EU-Asylkompromiss spaltet die Ampel-Partei Noch eine Zerreißprobe für die Grünen
Meinung | Berlin · Der EU-Asylkompromiss bedeutet für die Grünen eine Zerreißprobe: Die deutsche Zustimmung sieht für viele Grüne wie ein Verrat an den eigenen Werten aus. Nicht nur Habeck und Co. haben damit ein weiteres großes Problem.
So etwas gibt es nur selten: Unmittelbar nach einer wichtigen EU-Entscheidung reagieren die Doppelspitzen einer Regierungspartei im größten EU-Land tief gespalten. Die Grünen in Deutschland haben mit dem EU-Asylkompromiss der Innenminister ein Problem mehr. Bundesinnenministerin Faeser musste in Luxemburg dem Kompromiss zustimmen, andernfalls wäre er gescheitert. Auf der Strecke blieb dabei aber die vor allem von den Grünen geforderte Ausnahme von Familien mit Kindern bei den geplanten schnellen Prüfverfahren an den EU-Außengrenzen und der Abweisung von Bewerbern ohne Bleibeperspektive.
Die linke Hälfte der beiden Grünen-Doppelspitzen, Parteichefin Lang und die Fraktionsvorsitzende Dröge, reagierte empört und lehnte den Kompromiss umgehend ab. Die rechte Hälfte, Co-Parteichef Nouripour und die Co-Fraktionsvorsitzende Haßelmann, verteidigte dagegen die deutsche Zustimmung. Das taten auch Außenministerin Baerbock und Vize-Kanzler Habeck, ebenfalls dem Lager der Grünen-Pragmatiker zugehörig. Die Grüne Jugend und die Grünen in Europa zeigten sich wiederum fassungslos.
Für die Grünen ist der EU-Kompromiss schwer verdaulich. Menschenrechte und Menschenwürde sind für sie seit der Parteigründung vor gut 40 Jahren ein elementarer Wert, ein Herzensthema. In den geplanten Auffanglagern an den EU-Grenzen – manche beschreiben sie etwas vorauseilend als gefängnisähnliche Einrichtungen – sind keine guten Lebensbedingungen für die Menschen zu erwarten. Vor allem für Familien mit Kindern kann das schlimme Folgen haben. Die deutsche Zustimmung sieht für die Parteilinken wie ein Verrat an den eigenen Werten und Statuten aus. Doch anders wäre nicht erreicht worden, dass sich die EU nach zehnjähriger Hängepartie endlich auf eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten einigt.
Die Grünen steuern damit auf eine Zerreißprobe zu. Auf dem Kleinen Parteitag am 17. Juni werden sich Nouripour, Baerbock und Habeck bösen Attacken erwehren müssen. Dabei sind die Grünen mit dem Heizungsgesetz und den für sie nicht gut verlaufenden Haushaltsverhandlungen ohnehin erheblich unter Druck geraten. Habeck hat alle Hände voll zu tun, das umstrittene Heizungsgesetz noch rechtzeitig vor der Sommerpause durch das Parlament zu bringen. Seine unglückliche Kommunikation und ein nicht ausgereifter Gesetzentwurf hat in der Bevölkerung eine Empörungswelle ausgelöst. Vielen Grünen scheint noch nicht ganz klar zu sein, dass ihnen diese Anti-Stimmung nachhaltig schaden kann.
Hinzu kommen die Haushaltsverhandlungen, bei denen vor allen von Grünen geführte Ministerien drohen auf der Strecke zu bleiben, weil die Regierung Programme für Demokratieförderung oder Umweltschutz kürzen muss. Auch hier haben Baerbock, Habeck und Co. das Problem, dass ihnen die Parteibasis die Unterstützung entziehen könnte.
Die Krise der Grünen ist auch eine Gefahr für Olaf Scholz und die Stabilität der Ampel-Koalition. Bislang hat Scholz darauf geachtet, vor allem die FDP zu stabilisieren. Nun hat er gleich zwei Koalitionspartner, die mehr Unterstützung vom Kanzler und der SPD brauchen, wenn diese Regierung halten soll.