Untersuchungsausschuss zur Ahrflut „Wir waren nicht beunruhigt“

Mainz · Vertreter der Landesbehörden geben im Mainzer Untersuchungsausschuss an, dass bei der Ahrflut im Juli Schlimmeres verhindert werden konnte. Ein Kieler Krisenforscher übt jedoch Kritik am früheren Landrat Pföhler und der ehemaligen Umweltministerin Spiegel.

 Der Abgeordnete Martin Haller (SPD, M) sitzt bei einer Zeugenbefragung als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal im rheinland-pfälzischen Landtag. (Archivfoto).

Der Abgeordnete Martin Haller (SPD, M) sitzt bei einer Zeugenbefragung als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal im rheinland-pfälzischen Landtag. (Archivfoto).

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

An der Ahr geht am späten Abend des 14. Juli 2021 die Welt unter – doch die Landesregierung hat es nicht mitbekommen oder völlig falsch eingeschätzt. In der Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im rheinland-pfälzischen Landtag geht es an diesem Freitag darum, wie das Landesinnenministerium und die Ministerpräsidentin mit der heraufziehende Katastrophe umgegangen ist.

Gegen 22.15 Uhr am 14. Juli hat die damalige Altenahrer Verbandsbürgermeisterin Cornelia Weigand im Landesamt für Umwelt angerufen und von schwimmenden Autos berichtet, dass Häuser bis zum ersten Stock überflutet seien, dass Menschen aus Häusern gerettet werden müssten und dass die Ahr bei einem Pegelstand von sechs Metern stehe. Umweltstaatssekretär Erwin Manz sagte dazu vor vier Wochen, dass er dies seiner Ministerin Anne Spiegel gesagt und per Mail Innenstaatssekretär Randolf Stich mitgeteilt habe. Nicht viel später sei er schlafen gegangen. Spiegel selbst hat danach ihrer Aussage zufolge auch nichts weiter unternommen.

Stich wiederum hat diese Mail am Abend des 14. Juli „wahrscheinlich gar nicht mehr gelesen“, wie er am Freitag in seiner Vernehmung sagt. „Aber auch wenn ich sie wahrgenommen hätte, wäre es für mich kein Anlass gewesen, aktiv zu werden.“ Er habe den Eindruck gewonnen, dass der Katastrophenschutz aktiv gewesen sei, die Koordinierungsstelle der ADD gearbeitet habe, „und wir hatten keine Kenntnis von dem, was an der Ahr los war“, sagt Stich.

Von Prognosen über Pegelhöhen, die weit über die bisherigen hinausgingen (2016: Jahrhunderthochwasser 3,71 Meter in Altenahr) habe er nichts gewusst. Mehrfach sagt Stich in seiner Vernehmung: „Wir waren nicht beunruhigt.“

Ähnlich äußert sich danach Innenminister Roger Lewentz. Ausführlich spricht er über seinen Besuch in der Technischen Einsatzleitung in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Gegen 19.20 Uhr sei er dort angekommen und von Landrat Jürgen Pföhler empfangen worden. Er habe eine Lageeinweisung durch Pföhler und den Brand-  und Katastrophenschutzinspekteur, Michael Zimmermann, erhalten. „Ich wusste aber an diesem Abend und an den ersten Tagen nach dem 14. Juli nicht, dass Pföhler die Einsatzleitung an Zimmermann übertragen hat.“

Lewentz betont, was er auch schon in mehreren Interviews gesagt hat, dass er eine ruhig und konzentriert arbeitende sowie funktionsfähige Einsatzleitung vorgefunden habe. „Man hat sich auf ein starkes Hochwasser vorbereitet“, eine Sturzflut sei aber kein Thema gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei man von einer Wasserhöhe von vier Metern ausgegangen. Das habe man dort als beherrschbar angesehen. Um Warnungen an die Bevölkerungen sei es keineswegs gegangen.

Der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) fragt, ob man in der Einsatzleitung denn Infos gehabt habe, dass ahraufwärts schon Häuser überschwemmt waren? Lewentz sagt, er wisse es nicht. Wenn dem so gewesen sei, wäre das bei einem 100-jährlichen Hochwasser auch nichts Ungewöhnliches, fügt er hinzu. Dass daraus diese Katastrophe geworden sei, habe man überhaupt nicht absehen können.

Um 19.45 Uhr machte sich Lewentz eigenen Angaben zufolge zurück in sein Homeoffice nach Kamp-Bornhofen. „Auch optisch war nichts erkennbar, was auf Hochwasser hindeuten würde, die Brücken waren nutzbar“, so Lewentz in seiner Vernehmung.

Dann geht es um den Anruf Weigands. Nein, der sei ihm nicht bekannt gewesen, sagt der Innenminister. Erst um 23.04 Uhr habe er erste Hinweise erhalten über Schäden, die über ein normales Hochwasser hinausgehen. Sechs Häuser seien in Schuld eingestürzt. Um 23.43 und 23.46 Uhr habe er erste Bilder aus einem Polizeihubschrauber erhalten. Diese hätten auf „ein starkes Hochwasser“ hingedeutet, aber es sei keine Flutwelle erkennbar gewesen.

Um 0.25 habe ADD-Präsident Thomas Linnertz angerufen. Es könne Vermisste und Tote geben. Die Lage sei unübersichtlich gewesen. Daraufhin habe er die Ministerpräsidentin versucht zu erreichen. Das sei nicht gelungen. „Weil es kein belastbares Lagebild gab, habe ich die Infos schriftlich zusammengefasst und ihr geschickt“, sagt Lewentz. Wenn es belastbare Dinge gegeben hätte, dann hätte er Dreyer wecken lassen. Erst um 8.12 Uhr habe er die ersten belastbaren Informationen über zwei Tote und 30 bis 50 Vermisste erhalten. Insgesamt starben 134 Menschen im Ahrtal.

Und Malu Dreyer? Die Ministerpräsidentin nimmt um 22.15 Uhr Platz auf dem Zeugenstuhl. Sie erzählt, wie sie den 14. Juli erlebt hat. Gut könne sie sich erinnern, dass Lewentz angekündigt habe, in die Starkregengebiete zu fahren. Spiegel habe ihr gesagt, dass die Umwelt- und Innenstaatssekretär im Gespräch seien. Lewentz habe sie um 20 Uhr auf dem Rückweg aus dem Ahrtal angerufen. „Ich bin gegen 21 Uhr mit dem Bewusstsein nach Hause gegangen, dass wir ein schweres Hochwasser haben, aber sehr gut aufgestellt sind.“ Es habe keinen Hinweis auf ein solch katastrophales Hochwasser gegeben. Die Befragung dauert bei Redaktionsschluss noch an.

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