NRW - Wirtschaft im Wandel (8/11) Europas Logistik-Könige aus Erkrath

Erkrath · Timocom hat zunächst eine Art schwarzes Brett für die Transportbranche entwickelt. Inzwischen dominiert das Familienunternehmen mit seiner Plattform den europäischen Markt – und fürchtet sich auch nicht vor Uber und Co.

 Tim Thiermann und Sebastian Lehnen leiten das Erkrather Unternehmen Timocom.

Tim Thiermann und Sebastian Lehnen leiten das Erkrather Unternehmen Timocom.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Es gibt hier Billardtisch und Bällebad – sogar Liegeräume können die Mitarbeiter nutzen, wenn sie zwischendurch eine kurze Auszeit von der Arbeit brauchen. In der Kantine, die hier Speisezimmer genannt wird, sitzen junge Leute. Selbst die beiden Geschäftsführer sind noch keine 40 Jahre alt. Alles hier erinnert an eines dieser jungen Start-ups aus Berlin-Mitte.

Doch das moderne Gebäude am Timocom-Platz 1 steht nicht in Berlin, sondern in Erkrath, einer 46.000-Einwohner-Stadt im Kreis Mettmann. Timocom ist kein Start-up, sondern ein in zweiter Generation geführtes Familienunternehmen – dem allerdings etwas gelungen ist, was bislang fast keinem europäischen Unternehmen gelungen ist: Die Erkrather sind in ihrem Segment zur dominierenden Plattform in Europa aufgestiegen. An Timocom, das hört man in der Logistikbranche immer wieder, kommt man nicht mehr vorbei.

Die Geschichte von Timocom beginnt 1997

Plattformen sind eines der wichtigsten Elemente der digitalen Ökonomie – und in der Regel sind sie in den USA entstanden. Unterkünfte werden über Airbnb vermittelt, Amazon ist zur wichtigsten Handelsplattform der westlichen Welt aufgestiegen und wer mit seinem Angebot nicht im App-Store von Google oder Apple gelistet ist, spielt auf dem Smartphone keine Rolle.

Die Geschichte von Timocom beginnt 1997, knapp drei Jahre nach der Gründung von Amazon und ein Jahr vor der Gründung von Google. Nach seiner Ausbildung zum Speditionskaufmann beim Logistiker Schenker hatte sich Jens Thiermann zunächst mit einer eigenen Spedition selbstständig gemacht, bevor er dann Timocom gründete, das im Laufe der Jahre eine Art schwarzes Brett für die Transporte entwickelte.

Bis zu 750.000 Angebote werden heute abgewickelt – pro Tag

Über die Frachtenbörse können Unternehmen passende Lkw-Transporteure finden. Diese wiederum können über Timocom ihre Fahrten besser auslasten. Ein Meilenstein für die Speditionsbranche, in der Jahrzehnte Telefon und Fax dominierten. In der weitverzweigten Unternehmenszentrale in Erkrath steht eine Vitrine, in der man den technischen Fortschritt in der Firmengeschichte auf zwei Glasböden drappiert hat: Begonnen hatte Timocom einst mit dem Verschicken von Disketten, heute läuft alles über Rechenzentren. Bis zu 750.000 Angebote werden inzwischen über die Plattform abgewickelt – pro Tag.

Gleichzeitig hat das Unternehmen damit begonnen, rund um das schwarze Brett weitere Dienstleistungen anzubieten. Lastwagen lassen sich per GPS live verfolgen, so dass der Standort der Ware jederzeit sichtbar ist. Das Unternehmen betreibt sogar ein eigenes Inkassobüro. „Wir schauen uns natürlich alle Schritte im Logistikprozess an – und gucken dann, wie wir unsere Kunden noch stärker unterstützen können“, sagt Tim Thiermann, der die Leitung des Unternehmens im vergangenen Jahr von seinem Vater übernommen hat. Mit 31 Jahren ist er nun gemeinsam mit dem ebenfalls erst 38-jährigen Sebastian Lehnen für rund 500 Mitarbeiter verantwortlich.

„Tims Vater hat uns geschliffen.“

„Tims Vater hat uns geschliffen – und das meine ich absolut positiv. Er hat viel gefordert von uns“, sagt Lehnen. Und nun wollen die beiden Timocom auf das nächste Level bringen, denn es greifen auch immer mehr Start-ups wie Uber oder Sennder im Logistikbereich an und treiben die Digitalisierung der Branche voran. Finanziert werden sie mit Millionensummen von Wagniskapitalgebern. Doch diesen Schritt will Timocom nicht gehen. Das Unternehmen will weiter aus eigener Kraft wachsen. 100 Millionen Euro sollen bis 2030 in Forschung und Entwicklung fließen. Möglich machen das auch die satten Gewinne aus den vergangenen Jahren. Allein 2018 blieb ein Ergebnis nach Steuern von mehr als 22 Millionen Euro, obwohl die Logistikbranche generell als margenschwach gilt.

„Sie haben zur richtigen Zeit das Richtige gemacht“, sagt ein Spediteur, der lieber anonym bleiben möchte: „Die Spediteure brauchen diese Plattform.“ Er spricht angesichts der Übermacht von Timocom von einer Hassliebe. Denn einerseits profitieren die Logistiker von den Leistungen der Plattform, andererseits können viele auch nicht mehr ohne – selbst wenn sie wollten.

Die Timocom-ID ist zu einem Qualitätssiegel geworden

Die Timocom-ID, die das Unternehmen an Kunden vergibt, ist zu einer Art Qualitätssiegel in der Branche geworden. Je niedriger die Zahl, desto länger ist ein Unternehmen bereits auf der Plattform gelistet – ohne Zwischenfälle, denn diese würden registriert und geahndet. Im Unternehmen erzählen sie, dass manche Kunden ihre Timocom-Nummer sogar in ihre Signatur bei E-Mails aufgenommen hätten.

Vor Uber-Freight und Co. haben sie in Erkrath daher keine Angst. Und auch Jens Thiermann kann seinen Ruhestand genießen – und sich um andere Projekte kümmern. Im Juli übergab er gemeinsam mit seiner Frau die Schlüssel für „Timos Fuchsbau“ an Bürgermeister Christoph Schultz. Die Unternehmerfamilie hatte der Stadt Erkrath eine Kindertagesstätte gestiftet.

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