Bericht des Weltklimarats Klimakrise gefährdet bereits bis zu 3,6 Milliarden Menschen

Die verheerenden Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher. Mit Anpassung ist das Schlimmste noch abzuwenden, sagt der Weltklimarat, aber die Zeit drängt, und es braucht tiefgreifende Umwälzungen.

Wetter NRW 2023:  Schnee im März
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Tornados, Starkregen, Schnee — Wetterkapriolen in NRW 2023

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Foto: dpa/Oliver Berg

Die Erderhitzung hat die Natur nach dem neuen Bericht des Weltklimarats (IPCC) bereits gefährlich verändert, und Milliarden Menschen leiden immer stärker darunter. 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen seien durch ihre Lebensumstände bereits besonders stark vom Klimawandel gefährdet, berichtete die IPCC-Arbeitsgruppe am Montag zu den Folgen des Klimawandels.

„Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet“, so der Weltklimarat. Mehr Menschen, die in ihrer Heimat kein Auskommen mehr haben, würden zur Migration gezwungen. Die Regierungen täten noch lange nicht genug, um die schlimmsten Gefahren abzuwenden.

„Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster“, warnte der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, der deutsche Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner. Er gibt der Bundesregierung für die Klimapolitik teils schlechte Noten: „Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus bisher“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Extremes Wetter NRW 2021:  Gewitter, Schnee, Hochwasser, Eisregen
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Hitzewelle, Unwetter, Hochwasser - Wetterextreme in NRW 2021

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Foto: dpa/Marius Becker

„Der heutige Bericht ist eine weitere Sterbeglocke für die Welt, wie wir sie kennen“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. „Einige wenige Länder treten die Rechte des Rests der Welt mit Füßen. Einige wenige Unternehmen streichen reiche Gewinne ein, während sie die Rechte der Ärmsten und Schwächsten ignorieren.“ Dass Regierungen ihre Aufgaben nicht machten, sei kriminell, sagte Guterres.

Die Folgen des Klimawandels sind in allen Teilen der Welt sichtbar: Es gibt verheerende Waldbrände wie im Mittelmeerraum und im Westen der USA, Überschwemmungen wie in der Region von Ahr und Erft im Juli 2021, Hitzewellen wie in Sibirien. Am Montag meldete der Deutsche Wetterdienst (DWD), dass der Winter 2021/22 der elfte zu warme in Folge gewesen sei.

30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche müsse für Naturräume zur Verfügung gehalten werden, sagte Pörtner. Sie könnten genutzt werden, aber nur in einem nachhaltigen Miteinander von Mensch und Natur. „Dieses Denken ist in der Politik noch nicht so richtig angekommen.“

Noch nähmen Ökosysteme mehr Treibhausgase auf als sie selbst verursachten, heißt es in den IPCC-Dokumenten. Das ändere sich aber, wenn Urwald abgeholzt oder Torfmoorgebiete trockengelegt werden oder der arktische Permafrost schmilzt. „Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instandgesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden“, schreiben die Wissenschaftler. „Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit.“

Die globale Erwärmung treffe mit anderen Herausforderungen zusammen, so der Weltklimarat. Er zählt die wachsende Weltbevölkerung auf, die Migration der Menschen in Städte, zu hohen Konsum, wachsende Armut und Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Überfischung und jüngst die Corona-Pandemie. Krankheitsrisiken nähmen weiter zu, das Dengue-Fieber werde sich ausbreiten, auch nach Europa.

„Abstreiten und Verzögern sind keine Strategien, das ist ein Rezept für eine Katastrophe“, sagte John Kerry, der Klimabeauftragte der US-Regierung. „Die besten Wissenschaftler der Welt haben uns gezeigt, dass wir die Anpassung an den Klimawandel beschleunigen müssen, und zwar dringend und in großem Maßstab.“

Hitze und Extremwetter trieben Pflanzen und Tiere an Land und in den Ozeanen Richtung Pole, in tiefere Gewässer oder höhere Lagen. Meereslebewesen bewegten sich wegen der steigenden Wassertemperaturen im Schnitt um 59 Kilometer pro Jahrzehnt Richtung Süd- oder Nordpol. Viele Arten erreichten bei der Anpassung an den Klimawandel aber Grenzen und seien vom Aussterben bedroht. Bei einer globalen Erwärmung von vier Grad über dem vorindustriellen Niveau seien 50 Prozent der an Land befindlichen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.

„Es ist höchste Zeit, Arten- und Klimaschutz als gemeinsame Herausforderung zu betrachten“, sagte der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Alexander Bonde. „Beides ist notwendig, wenn der Mensch eine Zukunft auf diesem Planeten haben will.“

Bis Ende des Jahrzehnts könnten Fischer in den tropischen Regionen Afrikas bis zu 41 Prozent weniger fangen. Wenn die Erwärmung 2,1 Grad erreiche, dürften in Afrika bis 2050 zusätzlich 1,4 Millionen Kinder wegen Unterernährung in ihrer Entwicklung für immer zurückbleiben.

„Wir sind in einer Notsituation und auf dem Weg in eine Katastrophe“, warnte Inger Andersen, Exekutivdirektorin des UN-Umweltprogramms UNEP. „Die Menschheit hat die Natur jahrhundertelang wie ihren schlimmsten Feind behandelt. Tatsächlich kann die Natur unser Retter sein, aber wir müssen sie zuerst retten.“ Der Klimarat verlangt fundamentale gesellschaftliche Veränderungen. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig und die Mobilität verändert werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugfahren statt Fliegen.

Der Weltklimarat wurde 1988 gegründet. Der neue Report ist Teil zwei seines 6. Sachstandsberichts zum Klimawandel. Der erste Teil über die wissenschaftlichen Grundlagen kam im August 2021 heraus. Der dritte Teil befasst sich mit Möglichkeiten, den Klimawandel zu mindern. Er wird im April erwartet. Laut Weltklimarat lag die globale Durchschnittstemperatur im Zeitraum 2010 bis 2019 durch die vom Menschen verursachten Treibhausgase rund 1,1 Grad höher als in vorindustrieller Zeit (1850-1900). Allein seit dem 5. Sachstandsbericht 2014 war sie um 0,2 Grad gestiegen.

„Der Klimawandel bedroht den Menschen und die Gesundheit des Planeten in einem ungekannten Ausmaß“, sagte Umweltpsychologe Gerhard Reese. „Sogenannte Klimaangst findet sich heute schon bei vielen jungen Menschen weltweit.“ Wichtig sei es, dafür zu sorgen, dass diese Angst in Handlungsmotivation überführt wird.

(chal/dpa)
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