Zum 80. Geburtstag der großen Feministin Was ich als Mann von Alice Schwarzer gelernt habe

Düsseldorf · Die Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen ist noch immer umstritten. Mein Leben hat sie verändert. Eine persönliche Bilanz.

Das ist Alice Schwarzer
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Foto: dpa/Henning Kaiser

Alice Schwarzer trat recht früh in mein Leben. Ich war 14 Jahre alt und begann, mich für Politik zu interessieren. Die berühmte Feministin störte mein bisher gültiges Weltbild gehörig. Geprägt durch mein Elternhaus ging ich davon aus, dass Männer und Frauen völlig gleichberechtigt sind – nach dem Gesetz und auch im praktischen Leben. Dass es da eine Frau gab, die genau das Gegenteil behauptete, empfand ich als unerhört. Die Frau als bloßes Anhängsel des Mannes, der zentrale kritische Befund Schwarzers in ihren wortgewaltigen Texten, das konnte ich nicht akzeptieren. Aber es machte mich auch neugierig. Also las ich ihre Interviews und auch ihr Buch „Der kleine Unterschied“.

Ich akzeptierte ihr Urteil auch nach der Lektüre noch nicht, weil ich zumindest in meiner engeren Umgebung eher das Gegenteil wahrnahm: Selbstbewusste Frauen, extrovertierte Schwestern, begabte Mitschülerinnen, die Aufnahme von Mädchen in die Messdienerschar und schon die frühe Idee, eine Klassensprecherin und einen Klassensprecher als gleichberechtigtes Team zu wählen und die Parität auch in der Schülermitverantwortung durchzusetzen. Sprach das nicht gegen Schwarzer?

Später während meiner akademischen Ausbildung zum Journalisten und Ökonomen berichteten dann Studentinnen von sexuellen Belästigungen. Ich lernte eine Kommilitonin kennen, die von ihrer Vergewaltigung erzählte. Das war ein Schock. Aber auch die harmloseren Formen der Unterdrückung und Missachtung von Frauen wie die Zuweisung von bestimmten Studienrichtungen und Berufen für Frauen, Geisteswissenschaften und Soziales statt Naturwissenschaft und Technik, die Erzählung vom angeblichen Heiratsmarkt Betriebswirtschaftsstudium oder Sprüche von frauenfeindlichen Professoren („Frauen verdienen weniger, weil sie weniger produktiv sind“) machten mich zumindest nachdenklich. Vielleicht ist doch nicht alles falsch, was Schwarzer behauptete und kritisierte.

Es waren vor allem die Studentinnen, aber auch Bekannte und Freundinnen, die ihre traditionelle Rolle lautstark überdachten. Es ging – gerade in den 80er-Jahren – sehr stark um Benachteiligungen im Studium, im Beruf, in der täglichen Kommunikation, in der Aufteilung der häuslichen Arbeit in der Wohngemeinschaft und auch in Beziehungen, um typische männliche Angewohnheiten, immer das erste Wort zu führen und Frauen nicht ausreden zu lassen. Auf diese Alltäglichkeiten der Ungleichheit wies Alice Schwarzer unermüdlich hin.

Ich bewunderte ihre Streitbarkeit, ihre scharfe Argumentation und ihren selbstbewussten Umgang auch mit Politstars wie dem CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, mit dem sie sich in einer langen Fernsehsendung duellierte. Schließlich hatte der umtriebige Vordenker die Frauenfrage auch für die konservative Union entdeckt. Ihm las die Journalistin und Publizistin Schwarzer gehörig die Leviten. Zugleich hinterfragten die Menschen in der Blase linksalternativer junger Leute mit guter Ausbildung, in der ich mich damals bewegte, die Rollenklischees. Machos und Emanzen – das war das Kampffeld. Und die Feministin Schwarzer war eine der Ikonen, die alle bisherigen Rollen infrage stellten.

Viele Linke, gerade auch Frauen, stießen sich damals an Schwarzers Bürgerlichkeit. Sie machte auf praktische Probleme aufmerksam, auf sexuell diskriminierende Ausdrucksweisen, auf die Arbeitsteilung, auf mangelnde Aufstiegschancen, auf die Verweigerung von Ausbildung für Mädchen und Frauen – gerade in typischen Männer-Domänen wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Die Propagierung einer neuen Gesellschaft war ihr eher fremd. Dass sich Schwarzer für den Zugang von Frauen zur Bundeswehr aussprach, machte mich doppelt stutzig. Ich kannte als Wehrpflichtiger die raue Militärdienstzeit, war aber als Pazifist damals gegen jeglichen Wehrdienst. Was sollte diese formale Gleichberechtigung?

Später – mit weniger Ideologie und mehr Pragmatismus – erkannte ich den wirkmächtigen Ansatz der resoluten Feministin. Ja, es ging gerade um die alltägliche und konkret empfundene Gleichberechtigung. Männer und Frauen mögen unterschiedliche Geschlechtsmerkmale tragen, aber das darf keine Auswirkungen auf ihre Chancen, Interessen, Erfolge und Karrieren haben. Und ja, es gibt keine typischen weiblichen und keine typischen männlichen Aufgaben, egal was die Tradition und vielleicht auch die fehlende Reflexion sagt. Auch wenn sich die Geschlechter in die vorgefertigten Rollen scheinbar selbstverständlich einordneten und das teilweise immer noch tun.

Es war die schroffe, klare und zugespitzte Art, mit der Alice Schwarzer auf diese gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Frauen- und Männerrollen hinwies. Wenn etwa Frauen – auch meine Ehefrau – auf einen Teil ihres beruflichen Erfolges verzichteten, weil sie Kindererziehung als wichtiger erachteten. Selbst wenn wir selbst – wie viele andere durchaus emanzipierten Paare auch – diese Rollen teilweise erneut annahmen, so war es klar, dass es nicht so laufen muss. Die Teilung der Hausarbeit, die gemeinsame Erziehung der Kinder auch in Stundenzahl und in Verzicht auf berufliche Karriere, ist ein revolutionäres Anliegen, auf das Schwarzer immer wieder gepocht hat. Die Frau ist nicht das Anhängsel, die Verfügungsperson des Mannes. So harsch ihre Kritik auch klingt, sie war im Grunde richtig – trotz aller oberflächlichen Gleichheit in öffentlichen Reden und vor dem Gesetz.

Schwarzers Anliegen war auch die sexuelle Ausbeutung der Frau durch die Männer. Hier sehe ich ihre größten Verdienste. Hier riskierte sie den Hass vieler Männer, auch die Ablehnung als Totengräberin der heilen Familie und des gesellschaftlichen Grundkonsenses. Selbst ihre linke Umgebung schonte Schwarzer nicht. Sozialdemokraten, Kommunisten, Linksalternative oder Linksliberale konnten genauso männlichkeitsfixiert sein wie Konservative oder Rechtsliberale. Sie machte keinen Unterschied zwischen „linken“ Machos wie Joschka Fischer, Oskar Lafontaine oder Jürgen Trittin und konservativen Patriarchen wie Helmut Kohl.

Alice Schwarzer hatte kein neues Gesellschaftssystem in ihrem Angebot, keine ökologische Graswurzel-Demokratie ohne Patriarchat oder den perfekten Wohlfahrtsstaat oder gar die klassenlose Gesellschaft. Sie wollte ganz pragmatisch, dass sich Männer in die Position von Frauen hineinversetzen und daraus erkennen, was sie den Frauen schuldig sind, wie echte Gleichberechtigung aussehen kann. Das ist eher Immanuel Kant als Karl Marx, eher August Bebel als Theodor Adorno, eher Alice Schwarzer als Rosa Luxemburg.

Dass die liberal-konservative Angela Merkel gegen die Männerriege der Union den Aufstieg ins Kanzleramt schaffte, bereitete Schwarzer trotz aller politischen Unterschiede zu der Christdemokratin eine große Genugtuung. Diese Leistung steht stellvertretend dafür, dass den Frauen die Hälfte des Himmels gehört. Für das hat Alice Schwarzer gekämpft, und dafür bewundere ich sie. Auch wenn ihr Leben durchaus Schattenseiten hatte, wenn man ewa an ihre Steuerhinterziehung oder ihre Rolle im Strafprozess gegen Kachelmann denkt. Am Samstag wird die Vorkämpferin für die Frauenemanzipation 80 Jahre alt. Sie zählt zu den Großen der Republik.

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