Asylstreit Seehofers Realitätsverlust

Berlin · Fast wäre die Bundesregierung an einer Forderung des Innenministers zerbrochen, die jetzt auf einmal keine Rolle spielt.

 Horst Seehofer am Donnerstag bei Österreichs Kanzler Kurz.

Horst Seehofer am Donnerstag bei Österreichs Kanzler Kurz.

Foto: dpa/Hans Punz

Horst Seehofer ist wendig. Man kann gar nicht so schnell gucken, wie er sich drehen kann. Gerade noch zeigte er sich entschlossen, für die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze im nationalen Alleingang die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft zu sprengen, die Kanzlerin zu stürzen und selbst zurückzutreten. Erst im allerletzten Moment wurde das mit einem Drei-Punkte-Plan verhindert. Und zwar nur, weil Angela Merkel sich strikt weigerte, mit einseitigen deutschen Maßnahmen gegen europäisches Recht zu verstoßen, und schließlich diesen Kompromiss unter Ziffer 3 zustande brachte: „In den Fällen, in denen sich Länder Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung verweigern, findet die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich statt.“ Sie war es, die im Geiste europäischer Zusammenarbeit durchgesetzte, dass „nicht unabgestimmt“ gehandelt wird.

Nun sollte Seehofer Österreichs Kanzler Sebastian Kurz von der ÖVP die immerhin abgespeckte Form ins Gesicht sagen und das hört sich dann so an: „Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die Sie nicht zuständig sind, weil dafür Griechenland und Italien zuständig sind. Das kann ich für heute, war auch nie beabsichtigt, und auch für die Zukunft ausschließen.“ Wie bitte?

Der deutsche Innenminister hat sein Land und Europa mit seiner Forderung wochenlang in Atem gehalten und findet nach dem Gespräch mit Kurz dafür keine Worte mehr. Der hat, wenig überraschend, nicht das geringste Interesse daran hat, solche Flüchtlinge zurückzunehmen. Erleichtert erklärt Kurz, dass es keine Maßnahme der Deutschen zum Nachteil Österreichs gebe werde. Und siehe da, Horst Seehofer sagt, das sei „nie beabsichtigt“ gewesen. Mit staatstragender Miene verkündet er die Anwendung einer uralten Regelung als Erfolg, dass jene Migranten in die EU-Staaten zurückgewiesen werden würden, wo sie zuerst einen Asylantrag gestellt haben. Es geht vor allem um Italien und Griechenland, mit denen nun Vereinbarungen getroffen werden sollen. Ziel ist, die „Südroute“ für Flüchtlinge zu „schließen“, wie Seehofer sagt. Um ein Abkommen mit der italienischen Regierung und dem rechtsgerichteten Innenminister Matteo Salvini hinzubekommen, müsste Seehofer etwas mutiger werden. Er denkt sich das aber anders: Merkel soll die Arbeit machen. Denn wegen der „Komplexität und der europäischen Dimension“ müssten am Ende die wichtigsten Punkte der europäischen Asylpolitik von den Regierungschefs fixiert werden, sagt er. Seehofer kommt aus Bayern. Europäisch gesehen eine Provinz. Insofern hat er Recht, lieber die Europäerin Merkel machen zu lassen. Leider hat er das in den Berliner Chaostagen nicht verstanden. Und man darf bezweifeln, dass er überhaupt noch den Überblick hat.

(kd)
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