Russische Gelder in EU-Zwangsverwaltung Finger weg von Reparationszahlungen

Meinung · Strafzahlungen für Nationen haben gewaltsame Konflikte stets endlos verlängert, wie die Geschichte zeigt. Die Idee, russische Gelder für den Aufbau der Ukraine per Zwang einzuziehen, passt in diese Reihe. Auch wenn das auf den ersten Blick gerecht erscheint.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, spricht während einer Fernsehansprache in Moskau. In Brüssel fordert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Russen zu Reparationszahlungen an die Ukraine zu verpflichten.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, spricht während einer Fernsehansprache in Moskau. In Brüssel fordert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Russen zu Reparationszahlungen an die Ukraine zu verpflichten.

Foto: dpa/Aleksey Nikolskyi

Es klingt fair und angemessen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine kostete bislang nicht nur Tausende von unschuldigen Menschenleben. Er zerstört das Land und hat nach Schätzungen von Experten der Europäischen Union (EU) mittlerweile Schäden von rund 600 Milliarden Euro angerichtet. Da scheint der Vorschlag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nur recht und billig zu sein, den Wiederaufbau der Ukraine auch mit russischen Geldern zu bestreiten. Immerhin hat die EU Zentralbank-Guthaben des Kremls in Höhe von 300 Milliarden Euro eingefroren. Die Überlegung der EU-Beamten: Entweder sich aus diesem Vermögen bedienen oder eine Freigabe der Gelder an Beteiligung der Russen am Wiederaufbau zu knüpfen. Es wären russische Reparationszahlungen als Entschädigung für den Krieg gegen die Ukraine.

Die Deutsche von der Leyen hat mit ihrer Forderung ein historisch belastetes Fass aufgemacht. Denn die Lehre aus der Geschichte ist eindeutig. Reparationen können gewaltsame Konflikte endlos verlängern. Auch rechtlich ist ein solches Vorgehen problematisch. So sehr der Kreml das Völkerrecht gebrochen hat: Die EU sollte sich daran kein Beispiel nehmen. Denn die Reserven sind Eigentum der Russischen Föderation, nicht von Wladimir Putin, auch wenn das manchmal identisch erscheint.

Würden die Europäer die Reserven einziehen oder bei einem dauerhaften Waffenstillstand einbehalten, gäben sie eine der Grundlagen preis, auf denen das bisherige Finanzsystem fußt: Das Recht auf Eigentum. Das gilt auch für Nationen, die sich nicht an unsere Rechtsordnung halten. Ganz praktisch entstände zudem die Gefahr, dass sich Russland, China und Indien ein eigenes Finanzsystem schaffen würden. Die Europäer und vielleicht sogar die Amerikaner, wenn sie die Reparationsidee mittragen, wären außen vor. Dieses Szenario ist durchaus real, weil sie China die Gelegenheit geben würde, sich von uns finanziell abzukoppeln.

Sodann gilt in der EU das Völkerrecht. Danach ist es zwar erlaubt, Vermögen von Feindstaaten einzufrieren, aber nicht für eigene Zwecke, selbst wenn es gutgemeinte sind, zu entfremden. Das käme einer Enteignung gleich. Dass Russland im Fall der besetzten Gebiete in der Ukraine ähnlich verfährt, ist kein Grund. Es wäre lediglich Vergeltung. Und die hat mit dem Völkerrecht nichts zu tun. Im Fall der Vermögen der Oligarchen müssen auch viele rechtlichen Hürden eingehalten werden. Denn ein Einzug von Jachten, Hubschraubern oder Immobilien ist nur erlaubt, wenn den jeweiligen Personen konkrete Beteiligung am Angriff und an den russischen Kriegsverbrechen nachgewiesen werden können.

Das entscheidende Argument gegen Reparationen ist aber politisch. Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich gezeigt, zu welchen fatalen Konsequenzen die riesigen Strafzahlungen geführt haben, die die Alliierten dem Deutschen Reich auferlegt hatten. Gerechterweise muss man hinzufügen, dass Deutschland auch Frankreich nach dem Krieg 1870/71 hat bluten lassen. Aber die Reparationsfrage nach 1919 war eine der ganz großen Gründe für verheerende wirtschaftliche Verwerfungen, für den Erfolg der Hasspropaganda der Nazis und schließlich auch für die Durchführung eines Angriffskriegs durch Deutschland. Sollte das bei Russland wiederholt werden?

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Alliierten klug genug, das Spiel nicht zu wiederholen. Sie ebneten damit den Weg für eine demokratisches Deutschland zurück in den Kreis der zivilisierten Staaten. Diese Chance sollte auch Russland erhalten, wenn Putin wider Erwarten gestürzt werden oder anderweitig seine Macht verlieren sollte. Und selbst im Fall eines Waffenstillstands mit dem Kreml-Herrscher sollte man einen Frieden für die Ukraine nicht an Reparationen scheitern lassen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten wären also gut beraten, die Finger von solchen Überlegungen zu lassen.

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