Ankerzentren Wie aus mehr Abschiebungen weniger wurden

Berlin · Warum sich die „nationale Kraftanstrengung“ der Kanzlerin für mehr Abschiebungen ins Gegenteil verkehrt, lässt sich am Tauziehen um die verabredeten Ankerzentren für bessere Asylverfahren erkennen.

 In einem Transitzentrum für Asylsuchende in Bayern unterhalten sich Männer und Frauen vor einem Wohngebäude (Archivbild).

In einem Transitzentrum für Asylsuchende in Bayern unterhalten sich Männer und Frauen vor einem Wohngebäude (Archivbild).

Foto: dpa/Stefan Puchner

Manches kann man nicht oft genug sagen. So wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankündigung einer „nationalen Kraftanstrengung“ bei den Rückführungen abgelehnter Asylbewerber. Sie tat es im Oktober 2016 beim Deutschlandtag der Jungen Union, im Januar 2017 beim Beamtenbund in Köln und im Februar 2017 nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten in Berlin. Passiert ist das Gegenteil. Die Zahl der Abschiebungen sank von 2016 bis heute von 2114 auf 1933 im Monatsschnitt. Die durchschnittliche Zahl der freiwilligen geförderten Rückkehrer sogar von 4500 auf 1135 im Monat. Der Grund scheint vor allem darin zu liegen, dass es bei den ineinander verschränkten Zuständigkeiten nicht rund läuft. Beleuchten lässt sich das im Umgang mit den verabredeten Ankerzentren.

Der Begriff Anker suggeriert, einen Halt im Umgang mit der Flüchtlingsbewegung gefunden zu haben. Die Bürokratie schreibt das Wort anders: ANkER. Denn es steht für ein Asylverfahren bei dem Aufnahme, Entscheidung und Rückführung von allen beteiligten Behörden unter einem Dach abgewickelt werden. Darum gab es in den Sondierungen und Koalitionsverhandlungen ein langes Tauziehen. Der erste Entwurf vom Januar 2018 enthielt noch den Zusatz, dass in diesen Zentren „Residenzpflicht herrscht“ und das „Sachleistungsprinzip gilt“. In der finalen Fassung vom Februar war beides verschwunden. Dem Vernehmen nach hatte Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius großen Einfluss auf die letzte Formulierung. Unions- und SPD-regierte Länder schienen sich somit über den schwarz-roten Koalitionsvertrag zusammengerauft zu haben.

Doch schon letzten Sommer beschwerte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dass außer Bayern mit sieben Ankerzentren sowie dem Saarland und Sachsen mit jeweils einem, keiner das verbindlich vereinbarte Projekt mitmachen will. Nicht einmal Pistorius hält sich an die selbst mit ausgehandelte Verabredung. „In Niedersachsen ist kein sogenanntes Ankerzentrum eingerichtet“, meldet das Innenministerium. Dort ist man sehr zufrieden mit den Abläufen in den bestehenden Ankunftzentren, wo die „Landesaufnahmebehörde gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Aufnahme, Registrierung, medizinische Erstuntersuchung durchführt“.

Ein solches Ankunftszentrum ist also ein Ankerzentrum ohne Betonung auf dem R. Die Rückführung steht zwar auch auf der Agenda der Behörden. Doch anders als in den klassischen Ankerzentren wird sie nicht automatisch jederzeit mitgedacht. In Bayern sammeln die Behörden im Laufe des Verfahrens bereits Hinweise, wie sie bei einem negativen Ausgang zügig Passersatzpapiere für die Abschiebung bekommen können.

SPD-Innenexpertin Eva Högl hatte auf Seehofers Vorhaltungen mangelnder Unterstützung mit einer Gegenforderung reagiert. Die SPD warte „sehnsüchtig“ auf ein Konzept des Ministers. Es sei grundsätzlich richtig, dass alle im Asylverfahren relevanten Behörden an einem Ort zusammenarbeiten sollten. „Das funktioniert mittlerweile auch sehr gut, was jetzt noch dazu kommen soll, ist die Rückführung.“ Die Zahlen zeigen, dass es daran weiter mangelt.

Dabei kommt Seehofer unterhalb des öffentlichen Wahrnehmungsradars langsam voran, seit er nicht mehr auf das Türschild achtet. Sein Staatssekretär Helmut Teichmann kann mit den Länder-Kollegen nicht nur über „Ankerzentren“, sondern auch über „funktionsgleiche Einrichtungen“ verhandeln und dann jeweils Verwaltungsabkommen So hat er nun fünf Länder mit 13 faktischen Ankerzentren im Boot, Ende Juli kommt Brandenburg als sechstes mit dem 14. Zentrum dazu.

„Bund und Länder können Aufnahme, Verfahren und Rückführung nur gemeinsam schnell und effektiv schaffen, das bestätigt sich in den Anker-Einrichtungen“, lautet Teichmanns Bilanz. Seine Statistiken sind eindeutig: Die Zeit zwischen Asylantrag und Anhörung konnte in den Zentren von 20 auf elf Tage, die Gesamtdauer der Verfahren von durchschnittlich 3,1 auf 1,7 Monate gesenkt werden.

Innenstaatssekretär Günter Krings, zugleich CDU-Niederrhein-Bezirkschef, kann sich deshalb „sehr gut vorstellen, das Konzept auch in NRW zu pilotieren“. Im Bundesinnenministerium gab es tatsächlich Signale, dass NRW an die Erstaufnahmeeinrichtung in Mönchengladbach als Standort für solch ein Pilotprojekt denkt. Auch Bonn und Bielefeld scheinen dafür geeignet. Doch das zuständige Migrationsministerium von Joachim Stamp (FDP) dementiert nachdrücklich. Davon sei nichts bekannt. Wörtlich: „In Nordrhein-Westfalen ist weder ein ,Ankerzentrum‘ noch ein vergleichbares Pilotprojekt in Planung.“

Neben ideologischen Problemen, wie in anderen Ländern, könnten hier auch persönliche Animositäten im Spiel sein. Stamp ist nicht gut auf Seehofer zu sprechen, seit der auf Stamps Forderung nach einem Migrationsgipfel nicht reagiert. Mehrfach forderte der FDP-Landesminister bereits die Entlassung des CSU-Bundesministers. Da dürfte Seehofers Ankerzentrum ein rotes Tuch für den Liberalen sein.

So kommt denn wieder die Überlegung von Seehofer-Vorgänger Thomas de Maizière in den Blick: Der versprach sich einen Durchbruch zur Ordnung von Verfahren und Abschiebungen, indem der Bund eigene Aufnahmeeinrichtungen etabliert. Das wäre angesichts der Zuständigkeiten für die Verfahren und die Verhandlungen mit den Rücknahmeländern nur logisch. Nach den Erfahrungen mit den Ankerzentren aber wohl illusorisch. Und so dürfte die „nationale Kraftanstrengung“ weiter hinter sinkenden Abschiebezahlen verschwinden.

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