"Bund lässt Kommunen im Regen stehen"

Neuss · Am Montag spricht der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner beim Neujahrsempfang der Kaarster FDP im Hotel Mercure (18 Uhr) .

 Christian Lindner ist Bundesvorsitzender der Freien Demokraten und Vorsitzender von Landtagsfraktion und Landesverband der FDP in Nordrhein-Westfalen.

Christian Lindner ist Bundesvorsitzender der Freien Demokraten und Vorsitzender von Landtagsfraktion und Landesverband der FDP in Nordrhein-Westfalen.

Foto: L. Chaperon

Herr Lindner, ist Kaarst für Sie eine liberale Wohlfühloase? Immerhin hat Ihre Partei hier bei der vergangenen Landtagswahl mit rund 15 Prozent landesweit das drittstärkste Ergebnis geholt.

Christian Lindner Kaarst zeigt, dass die Freien Demokraten ein großes Potenzial haben. Viele Menschen wollen einen starken Rechtsstaat, lehnen aber Intoleranz und Bürokratismus ab. Viele Menschen lassen sich von der guten Wirtschaftslage nicht blenden, sondern fragen, wovon wir alle morgen leben wollen. An diese Leute wenden wir uns. Wir bewerben uns nicht als Erziehungsberechtigte der Bürger, sondern als Problemlöser.

Im Kaarster Stadtrat ist die FDP als Teil eines Fünferbündnisses vertreten. Ein Konstrukt mit Modellcharakter für andere Kommunen?

Linder Solche Entscheidungen werden vor Ort getroffen. Entscheidend ist auch nicht, in welchem Bündnis man arbeitet, sondern was man dort erreichen kann. Wir stehen für solide Finanzen und eine Politik ohne neue Schulden. Das wollen wir für Nordrhein-Westfalen erreichen - und die FDP in Kaarst auch.

Kaarst steht vor einem 4,8 Millionen Euro großen Haushaltsloch. Lässt sich die Situation wieder in den Griff bekommen?

Lindner Ich weiß, dass die Kaarster FDP intensiv daran arbeitet und im Rat dem ausgeglichenen Haushalt eine hohe Bedeutung zumisst. Man muss sagen, dass insbesondere die Bundesregierung die Kommunen ganz schön im Regen stehen lässt. Die Leistungen für behinderte Menschen sollten vom Bund übernommen werden, das hatten CDU und FDP fest zugesagt. Bei der Grundsicherung im Alter hatte es Schwarz-Gelb ja bereits getan. Das ist die letzte Entlastung für die Kommunen geblieben. Denn nach der Bundestagswahl 2013 wurde das abgesagt, weil CDU und SPD das Geld lieber selbst ausgeben, als es an die Kommunen zu geben.

Die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlingen, die Kosten der Inklusion - mutet das Land den Kommunen zu viel zu?

Lindner Ja. Erstens brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, um wieder Kontrolle bei der Zuwanderung zu haben. Und zweitens muss die Inklusion vernünftig neu geregelt werden. Es muss Schwerpunktschulen geben, und vor allem müssen die Förderschulen erhalten bleiben. Nicht jede Schule und nicht jedes Kind ist für die Inklusion geeignet. Leider haben die Grünen aus einer guten Idee eine Ideologie gemacht. Das wollen wir ab Mai beenden.

Sie haben sich dafür ausgesprochen, Frank-Walter Steinmeier bei der Bewerbung um das Amt des Bundespräsidenten zu unterstützen. Eine Annäherung an die SPD?

Lindner Nein. Ich hätte mir Wettbewerb in der Bundesversammlung gewünscht. Und nicht jede Äußerung und nicht jede Entscheidung von ihm in der Vergangenheit habe ich begrüßt. Aber nun ist die Lage so, wie sie ist. Wir unterstützen Herrn Steinmeier als Ausdruck staatspolitischer Verantwortung. Für taktische Spielereien sind wir nicht zu haben.

Rund vier Jahre nach ihrem Fall aus dem Bundestag, könnte die FDP nun wieder ihre traditionelle Rolle als Zünglein an der Waage übernehmen - zunächst in NRW. Sie haben ausgeschlossen, Hannelore Kraft zu weiteren vier Jahren an der Macht zu verhelfen...

Lindner Der Eintritt in die Regierung kann kein Selbstzweck sein, sondern es muss die Möglichkeit bestehen, mindestens einen ausreichenden Teil seines Programms dort umzusetzen. Wir wollen solide Landesfinanzen, beste Bildung, einen schnellen Ausbau unserer Infrastruktur und eine faire Balance zwischen Staat und Bürgern, etwa auch bei Steuern und Abgaben. Für uns ist klar, dass Frau Löhrmann von den Grünen nicht länger Verantwortung für die Schulpolitik haben darf, und dass die grünen Entwicklungsbremsen für das Land gelöst werden müssen. Es wäre vermessen zu glauben, als neuer Partner in einem Dreierbündnis mit diesen beiden Parteien, die seit sieben Jahren gemeinsam regieren, das Ruder um 180 Grad herumreißen zu können.

Ausgehend von einem Wiedereinzug ins Parlament, könnte die FDP im Bund sofort auf die Regierungsbank rücken - etwa in einer Jamaika-Koalition...

Lindner Wenn die CDU den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten sollte, bin ich gespannt, welches Paket sie schnürt, dem wir als Freie Demokraten, aber auch die Grünen zustimmen können. Ich weiß nicht, wie das gelingen kann. Daher ist klar: Wenn es nicht möglich ist, liberale Projekte in der Regierung umzusetzen, dann ist es umso dringender, als liberale Opposition Druck zu machen.

Oft wird gesagt, Sie hätten die FDP zu einer "Lindner-Partei" gemacht. Glauben Sie, dass Politik nur noch über Personen funktioniert?

Lindner Nein, wir haben starke und erfahrene Persönlichkeiten und arbeiten im Team eng zusammen. Denken Sie etwa an Wolfgang Kubicki, Alexander Graf Lambsdorff oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus Düsseldorf, Otto Fricke aus Krefeld, Bijan Djir-Sarai aus Neuss, Johannes Vogel und Joachim Stamp. Aber Sie wollten dieses Interview ja gerne mit mir führen.

D. FISCHBACH STELLTE DIE FRAGEN.

(NGZ)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort