Interview Carsten Schildknecht „NRW sollte Vorreiter bei Nachhaltigkeit sein“

Köln · Der Vorstandschef des Versicherers Zurich Gruppe Deutschland über Chancen in der Corona-Krise, die Möglichkeiten mit Geldanlagen für mehr Nachhaltigkeit zu Sorgen und den Wandel in einer auf Sicherheit ausgelegten Branche.

Foto: Zurich/CALEB RIDGEWAY

Es hat sich viel getan, seit Carsten Schildknecht 2018 den Vorstandsvorsitz beim Versicherer Zurich Gruppe Deutschland übernommen hat – und das nicht nur, weil das Unternehmen seinen Sitz von Bonn nach Köln verlegt hat. Der Manager hat dem Unternehmen einen Modernisierungsschub verordnet. Das half, als Corona die Arbeit im Homeoffice nötig machte.

Sie waren sieben Jahre bei McKinsey. Qualifiziert ein solcher Job besonders gut für Führungspositionen bei Versicherungen – immerhin gibt es mit Allianz-Chef Oliver Bäte und Ergo-Chef Markus Rieß ja auch weitere Ex-Meckies als Vorstandschefs?

Schildknecht Das würde ich nicht überbewerten, es gibt einfach sehr viele Manager, die zumindest einige Jahre bei einer Beratung gearbeitet haben. Aber klar, man lernt dort natürlich, sich  intensiv mit Management-Prozessen und -Strategien zu beschäftigen – und dabei immer eine Top-Management-Perspektive einzunehmen. Das ist hilfreich.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem, was man als McKinsey-Berater rät und was man am Ende als Manager umsetzen muss?

Schildknecht Der große Unterschied ist, dass man als Manager nicht nur eine Strategie entwickelt, sondern diese auch über mehrere Jahre umsetzen muss. Ein guter Manager zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er nicht am Fließband neue Strategien entwickelt , sondern dass als richtig erkannte Strategien konsequent implementiert werden. Und dabei gilt es, die Mitarbeitenden nicht nur einzubinden, sondern zu Mitgestaltern zu machen..

Wie verändert man ein Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitern und mehr als 100 Jahren Geschichte? Wie stößt man Wandel an?

Schildknecht Wir haben erstmal den Mitarbeiter in den Mittelpunkt gestellt. Der kulturelle Wandel ist eine wesentliche Voraussetzung, um im digitalen Wandel die Chancen zu nutzen. Denn wir müssen unsere Stärken – Beratung und Service – ja weiterhin ausspielen. Und die leben vom Einsatz der Mitarbeiter.

Speziell Start-ups greifen inzwischen auch die Versicherungsbranche an. Was hat sich dadurch verändert?

Schildknecht Das stimmt. Start-ups haben unserer Branche im Grunde zweierlei gezeigt: Wie man dem Kunden einfache Lösungen bietet und diese möglichst schnell aufbaut. Sie haben den Finger in die Wunde gelegt. Viele Versicherer haben daher angefangen, mit Start-ups zu kooperieren oder Dinge zu kopieren.

Sie auch?

Schildknecht Klar,  wir suchen ganz gezielt den Kontakt, beispielsweise auch im Startplatz Cologne, im InsurLab Germany oder im Rahmen der Zurich Innovation Championships. Es existiert aber kein vorgefertigtes Modell, sondern wir entscheiden im Einzelfall. Wir haben zum Beispiel mit Dentolo ein Start-up in Berlin gekauft, um in die Zahnzusatzversicherung einzusteigen. Wir können uns umgekehrt aber auch genauso gut vorstellen, Kunde von Start-ups zu sein oder mit ihnen zu kooperieren.

Wie wird die Corona-Pandemie die Start-up-Szene verändern?

Schildknecht Bei vielen Start-ups wird die Spreu jetzt relativ rigoros vom Weizen getrennt. Wer keine Idee hat, die sich jetzt in der Krise bewährt, wird zügig aus dem Markt ausscheiden.

Und wie wird sich der Standort NRW wandeln?

Schildknecht Ich sehe große Chancen. Corona ist für den Wandel ein Beschleuniger. Bei der Digitalisierung haben wir das ja schon erlebt, ich glaube aber auch, dass das in NRW beim Thema Nachhaltigkeit gelingen kann, wenn man auch die Milliarden-Schutzschirme von EU, Bund und Land richtig einsetzt. Wenn wir schon Billionen Euro Konjunkturhilfen in die Hand nehmen, sollten wir sie auch nutzen, um unsere Wirtschaft unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten umzubauen. NRW sollte sich dabei an die Spitze der Bewegung stellen.

Und welche Rolle können dabei Versicherungen spielen?

Schildknecht Die großen Kapitalsammelstellen sind natürlich gefragt, durch die Anlage der Gelder den ökologischen Wandel zu beschleunigen. Wir können beispielsweise beim Thema Altersvorsorge Gelder unter Berücksichtigung von ESG Kriterien so anlegen, dass sie nicht nur dem Einzelnen für die Altersvorsorge, sondern auch der nächsten Generation für die Sicherung einer lebenswerten Zukunft zugutekommen. Und auch da spielt NRW eine wichtige Rolle, immerhin ist hier der wichtigste Versicherungsstandort in Deutschland.

Vor München mit der Allianz?

Schildknecht Aus meiner Sicht sogar deutlich vor München (lacht).

Warum ist NRW eigentlich so ein wichtiger Versicherungsstandort?

Schildknecht Entlang der Handelsader Rhein sind viele Versicherungen gewachsen. Die Agrippina, die seit den 1960er Jahren zu Zurich gehört, war der erste Versicherer in Köln. Die heutige Zurich Lebensversicherungssparte, der Deutscher Herold, zog nach dem Zweiten Weltkrieg von Berlin in die damals neue Bundeshauptstadt Bonn. Hinzu kommt, dass in NRW natürlich auch viele Kunden sitzen und das Land heute über eine exzellente Hochschullandschaft verfügt. Die Fachhochschule sowie die Universität in Köln sind zum Beispiel extrem stark bei der Versicherungslehre. Aus meiner Sicht muss man sich um den Standort NRW keine Sorgen machen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort