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Machtwort des Kanzlers Sind drei Partner einer zuviel?

Meinung | Berlin · Im Atomstreit zwischen FDP und Grünen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erstmals seine Richtlinienkompetenz genutzt. Mit einem Kanzler-Machtwort beendete er den Konflikt um den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Wie wirkt sich das auf das Klima in der Ampel aus?

Es gibt diesen einen Punkt in Beziehungen, an denen auch mit besten Absichten und feinfühligsten Vermittlungsversuchen nichts mehr zu machen ist. Dann sind Entscheidungen gefragt. Oft sehr schwierige. Von einer Trennung waren Kanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner am Sonntag beim Krisentreffen im Kanzleramt noch ein Stück weit entfernt. Doch der SPD-Kanzler, der grüne Wirtschaftsminister und der FDP-Vorsitzende hatten sich in den vergangenen Wochen verhakt. Politisch allemal, persönlich ein wenig.

Habeck nahm Lindner übel, dass dieser sich nicht an bereits getroffene Absprachen halten wollte. Lindner wiederum fand es gelinde gesagt schwierig, dass eine Vorstellung des Bundeswirtschaftsministeriums zum Streckbetrieb schon als abgestimmtes Regierungshandeln verkauft wurde. Habeck wiederum hatte den Grünen-Parteitag im Nacken und sich auch deshalb schon einen politischen Zeitplan zurecht gelegt. Den machte Lindner zunichte, dem wiederum noch die krachende Niederlage der FDP bei der Niedersachsenwahl in den Knochen steckte. Stattdessen ließ er wissen, dass er auf einem Gespräch mit Kanzler, Vizekanzler und Betreiberfirmen der drei verbliebenen Akw bestehe, um dieses dann aus Washington wahrzunehmen, wo er beim IWF weilte.

Wie also sollte nun eine für alle drei Beteiligten gesichtswahrende Lösung mit möglichst minimalem Schaden in die eigenen Parteien hinein aussehen?

Scholz beriet sich, zog dann sozusagen die Reißleine. Mit einem Kanzler-Machtwort in Form eines knappen Briefs an sein Kabinett beendete er den wochenlangen Konflikt. „Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrte Kollegen, ich habe als Bundeskanzler entsprechend Paragraph 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung die folgende Entscheidung getroffen“, war da zu Beginn zu lesen. Der Brief endete mit der Bitte, „im Rahmen der Geschäftsverteilung die entsprechenden Regelungsvorschläge dem Kabinett nun zeitnah vorzulegen.“ Punkt. Im August hatte Scholz ein solches Vorgehen für sich in dieser Form noch ausgeschlossen.

Ob man das Vorgehen bereits verabredet hatte, als die drei Männer am Sonntag auseinandergingen, ist Gegenstand vieler Spekulationen in der Hauptstadt. Auf jeden Fall hatte man kein weiteres Treffen für den Montag vereinbart, eine Entscheidung in irgendeiner Form musste also besprochen worden sein. Lindner twitterte am Montag jedenfalls recht schnell nach der Veröffentlichung des Briefes. Auch Habeck wirkte am Abend im Fernsehen sehr gefasst. Grünen-Chefin Ricarda Lang wiederum hatte noch am Morgen betont, dass die Grünen rote Linien verteidigten und sich schon maximal weit bewegt hätten, dem Akw-Weiterbetrieb überhaupt noch über den 31. Dezember hinaus zuzustimmen.

Habeck jedenfalls sprach nach der Entscheidung von einer „unüblichen Lösung in einer verfahrenen Situation“, für die der Kanzler die „maximale Autorität“ eingesetzt habe. „Mit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers wurde heute ein Weg gezeigt, wie wir da rauskommen.“ Und er betonte: „Und das ist ein Weg, mit dem ich gut arbeiten und leben kann.“

Die grüne Partei- und Fraktionsführung folgte ihrem Kabinettsmitglied - widerwillig. Lang etwa war am Dienstag sehr schmallippig: „Der Kanzler hat sich jetzt entschieden, Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz zu machen - wir werden diesen Weg als Partei mitgehen“. Dann verschwand sie, Fragen beantwortete die Grünen-Chefin keine. Doch auch die grüne Fraktionsspitze signalisierte trotz inhaltlicher Vorbehalte Unterstützung. Bei der FDP war man dagegen hochzufrieden: „Es ist die richtige Entscheidung für unser Land, denn wir brauchen stabile Energienetze“, unterstrich FDP-Fraktionschef Christian Dürr.

Worauf stützte sich der Kanzler eigentlich beim Verfassen des Briefes? Das Grundgesetz sichert dem Bundeskanzler innerhalb der Regierung eine starke Stellung zu. Er ernennt die Minister und bestimmt nach Artikel 65 „die Richtlinien der Politik“. Scholz verwies in seinem Schreiben an sein Kabinett aber nicht auf das Grundgesetz, sondern auf Paragraf 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Dort heißt es nochmals ausdrücklich: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der inneren und äußeren Politik. Diese sind für die Bundesminister verbindlich.“

In der politischen Praxis wurde über die Frage der Richtlinien schon des Öfteren gestritten - so 2018 unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Asylstreit mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die CSU vertrat die Ansicht, Seehofers Plan zur Zurückweisung von Flüchtlingen sei nur eine Frage behördlichen Handelns und falle somit allein in den Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums. Merkel musste in dem Streit mehrfach auf ihre Richtlinienkompetenz verweisen, Seehofer gab sich schließlich mit einem Minimalzugeständnis zufrieden.

Der frühere SPD-Fraktionschef Franz Müntefering hatte die Anwendung der Richtlinienkompetenz in Regierungsbündnissen als „nicht lebenswirklich“ bezeichnet: „Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“ Die Opposition zitierte diesen Spruch am Dienstag genüsslich.

Ist nach der Richtlinienkompetenz also nun vor der Vertrauensfrage? Die Antwort lautet Nein. Die Koalition wird an dieser Frage nicht zerbrechen. Aber die nächsten drei Jahre werden nicht einfacher.

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