Sporttherapeut Bernd Restle sagt: „Vollgas verboten“

Krefeld · Nach mehrmonatiger Pause bedürfen auch Hobbysportler eines professionellen Trainingsaufbaus, so der 65 Jahre alte Sporttherapeut, der internationale Stars und Fußballer aller Bundesligisten behandelt.

 Physiotherapeut Bernd Restle betreut internationale Stars wie Hobbysportler.

Physiotherapeut Bernd Restle betreut internationale Stars wie Hobbysportler.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Der Neustart im Profifußball ist ein großes Thema. Die Bundesligisten bereiten sich längst wieder auf die Fortsetzung der Saison vor leeren Rängen vor. Sicher scheint jedoch, dass die Saison für die Amateure und Hobbyspieler in Krefeld wegen der Corona-Pandemie beendet ist, auch wenn es bald erste Lockerungen für den Breitensport geben sollte. Was bedeutet das für die Fußballer in den Kreisligen, die Handballer, Basketballer und all die anderen Hobbysportler? Bernd Restle antwortet. Er arbeitet seit über 40 Jahren im therapeutischen und präventiven Bereich mit Sportlern und betreibt in Düsseldorf ein ambulantes Reha-Zentrum mit 24 Therapeuten und vier Angestellten. Der Physiotherapeut und Diplom-Sportlehrer hat, so der ehemalige Dortmunder Manager Michael Meier, die Sporttherapie entscheidend weiter entwickelt, und internationale Stars wie Ronaldo und Zidane behandelt, die bei ihm ebenso Hilfe und Rat suchten, wie Spieler aller Bundesligisten. Dabei hat Restle nie den Kontakt zur Basis zu verloren.

Herr Restle, über die Bundesligaprofis wird viel gesprochen. Aber was ist mit all den Spitzensportlern, deren nationale und internationale Titelkämpfe ausfallen?

Restle Sie müssen in ihrem Belastungsrhythmus drin bleiben. Denn wir sprechen über eine Verschiebung, für die sie jedoch ihren Trainingsrhythmus ändern müssen. Schwimmer oder Leichtathleten können nicht einfach ihr Training einstellen, sondern müssen ihre körperliche Belastung leicht verändert fortführen, um dann sich dann im nächsten Jahr wieder ganz gezielt auf Titelkämpfe vorbereiten zu können.

98 oder 99 Prozent der Bevölkerung aber sind keine Leistungs-, sondern Hobbysportler. Wie sollen die mit der Situation um gehen: Können sie was machen, sollen sie was machen?

Restle Es ist ganz, ganz wichtig, dass Hobbysportler, die gewohnt waren, sich regelmäßig in ihren Vereinen zu betätigen, weiter trainieren. Dabei geht es auch um die persönliche Lebensqualität, die sich jeder erhalten sollte. Es ist ja auch jetzt möglich, alleine oder zu zweit Waldläufe zu absolvieren oder kleinere Trainingsprogrammen zu gestalten. Dabei geht es natürlich um das Wohlbefinden, aber auch darum, das Immunsystem zu unterstützen und zu stärken. Daher ist es ganz wichtig, den Trainingsrhythmus im Rahmen der Möglichkeiten beizubehalten.

Aber wahrscheinlich können sich nur wenige Kreisligaspieler dienstags und donnerstags zu einem Waldlauf aufrappeln. Angenommen es geht erst im August mit der Vorbereitung auf die nächste Saison weiter. Was bedeutet das für die Hobbykicker?

Restle Wenn die Spieler tatsächlich eine Pause von einem halben Jahr haben sollten, und der Zeitraum wäre ja dann so lang, dann ist es ganz wichtig, die Trainingsbelastung wie bei einem Profi anzugehen. Da muss der Trainingsaufbau in der Kreisliga genauso professionell erfolgen wie in der Bundesliga. Der Aufbau der körperlichen Fitness muss über mindestens sechs, wenn nicht gar acht Wochen erfolgen, damit es nicht zu ungünstigen Verletzungen kommt, die den einen oder anderen sogar hindern, seinen Beruf ausüben zu können, was wiederum berufliche oder gar familiäre Folgen hätte. Hobbysportler sollten also auch einen Trainingsaufbau sehr professionell gestalten.

Was passiert denn mit der Muskulatur, wenn drei, vier Monate nicht trainiert wird?

Restle Wenn man sich tatsächlich so lange nicht betätigt hat, dann ist es so, dass sich in einigen Teilbereichen die Muskulatur zurück entwickelt, weil die Aktivitäten der Muskelketten von der Halswirbelsäule bis zu den Füßen nicht so ständig angesteuert werden. Dienstag, Donnerstag plus Wettkampf am Wochenende – das sind zwölf Belastungskriterien im Monat, das ist nicht zu unterschätzen. Wenn die wegfallen, kann man davon ausgehen, dass sich das auf das Herz-Kreislaufsystem auswirkt, dass sich Grundlagen-, Kraft- und Schnelligkeitsausdauer verändern, also physiologisch ein neuer Aufbau erfolgen muss. In Teilbereichen können über so einen langen Zeitraum bis zu 25 Prozent der Muskulatur verloren gehen.

Manch einer hält sich mit Waldläufen fit, aber ihm fehlt die Spielpraxis. Was bedeutet das für die Verletzungsgefahr und das Mannschaftstraining?

Restle Wenn im Amateurbereich ein professioneller Trainingsaufbau stattfindet, werden die Belastungen entsprechend schrittweise hochgefahren, auch im koordinativen Bereich. Natürlich sind Spiel und Wettkampf im Training nicht simultan zu gestalten, aber die Spieler müssen schrittweise herangeführt werden, zum Beispiel durch Zweikampfschulung. Ziel muss es immer sein, Verletzungen zu vermeiden. Dass mal die eine oder andere Verletzung entsteht, das kann man nicht völlig ausschließen. Aber auch im Freizeitsport hat es in den zurückliegenden zehn Jahren, so wie ich es beobachten konnte, enorme Qualitätssprünge gegeben.

Welche Körperstelle ist beim Wiedereinstieg am meisten gefährdet?

Restle Natürlich die Muskulatur. Der Muskelkater, der sicher vielen bekannt ist, ist die erste Reaktion, die man spürt. Daher bleibt es dabei: Es ist wichtig, die Trainingsintensität langsam zu steigern, um eine Überbelastung und Verletzung zu vermeiden.

Also nicht gleich voll ins Training einsteigen – von Null auf Hundert?

Restle Gerade im Hobbybereich ist es nach längerer Zeit wichtig, es langsam anzugehen. Es ist etwas anderes, ob ich am Rhein entlang laufe oder aber ein Spielgerät im Fußball oder Handball dazu kommt. Gerade im Mannschaftssport wird dann die Belastungsfrequenz enorm nach oben gesteuert: Aufmerksamkeit und Konzentration werden noch einmal ganz anders eingefordert im Zusammenspiel mit den Mannschaftskameraden, ob bei der Ballannahme, dem Passspiel oder dem Zweikampf, wo man ausweichen muss oder gefoult wird. Die Belastung ist wesentlich höher und muss gesteuert werden.

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