NRW in der Pandemie Städte, Ärzte und Wirtschaft fordern Corona-Strategie für den Herbst

Düsseldorf · Die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde zum Vorgehen im Herbst sind vielen Verbänden, Organisationen und dem NRW-Gesundheitsministerium zu vage. Sie fordern konkrete Schritte, bevor die nächste Pandemie-Welle da ist.

Zwischen gefallenen Blättern die gefallene Maske. (Symbolbild) Wenn im Herbst die nächste Corona-Welle anrollt, sollte das Land NRW gewappnet sein.

Zwischen gefallenen Blättern die gefallene Maske. (Symbolbild) Wenn im Herbst die nächste Corona-Welle anrollt, sollte das Land NRW gewappnet sein.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Die Zahl der Corona-Infizierten ist am Freitag erneut gestiegen. Die Wocheninzidenz nahm am dritten Tag in Folge zu und liegt in NRW nunmehr bei 277,6. Am Vortag hatten die Ministerpräsidenten der Bundesländer über Maßnahmen für den Herbst gesprochen. Flächendeckende Schließungen von Schulen und Kitas soll es demnach nicht mehr geben. Bevor man über mögliche weitergehende Schutzvorgaben wie Maskenpflichten entscheidet, sollen aber noch Experteneinschätzungen abgewartet werden.

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium befindet: Positiv zu bewerten sei, dass der Bund eine umfassende Impfstrategie entwickeln wolle. „Diesbezüglich benötigen die Länder aber für ihre eigenen Planungen zeitnah belastbare Informationen seitens des Bundes“, sagte ein Sprecher von Minister Karl-Josef Laumann (CDU). NRW habe bereits die Voraussetzungen geschaffen, das Impfgeschehen bei Bedarf kurzfristig wieder hochzufahren. Alle Kreise und kreisfreien Städten seien innerhalb von 14 Tagen in der Lage, wöchentlich mindestens 250.000 Impfungen durchzuführen  – ergänzend zu Arztpraxen und Betriebsärzten.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Städtetags NRW, Helmut Dedy, mahnte zur Eile: „Wir brauchen schneller und verbindlicher als im Bund-Länder-Beschluss Klarheit über die Impfstrategie, die Teststrategie und die Corona-Schutzmaßnahmen im Herbst. Bitte entscheidet Euch endlich.“ Fast alle Experten rechneten mit einer nächsten Corona-Welle, und wichtige Instrumente zur Pandemiebekämpfung seien im Frühjahr abgeschafft worden. Für den Fall, dass sich die Infektionslage wieder zuspitze oder sich neue gefährliche Virusvarianten sprunghaft verbreiteten, müsse man gewappnet sein – etwa mit einer Maskenpflicht im Einzelhandel und in Innenräumen oder mit 3G- oder 2G-Regeln.

Die Macher vor Ort in den Kommunen bräuchten Vorlauf, zum Beispiel in den Impfzentren. „Arbeitsverträge oder Mietverträge für Räumlichkeiten lassen sich nicht auf Knopfdruck an- und abschalten. Vor allem ist medizinisches Personal knapp und im Herbst nicht ad hoc verfügbar“, so Dedy. Aus Sicht der Amtsärzte ist es wichtig, weiterhin möglichst viele Menschen zu impfen und zu boostern sowie die Kapazitäten des Öffentlichen Gesundheitsdienst mit Hochdruck auszubauen – personell und technisch, forderte ihr Verbandsvorsitzender Johannes Nießen.

Offen bleibt vorerst, wie der Schulunterricht bei einem massiven Anstieg der Fallzahlen aufrechterhalten werden soll. „NRW hat in den vergangenen beiden Jahren Erfahrungen mit den unterschiedlichen Unterrichts- und Schulbetriebsmodellen in der Corona-Pandemie gesammelt, ebenso mit verschiedenen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen, die überarbeitet und wieder genutzt werden könnten, sollte dies notwendig sein“, heißt es aus dem NRW-Schulministerium. Allerdings werde es von den dann bundesweit geltenden rechtlichen Regelungen abhängen, welche Schritte überhaupt ergriffen werden dürften. 

Der SPD ist das zu bequem. Die voraussichtlichen Koalitionspartner der kommenden Landesregierung, CDU und Grüne, müssten alle Weichen stellen, um den Unterricht winterfest zu machen, sagte der bildungspolitische Sprecher  der SPD im Düsseldorfer Landtag, Jochen Ott. „Dazu gehört unter anderem ein Konzept zur Einbindung außerschulischer Lernorte und weiteren pädagogischen Personals, um kleinere Lerngruppen bilden zu können. Nur nach Berlin zu rufen, reicht da schlicht nicht aus.“

Genau wie die Schulen sollen auch die Kitas geöffnet bleiben. „Grundsätzlich begrüßen wir es sehr, dass man diesen Kurs beibehält und den Eltern damit ein bisschen Stabilität bieten will“, bewertet das Daniela Heimann vom Landeselternbeirat NRW. Um solche Versprechungen  auch einhalten zu können, müsste aber der Fachkräftemangel in den Einrichtungen beseitigt sein. „Dieses Thema muss die neue Landesregierung jetzt angehen, akut und noch vor dem Herbst“, forderte sie.

Die Wirtschaftsunternehmen treibt vor allem die Sorge vor neuen Einschränkungen um, die Firmen wieder ausbremsen könnten. „Erneute gravierende Einschränkungen des Wirtschaftslebens oder gar Schließungen wären fatal. Unterbrechungen von Lieferketten und auch Schulschließungen müssen unbedingt vermieden werden“, sagte Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer  von Unternehmer NRW. Es gelte, zielgerichtete und „verhältnismäßige“ Maßnahmen zu entwickeln, die den Unternehmen Planungssicherheit und Verlässlichkeit böten. Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes in NRW, Anja Weber, mahnte wiederum den Schutz der Menschen am Arbeitsplatz an – und zwar sowohl vor Ansteckung als auch vor Überlastung. „Das bedeutet, die Impfkampagne jetzt neu zu beleben und auch in den Betrieben beim Gesundheitsschutz nicht nachzulassen.“

Die FDP im Landtag pocht vor allem auf eine Faktengrundlage für neue Maßnahmen.  „Für uns ist klar: Liegen keine umfangreichen und präzisen Daten vor, dürfen Grundrechte nicht pauschal oder auf Vorrat eingeschränkt werden“, so der Fraktionschef Henning Höne. „Wir begrüßen die Feststellung der Ministerpräsidentenkonferenz, dass weitere Digitalisierungsschritte für die Bereitstellung zwingend notwendiger Daten zur Einschätzung des Infektionsgeschehens weiterhin erforderlich sind. Darauf wartet das gesamte Land schon viel zu lange.“

Massive Kritik kommt vom Sozialverband VdK. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass wir jetzt ohne Not die Maskenpflicht in den Seniorenheimen wieder abschaffen“, sagte dessen Vorsitzender Horst Vöge. „Wenn wir leichtsinnig werden, müssen wir im Herbst mit Radikalmaßnahmen, also dem Entzug weitreichender Freiheitsrechte, reagieren.“

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