Kripo-Chef im Interview Clans in Köln und Leverkusen – „Der Staat schaut nicht tatenlos zu“

Leverkusen/Köln · Clans und Rocker sind in Köln und Leverkusen aktiv. Was tut die Polizei? Kripo-Chef Stephan Becker im Redaktionsgespräch.

 Stephan Becker, Leiter der Kriminalpolizei in Köln, die auch für Leverkusen zuständig ist

Stephan Becker, Leiter der Kriminalpolizei in Köln, die auch für Leverkusen zuständig ist

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

  Die Kripo war zuletzt sehr erfolgreich beim Schlag gegen einen stadtbekannten Roma-Clan. Dessen Junior-Chef Michael G., genannt „Don Mikel“, wurde nach einem monatelangen Gerichtsverfahren zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt. Der Hintergrund war harte und ausdauernde Ermittlungsarbeit. Kölns Kripo-Chef Stephan Becker verantwortet sie seit fast vier Jahren. Das gleiche gilt für das Vorgehen der Polizei gegen Rockerbanden, etwa in Schlebusch. Im exklusiven Interview gibt der  Leitende Kriminaldirektor, der auch für Leverkusen zuständig ist, Einblicke in die Polizeiarbeit.

Der Fall des Leverkusener Junior-Clanchefs Michael G. und ein langer Prozess gegen ihn sorgte 2019 für Aufsehen. Wie aufwendig waren die Ermittlungen? Angeblich mussten Ihre Beamten  mehr als 700 Konten in rund 70 Banken prüfen.

Becker  Man kann durchaus sagen, dass dieser immer noch nicht abgeschlossene Ermittlungskomplex eines der aufwendigsten Verfahren der Kripo Köln der letzten Jahre war. Wir haben mehr als drei Jahre lang ermittelt in der Stärke eines  mittleren Kommissariats. In der Spitze waren mehr als ein Dutzend Kriminalbeamte beteiligt. Anfangs hatten wir noch keine Vorstellung von der späteren Dimension des Falles. Dass wir dieses schwierige Verfahren erfolgreich bearbeiten konnten, hat vor allem damit zu tun, dass wir  sehr eng, effektiv und gut mit der Staatsanwaltschaft Köln zusammengearbeitet haben. Das gilt übrigens auch für die Zusammenarbeit mit der Stadt Leverkusen. Schließlich ging es auch um Sozialleistungsbetrug. Wir hätten an der Komplexität des Verfahrens scheitern können, denn wer den roten Faden nicht in der Hand behält, kommt nicht zum Ziel. Im Ergebnis haben wir wohl vieles richtig gemacht. Wichtig war es uns, der Leverkusener Bevölkerung ein klares Signal zu geben: Der Staat schaut nicht tatenlos zu.

Warum ist Clan-Kriminalität so schwer zu bekämpfen?

Becker Es liegt an der Struktur der Clans. Sie sind in sich abgeschottet: Wer nicht dazu gehört, kommt auch nicht rein. Es gibt dort strenge Reglements, und sie werden von klein auf gelernt. Das ist durchaus vergleichbar mit Familien der  Mafia –  es gibt auch bei den Clans eine „Mauer des Schweigens“. Wer in Haft geht, ist durch das System abgesichert, ebenso wie seine Angehörigen. Deshalb bekommen wir in der Regel keine Aussagen von Zeugen aus den Clans. Damit fehlt der sogenannte Personalbeweis. Also bleibt uns nur der Sachbeweis – das sind zum Beispiel die Geldflüsse. Unsere einzigen Zeugen sind die Geschädigten selbst, doch das sind meist ältere Menschen mit begrenzten Fähigkeiten, Täter wiederzuerkennen und mit nachlassendem Erinnerungsvermögen. Wenn diese Opferzeugen im Zeugenstand vom Anwalt des Angeklagten hart attackiert werden, können diese Menschen dem nicht immer Stand halten. Die Bekämpfung der Clankriminalität ist eben ein Langstreckenlauf, einen schnellen Erfolg gibt es nicht, Ermittler brauchen einen langen Atem.

Michael G. (re.), genannt Don Mikel, vor dem Landgericht.

Michael G. (re.), genannt Don Mikel, vor dem Landgericht.

Vor gut einem Jahr gab es eine Razzia in einem Rockerclub der Bandidos in Schlebusch. Inzwischen ist es dort ruhig geworden. Täuscht dieser Eindruck?

Becker Nein, der Eindruck täuscht nicht. Den Club gibt es nicht mehr. Anfang 2019 gab es  massive Auseinandersetzungen zwischen den Hells Angels und den Bandidos mit Schwerpunkt in Köln. Es fielen Schüsse. Das war für uns der Grund, die BAO „Rocker“ einzurichten. BAO steht für „Besondere Aufbauorganisation“, in der  zivile und uniformierte Kräfte gebündelt werden. Gemeinsam mit dem  Zoll und der Stadt Köln haben wir begonnen, massiven Druck auf die Rockerbanden auszuüben. Wir haben uns die Shisha-Bars genauer angesehen, davon gibt es einige in Köln. Da ging es dann etwa um unverzollte Zigaretten. Einige der Lokale wurden geschlossen. Andere Bandenmitglieder haben zum Teil erhebliche Schulden bei der Stadt, etwa wegen Steuerausständen oder nicht bezahlten Bußgeldbescheiden. Das Kassen- und Steueramt hat unverzüglich pfänden lassen und teilweise vor versammelter Mannschaft Autos abgeschleppt. Das hat gewirkt. Schüsse auf offener Straße gibt es seither nicht mehr, auch sind Rockerbanden aus dem Straßenbild so gut wie verschwunden. Das war unser Ziel.

Betrugsdelikte gegen Senioren sorgen weiter für Besorgnis, obwohl die Masche etwa des falschen Polizisten bekannt ist, fallen immer wieder ältere Menschen darauf rein. Es soll regelrechte Call-Center von Betrügern in der Türkei geben. Wie nah dran sind Sie an den Hintermännern?

Becker Die Straftaten zum Nachteil älterer Menschen machen uns Sorgen, die Fallzahlen sind im letzten Jahr regelrecht explodiert. In einer Nacht gibt es mitunter über 80 Taten. Die Betrüger machen dabei nicht an Stadtgrenzen Halt. 2019 hatten wir im Polizeibereich Köln/Leverkusen mehr als 4900 angezeigte Taten. Zum Glück bleibt es in rund 99 Prozent der Fälle beim Versuch. Die meisten Senioren legen auf. Tun sie es nicht, machen die Täter mitunter reiche Beute. Eine ältere Frau hat erst kürzlich 10.800 Euro an einem Baucontainer abgelegt. Es hat aber auch schon Fälle gegeben, bei denen sechsstellige Beträge erbeutet wurden. Die Hintermänner sitzen in der Türkei. Wir arbeiten mit den türkischen Kollegen zusammen, doch ist das ein langwieriges Verfahren. Prävention ist bei diesem Phänomen daher besonders wichtig.  Wir sprechen mit den Opfern selbst, den  Angehörigen und  den Banken und Sparkassen, um alle zu sensibilisieren. Da sind wir durchaus  erfolgreich. Vor allem aufmerksame Bankmitarbeiter haben schon oft dazu beigetragen, dass die Opfer nicht um ihre gesamten Ersparnisse gebracht wurden.

Leverkusen grenzt an Köln. Dort gibt es die typischen Erscheinungen von Großstadtkriminalität – und Kriminalität hält sich nicht an Stadtgrenzen. Gibt es Besonderheiten in Leverkusen, etwa bezüglich einer Häufung von Delikten?

Becker Es gibt praktisch keine Aus­strahlung von Köln nach Leverkusen. Die Kriminalitätslage in den beiden Städten ist sehr unterschiedlich. Bei der Kriminalitätshäufigkeit (Straftaten pro 100.000 Einwohner) liegt Köln bei rund 11.600 und Leverkusen bei rund 7300. Das ist ein Riesenunterschied. Die Menschen in Leverkusen leben also relativ sicher. Ein Beispiel ist der Taschendiebstahl. Den gibt es in Köln mit vielen Touristen häufig, in Leverkusen ist er die Ausnahme. Wir hatten in Leverkusen 2019 erneut einen deutlichen einen Rückgang der Wohnungseinbrüche. Mit gut 300 Fällen haben wir die Fallzahlen in den letzten drei Jahren mehr als halbiert. Auch Fahrraddiebstähle und Raubdelikte gehen weiter deutlich zurück. Auch bei der Drogenkriminalität sind beide Städte nicht zu vergleichen. Die meines Erachtens erfreuliche Entwicklung ist einerseits das Ergebnis der hohen polizeilichen Präsenz gerade an neuralgischen Punkten, anderseits der erfolgreichen Arbeit von Ermittlungsgruppen. Wenn es gelingt, professionell agierende Täter festzunehmen und organisierte Banden zu zerschlagen, sinkt die Kriminalität, und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wird verbessert.

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