Humanitäres Völkerrecht Warum im Krieg eben doch nicht alles erlaubt ist

Düsseldorf · Darf ein Deutscher aufseiten der Ukraine kämpfen? Machen sich ukrainische Zivilisten strafbar, wenn sie russische Soldaten angreifen? Dafür gibt es international gültige Regeln.

 Ukrainische Soldaten während einer Trainingseinheit außerhalb von Charkiw (Archivfoto).

Ukrainische Soldaten während einer Trainingseinheit außerhalb von Charkiw (Archivfoto).

Foto: dpa/Andrew Marienko

Wer in Venedig oder am Gardasee Urlaub macht, sollte auch den kleinen Ort Solferino besuchen. Hier endete 1859 eine Schlacht mit mehr als 30.000 Toten und Verwundeten, die den Anlass gab, das Rote Kreuz zu gründen und Kriegen auch juristisch Grenzen zu setzen. Die internationalen Gesetze, die unter dem Begriff „Humanitäres Völkerrecht“ zusammengefasst sind, regeln beispielsweise den Umgang mit Kriegsgefangenen oder den Schutz von Krankenhäusern und Kulturgütern. Bilder aus dem Kriegsgebiet lassen den Schluss zu, dass dagegen zurzeit in der Ukraine massiv verstoßen wird.

„Das deutsche Strafrecht gilt auch für bestimmte Taten, die ein deutscher Staatsbürger im Ausland begeht“, sagt der Justiziar des Bundes Deutscher Fallschirmjäger, Rainer Witrofsky. „Darunter fallen Tötungsdelikte oder Sachbeschädigung. Wer aus Deutschland in die Ukraine fährt, sich eine Kalaschnikow und eine gelbe oder blaue Armbinde geben lässt und in den Kampf zieht, ist ein Straftäter.“ Er habe deshalb nach der Rückkehr mit juristischer Verfolgung zu rechnen, den IS-Terrorkämpfern mit deutschem Pass gleich, die aus Syrien zurückgekehrt sind. Umgekehrt dürfe ein Ausländer nicht Soldat der Bundeswehr werden.

„Es mag aussehen wie eine Heldentat, wenn eine Ukrainerin aus ihrem Auto einen Molotow-Cocktail auf einen russischen Panzer wirft. Aber auch das ist strafbar“, erläutert der ehemalige Richter am Truppendienstgericht. Es gebe juristische Ausnahmen nach dem Grundsatz „Levée en masse“, französisch für „Massenaushebung“. Diese Form eines spontanen Wehrdienstes auch in ziviler Kleidung bezieht sich aber nur auf eine überraschende feindliche Aggression, bei der den Verteidigern keine Zeit mehr gegeben ist, eine Gegenwehr zu organisieren. Das treffe auf die Ukraine nicht zu, die ja eigene Streitkräfte besitze, so Witrofsky.

Gegen feindliche Truppen kämpfen dürfe nur derjenige, der einen offiziellen Kombattantenstatus besitzt. Dieser gilt nicht für Polizeibeamte, auch wenn sie Waffen tragen. Die Bundeswehr setzt bei Auslandseinsätzen ihre zivilen Beamten und Angestellten deshalb offiziell als Reservisten ein, bildet sie an der Waffe aus und gibt ihnen eine Uniform, damit sie sich bei einer Bedrohung legal wehren dürfen. Denn das Humanitäre Völkerrecht legt fest, dass ausschließlich Kombattanten Gewalt anwenden und für ihre Teilnahme an rechtmäßigen Kampfhandlungen nicht bestraft werden dürfen. Wer dagegen als Freischärler ohne Kombattantenstatus an Gefechten teilnimmt, hat bei einer Festnahme keinen Anspruch darauf, als Kriegsgefangener behandelt zu werden. Dieser ist unter anderem durch die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention geschützt. Er darf nicht unmenschlich und entwürdigend behandelt werden – Bilder aus der Ukraine zeigen, dass dort wenig Rücksicht genommen wird, zum Beispiel, wenn russische Soldaten zu Aussagen gegen ihre Regierung gezwungen werden.

Der Kombattantenstatus gilt nicht für das Sanitätspersonal und Militärgeistliche, die durch Armbinden besonders gekennzeichnet werden und spezielle Ausweise erhalten. Das Kriegsvölkerrecht wird aber in modernen Auseinandersetzungen immer mehr missachtet. So deckte die Bundeswehr in Afghanistan das Rote Kreuz, ein international anerkanntes Schutzzeichen, auf ihren Sanitätsfahrzeugen sicherheitshalber ab. Denn die Taliban griffen die Sanitäter vorrangig an, um die Soldaten zu demoralisieren.

Unterlaufen wird das Humanitäre Völkerrecht auch durch den Einsatz von Söldnern. Auf russischer Seite sind dies unter anderem die Kämpfer der Gruppe Wagner und rekrutierte Syrer. Die nationale russische und ukrainische Gesetzgebung könnte dies teilweise legalisieren, vermutet der Jurist Witrofsky. So könnte Moskau die als besonders brutal geltenden Tschetschenen in die eigene Armee eingliedern wie auch die Ukraine die amerikanischen, britischen oder kanadischen Freiwilligen offiziell in ihre Streitkräfte übernehmen könnte.

Während sich Staaten für ihre Soldaten stets öffentlich rechtfertigen müssen, lassen sich Söldner in heiklen Lagen „problemloser“ einsetzen und tauchen in keiner Statistik auf. So ist die Piraterie vor Somalia offenbar vor allem durch solche illegalen Kämpfer eingedämmt worden. Sie konnten, anders als die an internationales Recht gebundenen Marinestreitkräfte, die Seeräuber auch an Land bekämpfen. Details erfuhr die Öffentlichkeit nicht und wollte sie vielleicht auch gar nicht wissen. In Afghanistan war der Einsatz von Nicht-Kombattanten üblich. Geschätzt waren es zeitweise bis zu 40.000 Mann, die bei etwa 50 verschiedenen Militärfirmen unter Vertrag standen. So wurde im Juli 2010 eher zufällig der Tod eines 32-jährigen Krefelders bekannt. Er war über eine zivile Firma als Objektschützer bei einer US-Hilfsorganisation in Kundus eingesetzt und fiel einem Selbstmordattentat zum Opfer.

Ein Sonderfall ist die französische Fremdenlegion, die traditionell auch etliche deutsche Staatsbürger in ihren Reihen hat. In Deutschland ist nach Paragraf 109h des Strafgesetzbuches lediglich eine Anwerbung für diese Truppe verboten; nach französischem Recht dürfen diensttaugliche Männer jeglicher Nationalität im Alter von 17 bis 40 Jahren rekrutiert werden. Die Legionäre erhalten auf Wunsch französische Tarnidentitäten und können unter besonderen Voraussetzungen auch Franzosen werden. Ein Interesse an einer juristischen Verfolgung besteht in Deutschland nicht.  

Eindeutiger ist dagegen die Rechtslage bei Kriegsverbrechen. Dazu zählen Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Plünderung, Vergewaltigung, Folter und Mord sowie der Beschuss beispielsweise von Krankenhäusern oder besonders geschützten Kulturgütern. Die russische Definition einer begrenzten Militäroperation in der Ukraine könnte auch den Hintergedanken haben, dass es sich danach nicht um einen Krieg handelt, also gar keine Kriegsverbrechen verübt und geahndet werden können. International werden solche Verbrechen inzwischen verstärkt verfolgt, beispielsweise bis 2017 durch den Strafgerichtshof in Den Haag für den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Täter können auch in einem fremden Land vor Gericht gestellt werden: 2015 wurde ein Ruander von einem Frankfurter Gericht wegen Völkermordes in seiner Heimat zu lebenslanger Haft verurteilt.

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