Interview mit Ben Becker „Das Publikum ist vorsichtiger geworden“

Der Schauspieler, Sprecher und Sänger will auch im Sparkassenpark Wohnzimmer-Atmosphäre schaffen. Auf den Dialog mit seinem Publikum könne er nicht verzichten, sagt er im Interview.

 Ben Becker kommt nach Mönchengladbach.

Ben Becker kommt nach Mönchengladbach.

Foto: picture alliance / ZB/Thomas Schulze

Herr Becker, bemerken Sie bei kulturellen Großveranstaltungen noch eine Zurückhaltung beim Publikum?

Ben Becker Das Publikum ist auf alle Fälle etwas vorsichtiger geworden. Und es wird deutlich länger dauern, bis sich das Theaterpublikum wieder in einen Saal setzt, als die jungen Leute, die zu einem Techno-festival marschieren. Das ist zwar verständlich, aber unheimlich traurig für uns Künstler. Weil man gerade als Freiberufler nicht nur finanziell davon lebt, sondern eben auch als Person, als Mensch. Dass man plötzlich nicht mehr auftreten darf, stimmt einen manchmal depressiv. Ich bin glücklich, wenn ich arbeiten darf.

Also Kunst als ein Bedürfnis auch des Künstlers…

Becker …davon lebe ich, davon zehre ich. Kunst ist meine Berufung. Die hat man mir genommen. Und das ist furchtbar. Weil ich mich äußern muss und ich Publikum einfach brauche, mache ich jetzt kleinere Veranstaltungen in kleinen Theatern wie dem Renaissancetheater Berlin und dem St.-Pauli-Theater Hamburg – ohne große technischem Aufwand. Dann sind das halt nur 150 oder 200 Leute. Aber ich bleibe doch wenigstens meinem Berufsstand treu! Befremdlich bleibt natürlich, dass man nicht länger als eine Stunde spielen darf. Das sind Auflagen, bei denen ich mich frage: Kinders, wo holt ihr so etwas bloß her!

Helge Schneider hat vor einigen Wochen in einem seiner nachdenklich Corona-Videos im Internet verkündet, dass er vor Autos nicht auftreten wird. Sie werden in Mönchengladbach vor Menschen in Strandkörnen lesen.

Becker Ehrlich gesagt, kann ich mir das noch gar nicht vorstellen, wie das aussieht. Denn letztlich soll das ein privater Abend sein, bei dem die Menschen quasi zu mir im Wohnzimmer eingeladen sind. Vor Autos würde ich auch nicht lesen, aber Strandkörbe haben zumindest keine Windschutzscheibe. Ob auch der Dialog mit dem Publikum, den ich so sehr schätze, wie im Theater auch zustande kommt, darauf bin ich sehr gespannt.

Wie damals bei Ihnen zuhause.

Becker Genau, als Herr Sander noch unter uns weilte, gab es die alte Tradition, zu Weihnachten nach dem Essen viele Schauspielerkollegen zu einer großen Tafel einzuladen. Und dann wurde mehrmals im Keller der Rotwein hochgeholt, bis schließlich der Gedichtband „Der Ewige Brunnen“ auf den Tisch kam. Da freuten sich alle drauf. Der eine las dieses, der andere jenes Gedicht. Und so ist eigentlich auch mein Programm entstanden – aus lauter Lieblingsgedichten. Und dazu erzähle ich Anekdoten, weil ich mich mit den Menschen auch unterhalten möchte.

Die Erstausgabe der Anthologie von „Der Ewige Brunnen“ ist 1955 erschienen, also noch in der Nachkriegszeit. War das Zufall?

Becker Ganz bestimmt nicht. Vielleicht haben die Menschen zu dieser Zeit – bei aller Vorsicht – aber auch so etwas wie Stolz empfunden über die große deutsche Dichtung. Der Trost in diesen alten Gedichten steckt darin, dass in ihnen immer noch ein Fünkchen Wahrheit schlummert und etwas von dem Leben, das wir alle kennen. Ich kann mich ja nur auf etwas einlassen, wenn ich mich selbst darin irgendwie wiederentdecke.

Wissen Sie, warum Menschen Gedichte lesen, schreiben und im Rhythmus kommunizieren?

Becker Der Rhythmus liegt dem Menschen im Blut. So wie unser Herz im Rhythmus schlägt. Darum tanzen die Menschen auch so gerne. Und warum man dichtet? Vielleicht, um sich tatsächlich einen Reim auf bestimmte Dinge zu machen und sich etwas von der Seele zu schreiben.

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