Kleve Beuys und die Musik

Kleve · Die Musikwissenschaftlerin Sigrun Hintzen legte mit ihrer Studien-Arbeit den Grundstein für die Erforschung des Themas. Jetzt endlich erscheint ihre Arbeit aktualisiert als Buch im Tectum-Verlag.

 Sigrun Hintzen schrieb vor 30 Jahren eine Seminararbeit über Beuys und die Musik. Jetzt machte sie zum Jubiläumsjahr ein Buch daraus, das beim tectum-Verlag erschienen ist.   RP-Foto: Markus van Offern

Sigrun Hintzen schrieb vor 30 Jahren eine Seminararbeit über Beuys und die Musik. Jetzt machte sie zum Jubiläumsjahr ein Buch daraus, das beim tectum-Verlag erschienen ist.  RP-Foto: Markus van Offern

Foto: Markus van Offern (mvo)

„Joseph Beuys und die Musik“ titelt ein frisch erschienener Band, der den Blick in den Beuys-Kosmos auf den Bereich Musik und viele – auch ungeahnte – Facetten eröffnet. Geschrieben hat ihn Sigrun Hintzen, in Kleve u.a. durch ihre Arbeit als Organisatorin der klassischen Konzerte bekannt. Und das Besondere an dem Buch ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Entstehungsgeschichte: Denn der Text ist im Grunde bereits 30 Jahre alt. Hintzen, damals noch Speh mit Namen und Studentin an der Universität zu Köln mit Hauptfach Musikwissenschaft und Nebenfach Kunstgeschichte, schrieb 1991/1992 eine Hauptseminararbeit im Nebenfach zu einer Ikonographie-Veranstaltung bei Professorin Antje von Graevenitz. Und es war schwer genug, damals überhaupt einen Platz darin zu bekommen, noch dazu mit der Möglichkeit, interdisziplinär zu arbeiten.

„Bei der Recherche für die Arbeit zum Seminar habe ich damals alles aufgenommen, was greifbar war“, berichtet Hintzen. „Beuys war gerade fünf Jahre tot, die Rezeption noch gar nicht so fortgeschritten – und es öffnete sich ein neues Universum!“ Beeindruckend war für sie u.a. ein Gespräch mit Hans van der Grinten, dessen Zitat sie dem Buch voranstellt: „Die Musik war bei Beuys eine Art innere Disposition.“ Hintzen legte mit ihrer Arbeit den Grundstein für die Erforschung des Themas, was von der Professorin entsprechend mit dem Urteil: „Ausgezeichnet“ gewürdigt wurde.

Sie solle doch daraus eine Dissertation entwickeln, schlug diese vor; das lehnte Hintzen jedoch ab. Kunstgeschichte war nicht ihr Hauptfach und sie hätte dafür Studienleistungen ergänzen müssen. Eine Veröffentlichung des Textes scheiterte damals an den Bildrechten und bis auf einen Dia-Vortrag sowie ein Moyländer Benefizkonzert passierte nichts weiter. Eine Kopie gab Sigrun Hintzen damals ins Joseph-Beuys-Archiv, das Original wanderte in ihre Schublade.

Zeitsprung: Die Musikwissenschaftlerin Hintzen wird von Bettina Paust Anfang 2021 als Autorin für einen Beitrag zu einem Beuys-Handbuch angefragt. Sie stimmt zu und begibt sich wieder in die Recherche, u.a. zur aktuellen Forschungslage. Dabei findet sie eine Dissertation zu genau dem Thema „Beuys und Musik“ – und kann es kaum fassen: Diese ist gespickt mit ihrem eigenen Text, der Autor hat plagiiert. Der Kontakt zum Verlag Tectum löst eine Kettenreaktion aus, und als Entschädigung bietet dieser an, dass Hintzen ihr Original veröffentlichen könne.

Es folgt ein Vierteljahr der Aufarbeitung mit dem erhebenden Resultat: „Meinen Text kann ich nach 30 Jahren noch komplett so vertreten, 98 Prozent habe ich Eins-zu-eins übernommen“, so die Autorin. Die Forschungslage sei weiterhin überschaubar, viel Neues gebe es nicht. Nun liegt „Joseph Beuys und die Musik“ als griffiger Band vor. Das Inhaltsverzeichnis beleuchtet die Themenbreite: „Musik als Element des ‚erweiterten‘ Kunstbegriffs“, „Die hörbare Plastik“, „Akustische Aspekte und musikalisches Material“, „Die Fluxus-Aktionen“ oder „Multiples mit Musik“ heißt es da unter anderem.

Hintzen erläutert zum Inhalt: Beuys spielte selbst Cello und Klavier, er kannte viel Repertoire, bevorzugte die Romantik und schätzte Eric Satie. In der Düsseldorfer Akademie stand ein Klavier auf dem Flur, an das er sich wohl setzte und spielte. Und so sind Beuys‘ Werke voll mit entsprechenden musikalischen Bezügen: „Sie heißen auch ‚Partitur‘, er verwendet das Wort ‚Symphonie‘, und Laut, Sprache und Klang sind bei ihm ‚Geräuschmusik‘. Chaos, Stille und Schweigen spielen auch eine Rolle.“

Das greift tief in das Erfassen des Menschlichen ein: „Leiden und Schmerz bieten Beuys immer Anlass zu besonderen künstlerischen Äußerungen“, erklärt Hintzen. Prägend ist dabei die Fluxus-Zeit des Künstlers, so z.B. die Zusammenarbeit mit Nam June Paik. Beuys entwickelte die Idee des Innentons eines Instruments, eine metaphysische Qualität über einen dem Instrument innewohnenden Ton.

Den bürgerlichen Konzertbetrieb lehnt Beuys hingegen ab – „das war ‚Konzertscheiß‘“. Beuys habe sich aber auch abgesetzt, so die Autorin. „Er hätte nie ein Klavier zerstört – nur ein einziges Mal, da hat er Waschmittel durch ein ohnehin ausrangiertes Instrument fließen lassen.“

Den Blick auf das Universum, das sich Sigrun Hintzen als Studentin eröffnete, gewährt sich jetzt – endlich, möchte man erfreut sagen – auch den Lesern.

„Joseph Beuys und die Musik“, 92 Seiten, Tectum-Verlag, ISBN 978-3-8288-4666-1, Preis: 26,- Euro

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