Nach der Ministerpräsidentenkonferenz Wirtschaft entsetzt über Corona-Gipfel

Düsseldorf · Die neuen Lockdown-Regeln lösen massive Kritik bei Unternehmern und Gewerkschaften aus. Die Ärztevertreter loben die Entscheidungen derweil als konsequent: Die Zahl der Neuinfizierten pro Woche könne halbiert werden.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, während der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Länder zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, während der Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten der Länder zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie.

Foto: dpa/Jesco Denzel

Einen Tag nach der Sitzung von Bund und Ländern hagelt es Kritik an den Maßnahmen. „Bei unseren Unternehmen im Land herrscht pures Entsetzen über die gestrigen Beschlüsse der Bund-Länder-Runde“, sagte der Präsident von Unternehmer NRW, Arndt Kirchhoff. „Wir können nur dringend davor warnen, mit den ins Auge gefassten Ruhetagen vor Ostern die deutsche Wirtschaft auf Kosten der Unternehmen komplett lahmzulegen. Die finanziellen Schäden und die Auswirkungen auf Prozesse und Lieferketten wären immens.“

Die Länderchefs und die Kanzlerin hatten sich unter anderem darauf verständigt, Gründonnerstag und Karsamstag einmalig zu Ruhetagen zu machen. Details zu möglichen Produktionsschließungen, Fahrverboten oder den Folgen für Operationen müssen noch zwischen dem Bund und den Chefs der Staatskanzleien ausgearbeitet werden. Ein Entwurf wird für diesen Mittwochabend erwartet. Kirchhoff äußerte Zweifel, dass sich die Bund-Länder-Runde in der Nacht über die Tragweite und die Konsequenzen dieses Beschlusses im Klaren gewesen sei, und forderte alle Beteiligten auf, diese Entscheidung zu korrigieren.

Die Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Anja Weber, forderte mehr Details zu den Ruhetagen: „Wir brauchen eine Entgeltfortzahlung für alle. Diejenigen, die dann arbeiten müssen, benötigen Feiertagszuschläge. Ansonsten führt das nur zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft.“ Grundsätzlich seien in dem Schluss die Belange der Arbeitnehmer zu wenig berücksichtigt worden, kritisierte Weber und forderte ein Mindestkurzarbeitergeld oder eine Corona-Prämie. Zugleich verlangte sie ein stärkeres Engagement der Firmen für ihre Mitarbeiter: „Eine Stallpflicht für alle an Ostern ohne Testpflicht für die Arbeitgeber – das kann man einfach nicht verstehen. Die Unternehmen mit einer Selbstverpflichtung derart billig davonkommen zu lassen, ist fahrlässig.“ Natürlich gebe es ganz viele, die das vorbildlich von sich aus anböten. „Aber wenn sich auch nur 30 Prozent der Firmen weigern, dann sind das schon 30 Prozent zu viel.“

Der Bund-Länder-Beschluss enthält zudem schärfere Kontaktbeschränkungen. An den Ostertagen sind nur Treffen des eigenen mit einem weiteren Hausstand erlaubt. „Der Artikel 13 des Grundgesetzes zur Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung bleibt ein hohes Gut“, sagte der Chef der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, Michael Mertens. „Wir werden also nicht den Osterhasen spielen und bei den Menschen ohne Verdacht klingeln, um zu kontrollieren, ob die Kontaktbeschränkungen eingehalten werden. Da brauchen wir schon konkrete Hinweise, um das rechtskonform überprüfen zu können.“ Mertens glaubt allerdings, dass mehr Menschen aufmerksamer hinschauen werden, was bei ihren Nachbarn so passiere. „Die Hinweise werden bei uns auf jeden Fall eingehen und für ein zusätzliches Einsatzaufkommen sorgen.“ 

Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, Roland Schäfer, sagte: „Natürlich können wir nicht überall sein. Aber die Städte und Gemeinden wissen mittlerweile sehr gut, wo sie Präsenz zeigen müssen.“ Die meisten Bürger zeigten sich einsichtig. Wo Menschen aber bewusst Risiken ignorierten und andere gefährdeten, müssten sie mit Konsequenzen rechnen. „Bei einer Party oder anderen Ausnahmefällen werden Polizei und Ordnungskräfte daher auch im privaten Raum Kontrollen durchführen“, so Schäfer.

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag reihte sich ebenfalls in die kritischen Stimmen mit ein. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte: „Harte Maßnahmen sind leider nötig, weil das exponentielle Corona-Wachstum sich nicht von allein stoppt. Aber ich ärgere mich mittlerweile doch sehr, dass es zu diesen Beschlüssen kommen musste und wie sie zustande kommen. Das versteht kaum noch jemand.“ Vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn versage hier auf ganzer Linie, so der SPD-Politiker. „Wir fordern seit Monaten, dass das Testen und das Impfen endlich funktionieren. Stattdessen erleben wir Scheindebatten, wer wo in den Urlaub darf und wann der Supermarkt aufmacht. Das verspielt dringend notwendiges Vertrauen“, so Kutschaty.

Der Ärztepräsident von Nordrhein, Rudolf Henke, nannte die Maßnahmen dagegen konsequenter als die vorangegangenen Beschlüsse. „Sie sind aber auch dringend nötig“, sagte er mit Blick auf die sich ausbreitende Virusmutation.Er begrüßte ausdrücklich die Verschärfung der Notbremse. „Auch unter einer Inzidenz von 100 können die Länder bei einem exponentiellen Wachstum keine Öffnungen vornehmen – ein wichtiger und richtiger Schritt.“

Er räumte zugleich ein, dass viele der Maßnahmen eher einen appellativen Charakter hätten. „Sie können nicht neben 80 Millionen Einwohnern jeweils einen Kontrolleur stellen. Ich bin aber überzeugt, dass fünf zusammenhängende Tage mit verschärften Maßnahmen einen Effekt haben werden.“ Wenn zehn Infizierte nur noch sieben ansteckten, könne man die Zahl der Neuinfizierten pro Woche halbieren. „Mein persönliches Ziel wäre es, dass wir unter eine Inzidenz von zehn kommen“, so Henke. Das sei nicht unrealistisch.

Polizei-Gewerkschafter Mertens warnt unterdessen  vor einem schrumpfenden Rückhalt der Bürger für die Maßnahmen: „Wir stellen inzwischen eine gewisse Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung fest. Auch Menschen, die sich stets diszipliniert an die Regeln gehalten haben, sind nervlich am Ende“, so Mertens. „Wir registrieren auch einen deutlichen Zulauf bei den Demonstrationen der Coronamaßnahmen-Gegner. Da sind nicht mehr nur die Aluhut-Träger unterwegs, sondern zunehmend auch normale Bürger.“ Bislang hätten die Veranstalter vorsorglich 5000 Teilnehmer angemeldet und hätten froh sein können, wenn sie so viele zusammen bekommen hätten. Mit Blick auf die Demo in Kassel sagte Mertens: „Jetzt werden immer noch Demonstration mit 5000 Teilnehmern angemeldet, es kommen aber 20.000.“  Die Kollegen merkten das auch deutlich im Umgang mit den Bürgern. „Wenn es einen wachsenden Vertrauensverlust in die Politik gibt, dann merkt es der Streifenpolizist immer als erster. Die Ansprache wird aggressiver. Wir benötigen deswegen ein klares Ziel. Die Politik darf nicht weiter nach dem Motto verfahren: ,Lauf erst mal los, wir sagen dir dann schon, wenn es vorbei ist.’“

Auch Schäfer registriert die geschilderte Entwicklung bei den Ordnungskräften: „Vor allem die Beschäftigten im Außendienst spüren, dass Frust und Ermüdung in der Bevölkerung groß sind. Die Ungeduld der Menschen kann ich gut nachvollziehen. Doch bleibt die Lage wegen der fehlenden Impfstoffe überaus kritisch, die Zahlen sprechen eine klare Sprache."

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