Physik-Nobelpreis für das Spukhafte Wenn Teilchen nicht loslassen können

Stockholm · Der Nobelpreis für Physik geht dieses Jahr an drei Forscher aus drei verschiedenen Nationen. Bahnbrechende Experimente auf dem Gebiet der Quantenphysik brachten ihnen diesen Erfolg ein. Worum es bei der Forschung geht.

Claudia Goldin & Co. - Das sind die Nobelpreisträger 2023
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Das sind die Nobelpreisträger 2023

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Foto: dpa/Berit Roald

Kleinste Teilchen können miteinander verbunden sein. Und dieses Band kann so stark sein, dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Über Zentimeter, Kilometer oder Lichtjahre hinweg - wenn sie miteinander verschränkt sind. In der Praxis heißt das: Hat Teilchen 1 einen Zustand A, kann Teilchen 2 nur Zustand B haben. Oder anders gesagt: Wenn Zwillinge viele Kilometer entfernt sind, zieht der eine Zwilling immer ein rotes Hemd an, wenn der andere ein gelbes trägt.

Als in den 1930ern die Überlegungen dazu bei den Pionieren der Quantenphysik diskutiert wurden, war Albert Einstein ein entschiedener Gegner dieser Idee. Die Möglichkeit, dass sich Quanten offenbar umgehend über weite Strecken beeinflussen können, widersprach seiner Vorstellung vom Universum. Einstein nannte es eine „spukhafte Fernwirkung“. Es wurde eine alternative Erklärung postuliert: Uns würden Informationen fehlen, die die Zustände von Teilchen beeinflussen. Diese Fernwirkung sei darum nur scheinbar. Wenn man diese sogenannten „versteckten Variablen“ entschlüsseln könnte, ließe sich das ausschließen. Es gebe tatsächlich einen lokalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung, den wir nur noch nicht verstehen würden. Aber keine „spukhafte Fernwirkung“. Die Diskussionen indes sollten anhalten. Beide Denkweisen stritten heftig um ihre jeweilige Deutung der Quantenphysik.

Andere Wissenschaftler wie John Bell stellten in den 1960ern dann Berechnungen an, wie man in Experimenten einen Nachweis für das eine oder andere erbringen könnte. Und eben das haben die drei Nobelpreisträger Alain Aspect, Anton Zeilinger und John Clauser geschafft. In komplizierten Versuchsaufbauten konnten sie die Möglichkeit „versteckter Variablen“ immer weiter ausschließen. Die „spukhafte Fernwirkung“ gab es tatsächlich. Zumindest auf Quantenebene.

Denn dort stellt sich die Welt etwas anders dar als in unserer alltäglichen Erfahrung. Quanten an sich haben keinen definierten Zustand. Vielmehr haben sie diverse Möglichkeiten, die alle eine eigene Wahrscheinlichkeit haben. Erst bei einer Messung oder einem Experiment werden sie schlussendlich gezwungen, einen Zustand einzunehmen. Beim Zwillingsbeispiel sind alle Hemden im Schrank zunächst grau. Erst wenn einer der beiden ein Hemd rausnimmt, erhält es eine Farbe. Wenn zwei Teilchen aber verschränkt sind, bestimmt der Zustand des einen Teilchens auch den Zustand des anderen. Eben wie das gelbe Hemd des einen Zwillings, das rote des anderen vorgibt.

Verletzt das nicht Einsteins Relativitätstheorie, nach der die Lichtgeschwindigkeit die Obergrenze ist? Die Informationen der verschränkten Teilchen müssten sich dann doch schneller bewegen. Nicht ganz. Um in dem Beispiel zu bleiben: Wenn der eine Zwilling ein rotes Hemd trägt, weiß er nichts von dem gelben Hemd des anderen. Dazu müsste der erst ein Foto schicken oder anrufen. Und das geht nicht schneller als das Licht.

Der Nobelpreis für Physik geht an Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger. Sie untersuchten verschränkte Teilchen.

Der Nobelpreis für Physik geht an Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger. Sie untersuchten verschränkte Teilchen.

Foto: dpa/Jonas Ekstromer

Und dennoch entzieht sich die Quantenverschränkung dem normalen Menschenverstand. Zumal die Möglichkeiten weiterreichen: Über die Verschränkung lassen sich Quanten quasi kopieren. Umgehend von einem Teilchen zu einem anderen. Man spricht dann von Quantenteleportation, weil ein Teilchen scheinbar von einem Ort zu einem anderen gesprungen ist. Und unter anderem diese Möglichkeiten der Verschränkung bietet viele Optionen für Quantencomputer - und wie sie Daten verarbeiten. Aus einer theoretischen Diskussion in den 1930ern ist so heute eine technologische Forschung geworden. Für die Computer der Zukunft, die deutlich schneller sein werden - als es die zurzeit benutzte klassische Chiptechnik jemals sein könnte.

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