Vor EU-Ministertreffen Beim Asyl steht viel auf dem Spiel
Meinung · Seit Jahren drängt Deutschland die EU-Partner zu einem gemeinsamen Asylsystem. Nun zeichnet sich eine Mehrheit ab, doch in der Ampelkoalition wachsen die Bedenken, mehrt sich der Protest gegen eine Verschärfung, wie eine Mehrheit der Partner sie will. Ein Streit mit Tücken.
Am Donnerstag unternimmt die EU einen weiteren Versuch, zu einer gemeinsamen Linie in der Asylpolitik zu kommen. Dass sich die europäischen Verantwortlichen seit so vielen Jahren derart schwer damit tun, hat natürlich mit den gegensätzlichen Positionierung in jedem Land und zwischen den Staaten zu tun. Zwischen „alle reinlassen“ und „keinen aufnehmen“ müssen vernünftige Kompromisse gefunden werden, die sich einerseits am Leitbild einer humanitären Wertegemeinschaft und der Flüchtlingskonvention zu orientieren haben, andererseits die Aufnahmekapazitäten nicht aus dem Blick verlieren dürfen.
Noch vor gut einem Jahrzehnt versuchte auch Deutschland, sich einen schlanken Fuß zu machen, indem es die Flüchtlingsproblematik als Aufgabe der Staaten mit EU-Außengrenzen ansah. Die machten die Probe aufs Exempel und winkten die Neuankömmlinge zuerst zu Hunderten, dann zu Tausenden, schließlich zu Zehntausenden durch, bis sich Deutschland im Krisenmodus wiederfand. Das Gefühl von Überforderung machte sich breit und verwandelte sich in Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten. Nach einer Phase der relativen Beherrschbarkeit nimmt der Druck seit einem Jahr wieder zu, wird verstärkt durch die Nothilfe für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Zu lange haben die national Verantwortlichen gezögert, nun stehen in vielen EU-Ländern Rechtspopulisten vor wachsendem Einfluss, reibt sich das Publikum auch in Deutschland erschrocken die Augen, da die AfD in Umfragen auf Augenhöhe mit der Kanzlerpartei SPD angekommen ist.
In dieser Lage macht EU-Innenkommissarin Ylva Johansson eine einfache Rechnung auf: Einigen sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Asylpolitik, können alle nur gewinnen, einigen sie sich wieder einmal nicht, werden alle verlieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich unter anderem die Nachwuchsorganisation der grünen Regierungspartei hin und verlangt, die Verhandlungen besser scheitern zu lassen, als den Schutz für Flüchtlinge derart zu verwässern, wie es in ihren Augen die Mehrheit der EU-Staaten vorhat. Sie beschwören das Bild von unter Haftbedingungen lebenden Kindern, die gewaltsam verstoßen werden und meinen damit ein beschleunigtes rechtsstaatliches Verfahren für Menschen aus sicheren Ländern mit solchen Lebensbedingungen, die gewöhnlich keinen Grund für Asyl in Europa liefern.
Es mag ja sein, dass sie mit dieser Einstellung zu Helden ihrer Anhänger werden. Und es ist auch richtig, dass demokratische Parteien grundsätzlich nicht die Sache der radikalen Populisten betreiben dürfen. Doch es hat sich bislang auch immer gerächt, Probleme nicht zu lösen, die immer mehr Menschen als Maßstab ihrer Wahlentscheidung machen.
Natürlich haben die Partner in der Regierungskoalition jedes Recht, in einer auch emotional derart aufwühlenden Frage um ihren Kompromiss zu ringen. Aber sie müssen auch wissen, wie wichtig die Rolle eines überzeugend auftretenden Deutschlands ist, wenn Europa endlich zu einer einheitlichen Asylpolitik finden will, ohne Humanität und offene Binnengrenzen zu verlieren.