Trotz Zensur Wie Iraner in Deutschland Kontakt in die Heimat haben

Berlin · Seit Beginn der systemkritischen Proteste im Iran erschwert Zensur die Kommunikation mit Familie und Freunden in Deutschland. Unmöglich ist sie nicht - doch eine Umgehung birgt Risiken.

Mahsa Amini: So reagiert die Welt auf die Proteste im Iran
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So protestiert die Welt gegen den Tod der Iranerin Mahsa Amini

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Foto: dpa/Lorena Sopêna

Aus ihrem grauen Kapuzenpullover heraus beobachtet Asadeh die Menschen zwischen den Säulen des Brandenburger Tors in Berlin. In ihrer Hand hält sie eine Postkarte mit dem Bild des Freiheitsturms (Asadi) von Teheran, der iranischen Hauptstadt. Es ist ihre Erinnerung an ihr Heimatland. Ihr Name ist nicht Asadeh, sie möchte unerkannt bleiben. Denn sie hält trotz Zensur im Iran Kontakt mit ihrer dortigen Familie. Darüber zu sprechen sei nicht ungefährlich, sie möchte nichts riskieren. Auch oder gerade weil sie vorhat, das Land baldmöglichst wieder zu besuchen. „Nicht, weil ich eine lustige Zeit dort hatte“, sagt sie, „das Einzige, das mich zurückbringt, sind meine Eltern“.

Seitdem die systemkritischen Massenproteste im Iran vor etwa sechs Wochen ausgebrochen sind, hat das Land eine noch striktere Internetzensur vor allem der sozialen Netzwerke erlebt. „Facebook und Twitter waren bereits seit vielen Jahren gesperrt, aber dieses Mal wurden auch Instagram und WhatsApp blockiert“, sagt ein Iran-Experte, der jahrelang dort gelebt hat und „aus Sicherheitsgründen“ ebenfalls anonym bleiben möchte. Doch viele Iranerinnen und Iraner hält diese Barriere nicht ab. „Jeder umgeht diese Zensur, selbst diejenigen, die das iranische Regime unterstützen. Denn wenn es keinen Zugang zu den sozialen Medien gibt, dann gilt das für alle“, sagt der Experte.

Auch Asadehs Familie umgeht die Zensur. Ihre Mutter nutzt eine Vielzahl an sogenannten VPNs (Virtual Private Network, auf Deutsch: virtuelles privates Netzwerk). Das ist ein in sich abgeschlossenes Netzwerk, das der verschlüsselten Kommunikation über das Internet dient. Eine solche Verbindung wird zum Schutz der eigenen Privatsphäre eingesetzt, aber auch um Zensurbeschränkungen zu umgehen. Über einen Messengerdienst hält Asadeh so Kontakt zu ihrer Familie. Doch völlig unbeschwert und offen spricht sie trotz der Verschlüsselung nicht mit ihr, vor allem nicht über die Proteste. Zu groß ist die Angst, von der Regierung abgehört zu werden.

Und diese Angst ist dem Iran-Experten zufolge nicht unberechtigt. „Ich habe Informationen, wonach einige der VPNs, für die die Menschen bezahlen und die sie kaufen, von der Regierung bereitgestellt werden“, sagt er. Sie seien damit eigentlich Schadsoftware. „Sie fungieren zwar als VPN und ermöglichen den Zugang, aber sie geben der Regierung auch die Möglichkeit der Überwachung.“ Und weiter fügt er hinzu: „Niemandes Telefon ist wirklich sicher.“ Kürzlich habe er gehört, dass beispielsweise ein Zugriff aufs Bankkonto mit der Installation einer staatlich zertifizierten App verknüpft sei. „Und in dem Moment, in dem man sie installiert, bedeutet das, dass die Sicherheit gefährdet ist.“

Asadeh hat auch deswegen ihren Eltern nicht von ihrer Teilnahme an der großen Demonstration in Berlin vor etwa eineinhalb Wochen erzählt. Rund 80 000 Menschen kamen dabei nach Einschätzungen der Polizei aus weiten Teilen Europas aus Solidarität mit den Protesten im Iran zusammen. Es war eine der größten Solidaritätsdemonstrationen mit dem Iran im Ausland der vergangenen Jahrzehnte.

Auslöser der systemkritischen Massenproteste im Iran war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Weil sie die Vorschriften für das Tragen eines Kopftuchs nicht eingehalten haben soll, war Amini von der Sittenpolizei festgenommen worden. Sie starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Mehr als 10 000 Menschen wurden im Zusammenhang mit Protesten nach Angaben von Menschenrechtlern festgenommen, mindestens 250 getötet.

„Die iranische Bevölkerung zeigt, dass es ihr reicht“, sagt Ehsan Djafari, Vorstandssprecher der Iranischen Gemeinde in Deutschland. „Und deshalb sind viele Menschen, die vielleicht bis vor sechs Wochen irgendwelche öffentliche Äußerungen beziehungsweise Positionierungen gegen das Regime lieber vermieden hätten, jetzt zum Teil bei den Demonstrationen ganz vorne mit dabei und führen diese großartige revolutionäre Bewegung im Ausland mit an, denn sie haben keine Angst mehr“, sagt er.

Auch die Moderatorin und Journalistin Susan Zare hielt sich bis zum Beginn der Proteste wegen ihres Berufs mit öffentlichen Äußerungen sehr zurück. Mittlerweile nutze die in Köln wohnende Deutsch-Iranerin ihren sozialen Medienauftritt aktiv, um über die Geschehnisse im Iran zu berichten. Auch ihre Familie vor Ort nutze zur Kommunikation VPN-Verbindungen, sagt sie. „Wir sprechen am Telefon nur über sehr einfache Sachen, weil da immer die Angst herrscht, dass man abgehört wird.“

Über die Proteste zu sprechen - dafür würden andere Wege gewählt: Da würden Messengerdienste genutzt, die Nachrichten verschlüsseln und keine Daten auf den eigenen Servern speichern. Oder auch E-Mails als Entwurf in einem Postfach verfasst, für das Gesprächspartner die Zugangsdaten haben. Manchmal könnten sie aber selbst so tagelang gar nicht miteinander kommunizieren, sagt Zare. Denn die iranische Führung setzt dem Iran-Experten zufolge nicht nur auf Zensur: Damit immer weniger Informationen nach außen dringen und die protestierenden Menschen sich nicht untereinander verständigen können, schränkt die iranische Führung die Internetnutzung immer wieder punktuell ein. Je nachdem, in welcher Stadt gerade Proteste stattfinden.

Asadeh sagt, sie wisse aus eigener Erfahrung, was während der Zeit, in der keine Kontaktmöglichkeit besteht, passiert: „Sie bringen viele Menschen um“. Während sie darüber spricht, überkommt sie die Verzweiflung. „Ich mache mir Sorgen um meine Landsleute, um meine Familie“, erzählt sie mit zittriger Stimme. „Zu wissen, dass sich meine Eltern in einer Situation befinden mit einem hohen Risiko, dass etwas passiert, das macht mich fertig.“

Ob die Iranerinnen und Iraner etwas befürchten müssen, wenn sie die Zensur umgehen? Die reine Umgehung wird nach Einschätzung des Iran-Experten normalerweise nicht als Straftat angesehen. Er gibt aber zu bedenken, dass die iranische Regierung autoritär sei und fast alles kriminalisieren könne. Das eigentliche Risiko besteht in seinen Augen darin, die Umgehung für systemkritische Äußerungen zu nutzen.

„Wenn die Regierung in einem erfolgreich ist, dann ist es, die Angst unter Iranern zu halten“, sagt Asadeh. „Wir wissen, wozu die Regierung fähig ist, wenn jemand gegen sie ist. Da kennt sie keine Gnade.“

(zim/dpa)
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