Debatte um Vorschlag Brauchen wir eine neue Nationalhymne?

Berlin · Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mit seinem Vorschlag zu einer neuen Nationalhymne eine heftige Debatte ausgelöst. Im Gegensatz zu früher gibt es aber auch milde Töne. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schlägt eine Ergänzung vor.

 Die ersten Töne der deutschen Hymne.

Die ersten Töne der deutschen Hymne.

Foto: Ferl/Martin Ferl

Bodo Ramelow hatte es geahnt. Auch wenn es 30 Jahre her ist, dass die Mauer fiel und die Ostdeutschen im Zuge der Wiedervereinigung sehr viel mehr aufgegeben haben als die Westdeutschen, wird sein Vorschlag mächtig für Aufregung sorgen. Er, der aus Niedersachsen stammende Ministerpräsident in Thüringen, wünscht sich eine neue Nationalhymne. Eine für alle.

Denn viele Ostdeutsche singen nach Ramelows Beobachtung die dritte Strophe des Deutschlandliedes von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben nicht mit. Er selbst singt zwar „Einigkeit und Recht und Freiheit“, hat aber Beklemmungen, weil ihm die Bilder der Nazi-Aufmärsche in den Kopf kommen, die die erste Strophe des Liedes für ihre Kriegspolitik missbrauchten („Deutschland, Deutschland über alles“). Außerdem birgt die erste Liedstrophe nach seiner Einschätzung ewig die Gefahr, von Neonazis instrumentalisiert zu werden.

Die Empörung über den Vorstoß von Ramelow, der der einzige Ministerpräsident der Linken in Deutschland ist, ist erheblich. Aber es mischen sich nachdenkliche Töne in die Debatte. Insofern hat sich in den vergangenen Jahren womöglich doch etwas geändert. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) denkt inzwischen laut darüber nach, dass es wohl doch die eine oder andere Errungenschaft in der DDR gab, die nach der Wende vorschnell aufgegeben wurde. Der langjährige Vorsitzende der Linken, Gregor Gysi, formuliert es immer so: „Der Westen konnte nicht aufhören zu siegen.“ In Ostdeutschland sei selbst die gut funktionierende Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung plattgemacht worden. Jetzt, 30 Jahre später, fange man an, das wieder aufzubauen.

Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bezweifelt, dass die Ostdeutschen ein Problem mit der Nationalhymne haben. Trotzdem hat er hat einen Vorschlag: „Ich könnte mir vorstellen, die Hymne ergänzen zu lassen, um eine zweite und dritte Strophe, geschrieben von zeitgenössischen Dichtern“, sagt er dem Nachrichtenportal „t-online.de“. Der sächsische Linksfraktionschef Rico Gebhardt nennt die Diskussion „überfällig“ und spricht sich für die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht als Ersatz für die Nationalhymne aus. Diese entspreche „einem aufgeklärten Heimatverständnis, das keinen Platz für Nationalismus und übersteigerten Patriotismus lässt“, sagt Gebhardt. Die „Kinderhymne“ anstelle beider Nationalhymnen hatte in der Wendezeit schon der Runde Tisch der DDR erfolglos vorgeschlagen.

Die neue FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagt, es brauche keine Veränderung. „Hymne und Flagge sind Teil unserer Freiheitsgeschichte in der Tradition der Revolution von 1848. An Einigkeit und Recht und Freiheit ist nichts überholt. Mit dieser Tradition sollten wir nicht brechen, sondern uns gerade auf sie besinnen.“ Deutschland brauche etwas anderes Neues: „Ein großes gesamtdeutsches Gespräch über den Stand der Deutschen Einheit.“ Der Ärger in der Union ist größer. „Wenn Herr Ramelow von den SED-Nachfolgern der Linkspartei ein Problem mit Einigkeit und Recht und Freiheit hat, dann sollte er seine Haltung überdenken, aber nicht unsere Nationalhymne ändern“, sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume. Und der innenpolitische Experte der Unionsfraktion, Philipp Amthor, findet Ramelows Idee „überflüssig und spalterisch“. Die Nationalhymne stehe für Einigkeit, Recht und Freiheit und vor allem auch für die glücklichen Momente unserer Nation. „Wir brauchen keine neue Hymne, sondern einen unverkrampften Umgang mit einem Patriotismus im besten Sinne.“ Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, sagt: „Es gibt keinen besseren Text, der mir im Sinne eines breiten gesellschaftlichen Konsenses einfallen würde.“

Der frühere Berliner Kultursenator Christoph Stölzl (CDU) setzt auf die Zeit. Die Generation seit 1989 kenne das Lied als ganz normale Hymne, sagte er dem Südwestrundfunk. Viele Ostdeutsche könnten sich mit der Hymne identifizieren: „Es ist nicht die westdeutsche Hymne gewesen, sondern es war die Hymne der Weimarer Republik.“ Und: Die jungen Menschen hätten „vermutlich nicht so viele Bilder im Kopf, die Herr Ramelow als historisch gebildeter Mann präsent hat“.

Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald beschreibt eine Nationalhymne als „nationales Bindemittel“. „Alle singen für eine Minute denselben Text, ein sanglicher Gleichklang entwickelt sich.“ Eine neue Nationalhymne könne aber nicht verordnet werden. In der aktuellen Situation in Deutschland würde man mit einer Neuerung seiner Ansicht nach auch die Stabilität aufgeben, die die Nationalhymne gibt. „Wenn es uns aber gelingt, eine Aufbruchstimmung und eine neue Gesinnung zu entwickeln, dann sollte das auch musikalisch untermauert werden.“ Grünewald sagt, dass die Deutschen immer auf der Suche nach sich selbst seien. Das hänge mit der Geschichte zusammen. Denn als Volk im Herzen von Europa seien die Deutschen ungeheuren Einflüssen ausgesetzt. Die Folge sei ein ewiger Unruhezustand. Grünewald: „Da sind wir Deutschen froh, wenn es Momente wie bei der Nationalhymne gibt, in denen wir zeigen können: Wir sind da.“

(jd)
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