WM-Titel für den Gastgeber Früher war mehr Heimvorteil

Düsseldorf · Bei bislang 20 Fußball-Weltmeisterschaften siegte sechsmal der Gastgeber. Zuletzt erlebten die Heimteams aber Enttäuschungen. Auch beim russischen Team sind die Erwartungen nun eher gering.

1974 nutzte Deutschland mit Rainer Bonhof, Bernd Hölzenbein und Jürgen Grabowski (von links) seinen Heimvorteil und gewann den WM-Titel.

1974 nutzte Deutschland mit Rainer Bonhof, Bernd Hölzenbein und Jürgen Grabowski (von links) seinen Heimvorteil und gewann den WM-Titel.

Foto: ullstein

Selbst der Kremlchef ist ein wenig in Sorge. “Ich muss leider zugeben, dass unsere Mannschaft jüngst keine guten Ergebnisse erzielt hat”, sagte Wladimir Putin kurz vor dem Start der Weltmeisterschaft in Russland. Eine Mischung aus Vorfreude und Skepsis begleitet derzeit den Gastgeber, der am Donnerstag (17 Uhr MESZ) das Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien bestreitet. Reicht die Qualität der russischen Mannschaft zumindest für den Einzug ins Achtelfinale? Und kann der Heimvorteil dabei wirklich helfen?

Letzteres ist durch infrage zu stellen, denn bei den vergangenen Turnieren erlebten die Gastgeber allesamt große Enttäuschungen: In Südafrika schied 2010 erstmals das Heimteam bereits in der Vorrunde aus. Und vier Jahre später platzte der Titeltraum Brasiliens im Halbfinale bei der historischen 1:7-Pleite gegen Deutschland. Der Rekordweltmeister schien durch die Erwartungshaltung des gesamten Landes schier erdrückt zu werden, jegliche südamerikanische Leichtigkeit war aus der Selecao gewichen.

So ist es nun bereits 20 Jahre her, dass der Gastgeber den Titel holte, Frankreich triumphierte 1998 und war damit die sechste siegreiche Heimmannschaft. Zuvor hatten Uruguay 1930, Italien 1934, England 1966, Deutschland 1974 und Argentinien 1978 im eigenen Land den Titel geholt. Und darüber hinaus wussten kleinere Fußball-Nationen den Heimvorteil zu nutzen.

Kleinere Fußball-Nationen feierten daheim ihre größten Erfolge

Schweden musste sich 1958 erst im Finale den Brasilianern um den jungen Pele geschlagen geben, nachdem es zuvor den amtierenden Weltmeister Deutschland geschlagen hatte. Vier Jahre später sicherte sich Chile daheim den dritten Platz. Für beide Nationen ist es bis heute das beste WM-Ergebnis. Mexiko schaffte es immerhin zweimal ins Viertelfinale - jeweils bei der Heim-WM 1970 und 1986. Und Südkorea erreichte 2002 sogar das Halbfinale, dort war allerdings gegen Deutschland Endstation (0:1).

Titelkandidaten waren sie allesamt nicht, ebensowenig wie die USA (1994), Südkoreas Co-Gastgeber Japan (2002) oder Südafrika (2010). Und da Nationen wie Italien (1990), Deutschland (2006) oder Brasilien (2014) kein Heimsieg gelang, gab es in den vergangenen 40 Jahren nur einen siegreichen Gastgeber. Und es ist gut möglich, dass diese Serie noch ein wenig weitergeht. Auf Russland 2018 folgt mit Katar 2022 ebenfalls kein wirklicher Titelkandidat. Ob einer der drei Ausrichter der WM 2026, Kanada, USA oder Mexiko, ernsthafte Chancen hat, ist ebenfalls unwahrscheinlich.

Deutschland war 2014 erster europäischer Sieger in Südamerika

Aber nicht nur die Tatsache, dass mittlerweile häufiger kleine Fußball-Nationen die Ausrichtung der WM zugesprochen bekommen, spricht gegen den Gastgeber-Vorteil. Für die Favoriten spielt es mittlerweile keine Rolle mehr, auf welchem Kontinent die WM ausgetragen wird. So siegte 2010 in Südafrika mit Spanien erstmals ein europäisches Team außerhalb Europas. Und vier Jahre später war Deutschland der erste europäische Sieger in Südamerika.

Brasilien würde sich nun gern revanchieren und zum zweiten Mal nach 1958 in Europa triumphieren. Russland dürfte auf dem Weg dorthin kein Stolperstein für den Rekordweltmeister sein. Der Gastgeber hofft darauf, mehr als nur drei Gruppenspiele zu bestreiten. Dank der schwachen Gruppe A mit Uruguay, Ägypten und Saudi-Arabien stehen die Chancen gar nicht so schlecht. Trotzdem wäre das Achtelfinale für die russische Mannschaft schon als Erfolg zu werten.

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