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Porträt von Integrationsmininster Joachim Stamp Weiche Schale, harter Kern

Bonn/Düsseldorf · Ein Liberaler, der zur Not auch am Rechtsstaat vorbei arbeitet. Wer ist der Integrationsminister Joachim Stamp?

 NRW-Integrationsminister Joachim Stamp.

NRW-Integrationsminister Joachim Stamp.

Foto: dpa/Christophe Gateau

24 Stunden hat er sich Zeit gelassen. Kein Kommentar. Nur keine unüberlegten Worte. So ist er nicht. Lieber bereitet er sich akribisch vor, feilt an Sätzen, studiert die Akten. Wie in diesen 24 Stunden. Am Mittwoch, 16.20 Uhr, erklärt das Oberverwaltungsgericht Münster die Abschiebung von Sami A. für „grob rechtswidrig“. Seine Abschiebung. Und jetzt, 24 Stunden später, kommt Joachim Stamp in das Pressezentrum des Landtags, flotten Schrittes, gut gebräunt und gut vorbereitet. Die Unterlagen unter dem Arm geben ihm Selbstvertrauen. Joachim Stamp ist sich sicher: mehr konnte er nicht tun.

Aber vielleicht war das zu viel. Deswegen ist er hier, weil er erklären muss, ob er, der Liberale, vielleicht auf den Rechtsstaat gepfiffen hat. Ob er, Integrationsminister der Bürgerrechtspartei FDP, dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Termin von Sami A.s Abschiebung bewusst verschwiegen hat. Damit er diesen nervigen Gefährder endlich los wird.

Joachim Stamp verliest an diesem Donnerstag eine Erklärung, selbstbewusst und laut. Ein Mikrofon braucht er nicht. Er sagt Sätze wie: „Versetzen Sie sich mal in meine Lage.“ Oder: „Ich bin anderer Rechtsauffassung als das Gericht.“ Sätze, die Stamp sich zurechtgelegt hat. Sätze, die nur bedingt überzeugen. Stamp, das ist offensichtlich, kann nicht alle Fragen beantworten. An den heiklen Punkten sucht er die Lösung in seinen Unterlagen. Oder guckt zu seinem Staatssekretär Andreas Bothe.

Wie konnte es so weit kommen? Wieso hat einer, den selbst Politiker der Opposition als vernünftig und verlässlich beschreiben, die Grenzen des Rechtsstaats überschritten?

Stamp, geboren 1970 in Bad Ems, wächst im gutbürgerlichen Bonner Stadtteil Röttgen auf, den manche bloß Dorf nennen. Seit seinem sechsten Lebensjahr ist er Anhänger des FC Bayern und der Fußball seine Leidenschaft. „Das kommt in NRW nicht gut an“, sagt Stamp einmal dazu, „aber was soll ich machen?“ Noch heute geht er gerne, wenn es die Zeit zulässt, auf den Bolzplatz des Dorfes. Als vor der WM überwiegende Teile des Stadions Nationalspieler Ilkay Gündogan wegen dessen Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan auspfeifen, zieht Stamp sich ein Gündogan-Trikot über, und lädt das Foto in den digitalen Netzwerken hoch. Stamp ist überaus loyal.

Die Schulpolitik von Johannes Rau ist es, die den jugendlichen Schülersprecher Joachim Stamp politisiert. Mit 17 Jahren tritt er in die FDP ein. Seine Mutter Ursula ist an seiner folgenden Karriere, zunächst in der Kommunalpolitik, nicht unschuldig. Als Kantorin der evangelischen Kirche ist sie weit über die Grenzen Röttgens bekannt. Sie verleiht dem Namen Stamp einen guten Ruf in Bonn.

2004 gewinnt Joachim Stamp mit 34 Jahren als erster Liberaler ein Direktmandat für den Stadtrat. Er arbeitet im Schulausschuss und findet in der FDP nicht nur immer tiefer in seine politische Heimat hinein, sondern auch seine ersten Jobs. Nach seiner Promotion über das Innenleben der Jungen Liberalen arbeitet der Politikwissenschaftler im Büro des damaligen Bundestagsabgeordneten Guido Westerwelle. Stamp entwickelt eine enge Freundschaft zu Westerwelle, der 2016 verstarb.

Als Stamp Referent in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach wird, lernt er Christian Lindner kennen, der die FDP 2017 an die nordrhein-westfälische Macht bringt. Noch kurz vor der Landtagswahl glaubt Stamp selbst nicht daran, dass seine Partei gemeinsam mit der CDU in die Regierung gehen würde. Lindner kündigt da gerade seinen Wechsel nach Berlin an. Joachim Stamp, designierter Nachfolger Lindners, sagt: „Ich will mit der FDP die Opposition anführen.“

Ungewöhnlich: ein Politiker, der mitten im Wahlkampf die eigene Machtoption abräumt. So etwas gibt es, auch wenn nur die wenigsten das öffentlich zugeben. Für seine Oppositionszeiten ein durchaus typisches Verhalten Stamps: Er hält sich zurück, lässt in den Ausschüssen andere neben sich gelten und wartet mit kaum steigerbarer Loyalität ab, welche Pläne sein Boss Lindner für ihn bereithält. Der protegiert Stamp, weil er dessen kommunalpolitische Erfolge achtet.

Auf die Frage, wofür er nachts aufstehen würde, hat Joachim Stamp kürzlich geantwortet: „Zum Plakatekleben.“ Im Wahlkampf 2017 plakatiert er in Bonn-Röttgen das Motto: „Einer von uns.“ Nicht besonders aussagekräftig, aber treffend. Stamp ist seinem Heimatort stets treu geblieben. Er lebt mit seiner Frau Barbie Haller und den beiden sieben und zehn Jahre alten Töchtern nicht weit von Kindergarten und Schule entfernt, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hat.

Stamp fällt nicht oft durch besondere Härte auf. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) widerspricht er in dessen Anti-Asylkurs. Fordert Menschlichkeit ein, Hilfsangebote, ein Einwanderungsrecht. Aber einmal, als Stamp im Untersuchungsausschuss zum Berliner Attentäter Anis Amri den damaligen NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) anklagt, wird er hart. Stamp verlangt dessen Rücktritt. Der damaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ruft er im Januar 2017 zu: „Entlassen Sie diesen Mann.“ Jäger sei eine Gefahr für Nordrhein-Westfalen. Er habe, so Stamp, nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um den Gefährder Amri abzuschieben. Das sollte ihm als Minister nicht passieren, das hat Joachim Stamp sich vorgenommen. Mit aller Härte geht er gegen Gefährder vor, bis „an die Grenze des Rechtsstaats“, wie er sagt. Nicht so weich wie Ralf Jäger.

Dass er weich sei, wird Joachim Stamp nun niemand mehr vorwerfen. Er ist im Fall Sami A. nicht an die Grenze des Rechtsstaats gegangen, sondern darüber hinaus. Das hat ihm das Oberverwaltungsgericht auf elf Seiten bescheinigt. Sein Ministerium, Referat 513 „Extremismus und Sicherheitskonferenz“, wies die Ausländerbehörde Bochum an, dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Termin von A.s Abschiebung nicht zu nennen. „Um Schaden vom Land abzuwenden“, wie seine Staatssekretärin Serap Güler sagt. Oder, wie man auch sagen könnte, um die Abschiebung nicht von der Justiz aufhalten zu lassen.

Der Schaden ist nun da. Am Rechtsstaat, sicher. Am Integrationsminister Stamp auch, sicher. Und am Land, wahrscheinlich.

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