Kommentar Notizen aus dem Krefelder Corona-Tagebuch

Krefeld · Notiert: Amtsdeutsch war gestern – wie die Stadt über Corona kommuniziert. Kein Bein auf die Erde – was Corona für die Kommunalpolitik bedeutet. Zahnweh und wir – warum Binsenweisheiten wichtig sind.

 Jens Voss

Jens Voss

Foto: Grafik

Kommunalpolitik hat in den letzten Wochen genauso wenig stattgefunden wie  Mathe in der Schule. Es ist die Stunde der Exekutive, die Stunde Frank Meyers. Der Oberbürgermeister ist allgegenwärtig. Die Stadt Krefeld hat klugerweise von Anfang an auf Transparenz gesetzt; die Corona-Internetseite  pflegt einen neuen Stil: kein Verlautbarungsdeutsch, sondern ein betont kommunikatives („Hallo zusammen“), emotional gefärbtes Tagebuch: „Heute sind die Zahlen etwas verwirrend, wir versuchen, das mal verständlich zu erklären. Also, wir müssen euch leider zwei weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Corona melden“, heißt es am Freitag. Dieser Ton ist neu. Frisch. Direkt. Amtsblattdeutsch war gestern. Inklusive Du, „Corona-Puzzle“ und Videos von einem Oberbürgermeister ohne Krawatte: ganz im Arbeitsmodus. Alles aber auch unterlegt mit soliden Zahlen und Informationen.

Andere Kommunen wie  der Kreis Viersen haben Corona eine Weile wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Die Öffentlichkeit schlecht informiert. Auf Nachfragen schleppend geantwortet. Was für ein schädlicher Unsinn. Je mehr die Leute über Corona wissen, desto besser. Und was für eine verpasste Chance für den Amtsinhaber. Denn auch wenn Kommunalpolitik kaum stattfindet, so hat das alles doch politische Bedeutung. OB-Kandidaten wie Kerstin Jensen (CDU) und Thorsten Hansen (Grüne) kriegen zurzeit, fünf Monate vor der Kommunalwahl,  kein Bein auf die Erde, weil es nur ein Thema gibt: Corona.

City und Einkaufsstraßen sind wieder mit Menschen belebt.  Wer in den vergangenen Wochen durch die Innenstadt schlenderte, der erlebte verwaiste Räume, als habe jemand auf einen Aus-Knopf gedrückt. Nebeneffekt: Man konnte begutachten, was auf dem Spiel steht, wenn von verödeten Innenstädten zu lesen ist. Jetzt sieht man: Nur mit Menschen ist eine Innenstadt bei sich selbst. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber es ist wie mit Zahnschmerz: Man weiß, wie er ist, und ist doch aufs Unangenehmste überrascht, wie er ist, wenn er ist. Innenstädte sind Plattformen für Öffentlichkeit, Lebenslust und – auch das – für Freiheit. Nicht umsonst mögen Diktaturen belebte Räume nicht; Kontrolle fällt dann schwer. Die Lust des Flaneurs hat, so gesehen, in der Tiefe auch politische Bedeutung: als Signum für ein freies, friedliches Gemeinwesen. Die städteplanerische Aufgabe, eine Innenstadt zu stützen, gewinnt so an Dringlichkeit. Und Würde. Das Projekt „schöne Innenstadt“ ist aller Anstrengung wert. Wichtig zu merken für die Kommunalpolitik der Nach-Corona-Zeit.

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