Vor der Westbalkan-Konferenz in Berlin Nachbarschaft mit einem ewigen Pulverfass

Berlin · Mit der Berlin-Konferenz am Donnerstag will die Bundesregierung die Staaten des Westlichen Balkans auf den EU-Pfad bringen. Serbien wird sich entscheiden müssen, ob es tatsächlich nach Europa will oder lieber auf Russland setzt. Bundeskanzler Olaf Scholz hofft als Gastgeber durch drei konkrete Abkommen auf „substanzielle Ergebnisse“

Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic -- hier bei einem Besuch im Sommer in Belgrad -- ein Bekenntnis für den Weg seines Landes nach Europa

Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic -- hier bei einem Besuch im Sommer in Belgrad -- ein Bekenntnis für den Weg seines Landes nach Europa

Foto: dpa/Michael Kappeler

Olaf Scholz wird Aleksandar Vucic tief in die Augen schauen. Wie hält es der Präsident Serbiens künftig mit Russland, wo sein Land doch seit Jahren in die Europäische Union strebt? Lieber mehr Russland oder lieber mehr Europa? Wenn der deutsche Bundeskanzler an diesem Donnerstag in Berlin Gastgeber für diesen nächsten Westbalkan-Gipfel ist, steht auch die Frage im Raum, wie sehr Serbiens Präsident sein Land überhaupt noch nach Europa führen will. Scholz kommt an diesem Tag in Berlin aber auch an einem weiteren Sorgenkind der Region nicht vorbei. So wird der Bundeskanzler auch Kosovos Premierminister Albin Kurti nicht aus der Verantwortung für ein möglichst friedliches Zusammenleben auf dem westlichen Balkan lassen können. Serbien und das Kosovo stehen sich in inniger Ablehnung gegenüber. Doch in Zeiten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine heißt es in der Umgebung von Scholz: „Die Zeit spielt nicht für die Region. Für einen Konflikt wie zwischen Serbien und Kosovo ist heute einfach kein Platz.“ Oder auf gut Gastgeber-Deutsch: Vertragt euch!

Gleichwohl gibt es in der deutschen Regierung die klare Erwartung vor allem an Vucic, sich zu positionieren: Europa oder Russland. Im Scholz-Lager hatte man sehr wohl registriert, dass Serbien ausgerechnet in der Woche der UN-Generalversammlung im September in New York ein Abkommen mit Russland zur Koordinierung der Außenpolitik beider Länder für die Jahre 2023 und 2024 geschlossen hat. Angesichts der „geopolitischen Entwicklung“, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, gebe es schlicht eine „Entscheidungsnotwendigkeit“ für Serbien, betont ein Kanzler-Berater. Serbien solle sich endlich dem EU-Sanktionsregime gegen Moskau anschließen. Man wisse zwar um die traditionell engen Beziehungen zwischen Serbien und Russland. Doch das bringe den EU-Anwärterstaat auch in eine „schwierige Lage“. Oder anders gesprochen: „Auf dem Zaun zu sitzen, wird zunehmend unbequem in der jetzigen Lage.“

Trotzdem will Scholz bei seinem „Berliner Prozess“ auch „substanzielle Ergebnisse“ präsentieren. So sollen die Regierungschefs der sechs Westbalkanstaaten – darunter Vucic und Kurti – in Anwesenheit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drei Abkommen unterzeichnen, durch die sie das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger in der Praxis tatsächlich erleichtern. Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien wollen demnach im Bundeskanzleramt Abmachungen unterschreiben, in denen sie die Personalausweisdokumente und die Universitätsabschlüsse ihrer Länder wie auch ausgewählte Berufsabschlüsse in ihren Staaten jeweils gegenseitig anerkennen. Nach zwei Jahren Verhandlungen soll damit von der Berliner Westbalkan-Konferenz ein sichtbares Zeichen nach Europa geschickt werden, dass die Zusammenarbeit auf dem komplizierten und konfliktbeladenen Westbalkan tatsächlich besser werden soll. Von der Leyen wie auch EU-Ratspräsident Charles Michel, der ebenfalls in Berlin dabei ist, werden es ebenso wohlwollend wie aufmerksam verfolgen. „Das wären dann echte praktische Fortschritte“, so ein Scholz-Vertrauter über die erwarteten Abkommen auf Gegenseitigkeit. Doch wegen der andauernden Spannungen zwischen Serbien und Kosovo wird beim Gastgeber „nicht nur mit Harmonie“ gerechnet. Auch in Bosnien-Herzegowina sehen mehrere EU-Staaten nach den Wahlen dort eine schwierige Lage. Da wäre es gut, wenn sich die Westbalkan-Staaten am Donnerstag bei ihrem Gipfel in Berlin darauf verständigen könnten, ihre Energiesektoren besser zu vernetzen und eine Energiewende in ihren Ländern voranzubringen. Schon heute seien die Länder des westlichen Balkans Teil einer europäischen Plattform für den Energieeinkauf, betont man in Berlin. Auf dem Energiesektor soll für den Westbalkan jedenfalls die Devise gelten: So wenig Abhängigkeit von Russland wie möglich.

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