Düzen Tekkal bei Maybrit Illner zum Iran “Wir sind viel zu lange darauf reingefallen“
Düsseldorf · Was tun gegen das brutale Regime im Iran? Im “Maybrit Illner Spezial” sind sich am Abend im ZDF sogar Friedrich Merz und Alice Schwarzer in einigen Fragen einig.
Eine Menschenrechtsaktivistin sieht einen Albtraum für das Regime im Iran. Die Gäste bei Maybrit Illner nehmen in ihrer Kritik kein Blatt vor den Mund..
Die Gäste
- Omid Nouripour, Parteivorsitzender Bündnis 90/Die Grünen
- Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender
- Ghazall Abdollahi, iranische Fotografin, beteiligte sich an Protesten in Teheran, floh vor zwei Wochen nach Deutschland
- Alice Schwarzer, Publizistin
- Düzen Tekkal, Autorin, kurdisch-jesidischer Abstammung, Gründerin und Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help e.V.
- Golineh Atai, Leiterin ZDF-Studio in Kairo
Darum ging es
„Heuchler oder Helfer - kuscht der Westen vor dem Iran?“ fragte Maybrit Illner am Abend im ZDF eine ungewöhnliche Runde: drei ihrer Gäste sind in Teheran geboren, eine ist kurdisch-jesidischer Abstammung. Journalistinnen, Politiker und eine Menschenrechtsaktivisten diskutieren Fehler der Vergangenheit und darüber, wie eine entschlossenere Iran-Politik aussehen könnte.
Der Talkverlauf
Die Schilderungen einer jungen Iranerin bringen Unterdrückung und Terror eindringlich auf den Punkt: Wie sie vor den Revolutionsgarden und Polizei bei Demonstration davon gelaufen ist. Wie ein Unbekannter ihr die Autotür öffnet und sie vor der Ergreifung rettet, erzählt Ghazall Abdollahi im Studio. Vor zwei Wochen ist sie aus Teheran nach Deutschland geflohen. Ihre Mutter, eine inhaftierte Journalistin, kann maximal zehn Minuten täglich mit dem Vater telefonieren.
Einig sind sich Illners Gäste mit Merz, der “voller Bewunderung” für den Mut der Männer und vor allem der Frauen im Iran ist. Vor allem aber wird die internationale Haltung kritisiert: “Ein Problem ist, dass der Westen seit 43 Jahren wegschaut”, so Alice Schwarzer. Wirtschaftliche und andere Interessen seien immer höher gewertet worden. “Die Hälfte der Bevölkerung - die Frauen - ist entrechtet.” Auch Merz teilt aus: Die Bundesregierung “eiere herum” zur Frage, ob die iranischen Revolutionsgarden als Terrorvereinigung eingestuft werden könnten.
Der CDU-Chef spricht sich dafür aus, Iranern, die vor der Gewalt in ihrem eigenen Land fliehen, in Deutschland Schutz zu gewähren. Die Demonstrationen machten einmal mehr den Wert der Freiheit klar, sagt betonte Merz. „Und zu dieser Freiheit gehört die Verantwortung, dass wir selbstverständlich solche Menschen hier auch aufnehmen und ihnen Schutz geben.“ Der Schutzstatus könne den Aufenthalt in Deutschland ermöglichen oder Studium und Arbeitsplatz. Das sei eine „humanitäre Verpflichtung“.
Omid Nouripour findet auch, dass mehr an Reaktionen möglich ist, vor allem kritisiert er das Tempo bei internationalen Reaktionen: “Es ist zum Mäusemelken wie langsam das hier geht”, sagt der Grünenpolitiker. Deutschland treibe voran, dass die Revolutionsgardisten - das “Rückgrat der Unterdrückung - auf die Terrorliste der EU kämen. Viele der “Druckentscheidungen” müssten aber in der EU abgestimmt werden. Bei 27 Ländern laufe das eben nicht so schnell wie in Kanada, wo nur eine Regierung gefragt sei. “Es ist unglaublich frustrierend”, räumt er ein, zudem sei es “persönlich niederschmetternd” zu sehen, was in den iranischen Städten passiert. Der Grünen-Chef fordert auch erneut eine rasche Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg. Das IZH sei „das Spionagenetz des Regimes in Deutschland, aus dem Einschüchterung auch organisiert wird gegen Iraner oder Deutsch-Iranerinnen“.
Dass es keine Zeit zu verlieren gibt, findet auch Schwarzer, nutzt allerdings die Gelegenheit, ihrer Kritik an den Grünen Luft zu machen. Die hätten lange den politischen Islam verharmlost, sagt die Feministin. “Man hat weggeguckt. Das Problem gibt es schon so lange, jetzt tun wir als wäre das neu”, sagt sie. “Wir müssen endlich sehen, dass diese Diktaturen die Hölle sind für die Menschen.”
Zu Eile in politischen Reaktionen drängt auch die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal: “Wenn jetzt nicht der Umsetzungsprozess einsetzt, und zwar parteiübergreifend - ja, wann denn dann liebe Leute?” fragt sie und sieht Schuldige: “Die Appeasementpolitik der vergangenen 43 Jahre hat mit dafür gesorgt, dass dieses Mullah-Regime heimlich morden konnte”, sagt sie mit Blick auf Diplomatie, Verhandlungen und Gespräche etwa zum Atomabkommen. “Diese Iranwende muss auch weltgemeinschaftlich eingeläutet werde”, fordert Tekkal. “Wir sind darauf viel zu lange reingefallen.” Zu vieles sei legitimiert worden. Sie hofft auf eine Wende durch die Proteste, der “Mut der Menschen im Iran, die seit über zwei Monaten ihr Leben aufs Spiel setzen” sei “ein Alptraum für das Regime”, das Menschen erhänge, und Vergewaltigung als Kriegswaffe benutze. “Es ist dem Mut dieser Menschen zu verdanken, dass wir mit einer neuen Lebenswirklichkeit konfrontiert werden”, sagt sie und warnt: “Die tut tatsächlich weh, auch in Europa, weil der Iran eine Gefahr ist für die eigenen Menschen, aber natürlich auch Terror nach außen dringt.”
Was anders ist, an der dritten Rebellion im Iran binnen 15 Jahren bringt Golineh Atai, auf den Punkt. “Neu ist dass diesmal protestiert wird ohne Verweis auf religiöse Symbolik”, sagt die ZDF-Journalistin, die wie Nouripour in Teheran geboren ist und 1980 mit ihrer Familie nach Deutschland zog. Dies sei der jüngste Protest, die meisten Demonstrantinnen und Demonstranten seien unter 25. “Es ist eine hoffnungslose Generation, die nichts zu verlieren hat.” Neu sei auch, dass der Protest schichtenübergreifend sei und eine strenge Bindekraft zwischen verschiedenen Ethnien wie Balutschen und Kurden bestehe.
Atai hat ebenfalls kein Verständnis für die Atomgespräche. “Viele Iraner, die jetzt protestieren fragen sich: Wieso haben die Europäer sich seit Jahren so in den Staub geworfen, so ihre Ideale verraten, um dieses Abkommen mit einem Parforceritt durchzusetzen”, sagt sie. Als sei das Abkommen das Kronjuwel der europäischen Außenpolitik dass es unbedingt umgesetzt werden müsse.”
Das Alter der Protestierenden erwähnt auch Tekkal: “Das Regime dort lässt eine ganze Tik-Tok-Generation über die Klippe springen.”
Wie könne der Iran weiter isoliert werden, wenn es eh kaum noch wirtschaftliche Verbindungen gebe und sich das Land in China und Russland neue Freunde suche, will Illner wissen. Dass das Festhalten an den Gesprächen über das Atomabkommen, so ihre Gäste, sei jedenfalls nicht die Lösung. Man sei da lange zu geduldig gewesen, sagt Nouripour, aber künftig werde es solche Gespräche nicht mehr geben. “Das Abkommen ist das Symbol für das Leisetreten der europäischen Staaten geworden”, sagt der Grüne. “Und das ist jetzt definitiv zu Ende.” Auch den Unternehmen, die glaubten, sie könnten im Iran Gasgeschäfte machen, könne er nicht mehr helfen.
Zum Abschluss darf sich Alice Schwarzer kurz vor ihrem 80. Geburtstag noch etwas wünschen: Wenn sie den Protest der stolzen Frauen mit “freien Haaren” sehe, berühre sie das sehr und sagt: “Als ein Zeichen der Solidarität” könnten doch nun auch die Frauen im Westen die Kopftücher ablegen.