Straßennamen in Kaldenkirchen Ein Pfarrer im Visier der Gestapo

Kaldenkirchens reformierte Gemeinde erlebte in ihrer fast 400-jährigen Geschichte bedeutende Pastöre. Nach Johann Melchior, Heinrich Simon van Alpen und Günther Hinnenthal wurden in Straßen benannt.

 Günther Hinnenthal (1903-1945).

Günther Hinnenthal (1903-1945).

Foto: Geschichte der Stadt Kaldenkirchen

Dass nach dem einstigen evangelischen Pastor Günther Hinnenthal „in der katholisch geprägten Stadt Kaldenkirchen“ eine Straße benannt wurde, vermerkt seine Tochter Hedwig mit einem gewissen Stolz und wohl auch mit Genugtuung am Schluss einer Kurzbiografie, die sie zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 2003 erarbeitet hat. Doch so ungewöhnlich ist das nun auch wieder nicht; weil es in Kaldenkirchen eine alte reformierte Gemeinde gibt, wurde diese Ehre auch zwei anderen prominenten reformatorischen Geistlichen zuteil: Die „Johann-Melchior-Straße“ erinnert an den Erbauer der evangelischen Kirche (1672-74), die „Van-Alpen-Straße“ an Heinrich Simon van Alpen, der schon zu seiner Kaldenkirchener Zeit weit in das Rheinland hinauswirkte.

Mit 25 Jahren kam Johann Melchior, der aus Solingen stammte und an den Universitäten Heidelberg, Groningen, Leiden und Duisburg studiert hatte, 1671 nach Kaldenkirchen, nachdem er zuvor schon vier Jahre Prediger in Frechen gewesen war. „Überliefert ist sein außerordentlich pastoraler Einsatz, der gekrönt wurde durch sein Bemühen um den Bau der reformierten Kirche“, schreibt der Historiker Leo Peters in seiner „Geschichte der Stadt Kaldenkirchen“.

Nach der Zerstörung des alten Predigthauses durch ein Feuer wollten die Reformierten schnell wieder Flagge zeigen gegenüber der katholischen Mehrheit in der Stadt. Doch das Herzogtum Jülich erlaubte nur einen Kirchenbau „in der zweiten Reihe“ hinter Predigerhaus und Schule, die gleich an der Straße gegenüber der katholischen Pfarrkirche St. Clemens lagen. So ist die „Hofkirche“ bis heute von der Kehrstraße aus nur durch den großen Toreingang des Gemeindehauses zu erreichen (von hinten her ist seit der Stadtkernsanierung eine autogerechte Anfahrt möglich).

Melchior blieb bis 1677 in Kaldenkirchen, dann wirkte er als Pastor in Düsseldorf, promovierte und wurde Professor für Theologie an der Hohen Schule in Herborn. Auf einem Kupferstich, der der zweiten Auflage seiner „Opera omnia theologica, exegetica, didactica, polemica“ beigefügt wurde, sehen wir einen stattlichen Mann mit vollem Gesicht und wallenden Locken (die auch eine Perücke sein könnten).

Das Gegenteil ist Heinrich Simon van Alpen mit schmaler Nase, hoher Stirn und zum Zopf gebundenen welligen Haaren. Der gebürtige Moerser kam 1784 nach Kaldenkirchen – mit gerade einmal 23 Jahren. Neben seiner Prediger-Aufgabe in Kaldenkirchen und Bracht hatte er genügend Zeit, theologische und historische Bücher zu verfassen.

So erschien ab 1796 in drei Bänden das Werk „Oeffentliche Katechisationen, nebst Predigtentwürfen über den Heidelberger Katechismus, nach den Bedürfnissen unserer Zeit“. Noch heute immer wieder verlegt wird seine „Geschichte des Fränkischen Rheinufers, wie es war und wie es itzt ist“. 1799 wechselte er nach Stolberg, wo er 1830 verstarb. Leo Peters schildert ihn als einen der Aufklärung verpflichteten Mann, der auch ein „glühender Frankreich- und Napoleon-Verehrer“ war. Keine Antwort findet er auf van Alpens Sinneswechsel, der sich 1815 „in atemberaubender Zeit“ von den Franzosen ab- und den Preußen zuwandte.

Da hat Günther Hinnenthal seine Linie durchgehalten. Der Idealismus in der „Wandervogel“-Jugendbewegung regte den gebürtigen Kölner an, Theologie zu studieren. Als Pfarrer wurde er 1930 in Bärweiler bei Bad Sobernheim/Nahe ordiniert. Mit den Nationalsozialisten war er bald über Kreuz, 1934 schloss er sich der „Bekennenden Kirche“ an, einer Oppositionsbewegung gegen die Gleichschaltung der Kirche durch die NSDAP.

In seiner zweiten Pfarrstelle in Meisenheim (1934 bis 1937) kam es zum ersten Eklat: Ein Disiplinarverfahren führte zu einer Strafversetzung, ehe Hinnenthal 1938 nach Kaldenkirchen kam. Auch hier geriet er schnell in den Blickfang der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), deren Akten auf über 100 Seiten anwuchsen. Schließlich wurde er Ende 1943 als Sanitäter zum Kriegsdienst eingezogen; er kehrte nicht mehr heim, sondern starb am 9. Mai 1945 in einem Krankenhaus in Budweis (Tschechien) an den Verletzungem, die er sich tags zuvor bei einem Unfall zugezogen hatte. Das wurde erst viel später bekannt.

Pfarrer Hinnenthal „erfreute sich allgemeiner Beliebtheit über die Konfessionsgrenzen hinweg“, schrieb Leo Peters. Er stand im Kontrast zum katholischen Pfarrer Wilhelm Dederichs, der sich ab 1938 in eine „gefährliche Nähe … zu den braunen Machthabern“ begab (und nach Kriegsende bis 1959 im Amt blieb). Während Dederichs mit der NSDAP kungelte, versuchte Hinnenthal, jüdischen Mitbürgern den Weg in die Niederlande zu ebnen. Er hatte Kontakt mit dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde.

 Blick auf die Günther-Hinnenthal-Straße in Kaldenkirchen.

Blick auf die Günther-Hinnenthal-Straße in Kaldenkirchen.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Hinnenthals Familie – er war seit 1932 mit der Ärztin Elisabeth Pickel verheiratet und hatte fünf Kinder – ist Mitte der 1950er Jahre nach Köln verzogen, hat aber den Kontakt zu Kaldenkirchen nicht verloren. Sohn Martin, zunächst Pfarrer am Niederrhein, später Oberkirchenrat in Darmstadt, predigte 1997 zur 325-Jahr-Feier der Kirche. Die Geschwister Adelheid, Hanna und Gottfried nahmen Ende September 2019 an einer Jubelkonfirmationsfeier teil, zu der auch die Witwe von Martin aus Berlin nach Kaldenkirchen kam.

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