren, nun aber sogar den Vorbereitungskurs für Hochschwangere ganz schön aufmischten. Sein versöhnliches, aber unumstößliches Fazit: „Integration klappt eben nicht an einem Tag.“

Auch auf hoher See findet Wladimir Kaminer genug Stoff. „Ich habe für das Buch fünf Kreuzfahrten gemacht“, verrät der Wahl-Hauptstädter die aufwändige Recherche für sein jüngstes Werk „Die Kreuzfahrer“, aus dem er ebenfalls einige Kapitel vorlas. Doch Schiffsreisen mit dem Luxusliner können ganz schön anstrengend sein. Für drei Lesungen hatte ihn die AIDA gebucht. Kaminer wollte sich einen bezahlten Urlaub im Mittelmeer gönnen. Und stellte fest: „Eine Lesung auf einem Schiff kann man nicht vergleichen mit einer Lesung in Wassenberg. Hier gehen Sie anschließend nach Hause. Eine Schiffsreise ist eine 14-tägige Lesung.“ Trotzdem kam er dabei auf seine Kosten: „In zwei bis drei Wochen auf dem Schiff bekomme ich eine solche Fülle an Geschichten, die ich auf dem Festland niemals bekommen könnte.“

„Menschen in Bewegung“ lautet sein übergreifendes Thema, dem er sich im März mit „Ausgerechnet Deutschland“, einer Veröffentlichung über Geflüchtete, bereits gewidmet hat. „Noch nie war Reisen so einfach“, hat er festgestellt. Das Verhalten der Touristen stellte er im September mit dem Erscheinen seines Werks „Die Kreuzfahrer“ in den Mittelpunkt.

Nach der Pause griff der gefragte Autor auf Wunsch einer Hückelhovener Besucherin auf seine Geschichten aus der Zeit als Kleingartenbesitzer an der Spree zurück. „Mein Leben im Schrebergarten“ war aber keineswegs grüne Idylle pur. Kaminer schilderte den Ärger mit der Prüfungskommission des Laubenpieper-Vereins, die ihm „Probleme mit spontaner Vegetation“ vorwarf, wöchentliche Kontrollbesuche durchführte und ihn schließlich zur Kündigung der Parzelle im Grünen an der Bornholmer Straße veranlasste. Das „Rhabarber-Kapitel“ wurde von seinen Wassenberger Zuhörern mit viel Gelächter quittiert. Die Pflanze mit den großen, grünen Blättern, aus der sich eine ominöse, schleimig-grüne Masse kochen lässt, gibt es laut Kaminer in seiner russischen Heimat nicht. „Falls doch, wurde sie zumindest als nicht essbar eingestuft“, lachte er. Rote Vogelbeeren, hierzulande als giftig angesehen, habe er als kleiner Junge zu Hause in Moskau hingegen oft gesammelt und gegessen. In der Nähe des Instituts für Kernspaltung hingen die größten und saftigsten Früchte. „In jedem Land gibt es eine Pflanze, von der die Einheimischen sagen, sie ist lecker, während Fremde sie nicht mögen“, hat er erkannt.

In der Pause und nach der Lesung signierte der weit gereiste Gast Bücher, erlaubt Selfies mit mitgebrachten Handys. Und versprach: „Ich komme wieder. Beim nächsten Mal machen wir da weiter, wo wir heute aufgehört haben. Hier ist es schön. Wassenberg hat schöne Ecken.“ Was ihm besonders gut gefällt: „Ich habe das Gefühl, die Menschen hier kennen sich. Man grüßt sich. Der Pächter der Burg begrüßt jeden Gast persönlich, der Veranstalter klopft jedem freundschaftlich auf die Schulter. Das ist in Berlin nicht so.“

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