Forscht in Leipzig Medizin-Nobelpreis geht an Evolutionsforscher Svante Pääbo

Update | Stockholm · Was macht den modernen Menschen so einzigartig? Was unterscheidet ihn von seinen ausgestorbenen Verwandten? Solchen Fragen zur menschlichen Evolution widmet sich Svante Pääbo seit vielen Jahren. Seine großen Erfolge werden nun mit dem Preis der Preise für Forschende gekrönt.

Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den in Leipzig forschenden Schweden Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur menschlichen Evolution.

Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den in Leipzig forschenden Schweden Svante Pääbo für seine Erkenntnisse zur menschlichen Evolution.

Foto: dpa/Christian Charisius

Er sequenzierte als erster das Genom des Neandertalers und entdeckte den Denisova-Menschen: Für seine Forschung zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorbenen Verwandten erhält der in Leipzig arbeitende schwedische Evolutionsforscher Svante Pääbo den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Pääbo ist Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA). Zu seinen wesentlichen Forschungsergebnissen gehört die Erkenntnis, dass Erbgut-Spuren des Neandertalers noch heute in der DNA des Menschen zu finden sind - die beiden Arten hatten sich in ihrer gemeinsamen Zeit auf der Erde untereinander vermehrt.

„Die Frage, woher wir kommen und was uns einzigartig macht, beschäftigt die Menschheit von alters her“, schreibt das Nobelkomitee in seiner Begründung für die Vergabe. Pääbos Arbeiten zur Aufdeckung genetischer Unterschiede, die alle lebenden Menschen von den ausgestorbenen Homininen unterscheiden, bilden nach Ansicht des Komitees die Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen.

Die Max-Planck-Gesellschaft machte ihrer Freude über die Preisvergabe auf Twitter mit einer langen Smiley-Reihe Luft. „Sprachlos! Glücklich! Wir kneifen uns selbst!“ (Speechless! HAPPY! Pinching ourselves!). „Seine Arbeiten haben unser Verständnis der Evolutionsgeschichte der modernen Menschen revolutioniert“, sagte Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. In Stockholm wurde die Bekanntgabe vor allem von schwedischen Reporterinnen und Reportern begeistert aufgenommen. „Das ist fantastisch“, flüsterte eine Reporterin im Hörsaal.

Pääbo selbst habe, nachdem der Schock über die Nachricht abgeklungen war, als Erstes gefragt, ob er seiner Frau Linda die Nachricht mitteilen könne, berichtete das Nobelkomitee. Er durfte.

Der Ausnahme-Forscher, der die Nachricht von seinem Nobelpreis bei einer morgendlichen Tasse Kaffee erhielt, hatte sich bereits früh in seiner wissenschaftlichen Karriere mit der Möglichkeit beschäftigt, DNA von Neandertalern zu untersuchen. Das Problem: DNA ist ein recht instabiles Molekül und zerfällt im Laufe der Zeit in immer kleinere Bruchstücke. Dennoch gelang es dem Paläogenetiker, Erbgut des Neandertalers aus alten Knochenfragmenten zu isolieren und zu analysieren. 2010 stellte er eine erste Version des Neandertaler-Genoms vor. Vergleiche mit dem Erbgut des modernen Menschen zeigten unter anderem, dass bei Menschen mit europäischer oder asiatischer Herkunft etwa 1 bis 4 Prozent des Genoms auf den Neandertaler zurückgehen. Homo sapiens und Homo neandertalensis mussten also Kinder miteinander gezeugt haben - eine bahnbrechende Erkenntnis.

Ein weiterer Meilenstein seiner Karriere war die Entdeckung des sogenannten Denisova-Menschen. 2008 war ein kleines, 40 000 Jahre altes Fingerknochenfragment in der Denisova-Höhle in Sibirien gefunden worden. Untersuchungen zeigten, dass sich die DNA-Sequenz des Menschen von der des Neandertalers und des modernen Menschen unterschied - eine weitere Frühmenschen-Art war entdeckt. Auch Spuren vom Erbgut des Denisova-Menschen finden sich im Erbgut des modernen Menschen. Zuerst sei dies bei Menschen aus Melanesien und anderen Teilen Südost-Asiens erkannt worden, wie das Nobelkomitee schreibt.

Die Erbgut-Spuren unserer ausgestorbenen Verwandten beeinflussen bis heute die Gesundheit des Menschen. So gebe es etwa Neandertaler-Gene, die auf die Immunantwort bei verschiedenen Infektionen wirkten, so das Nobelkomitee.

Die bedeutendste Auszeichnung für Mediziner ist in diesem Jahr mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 920 000 Euro) dotiert.

Seit 1901 haben 224 Menschen den Medizin-Nobelpreis erhalten, darunter 12 Frauen. Der erste ging an den deutschen Bakteriologen Emil Adolf von Behring für die Entdeckung einer Therapie gegen Diphtherie. 1995 erhielt als erste und bislang einzige deutsche Frau Christiane Nüsslein-Volhard diese Auszeichnung.

Im vergangenen Jahr bekamen David Julius (USA) und der im Libanon geborene Forscher Ardem Patapoutian den Preis. Die beiden haben Zellrezeptoren entdeckt, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.

Mit dem Medizin-Preis startete der Nobelpreis-Reigen. Am Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Preises benannt. Am Donnerstag und Freitag folgen die Bekanntgaben für den Literatur- und den Friedensnobelpreis. Die Reihe endet am folgenden Montag, 10. Oktober, mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschafts-Nobelpreis.

Die feierliche Vergabe aller Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

Bereits am vergangenen Donnerstag waren die Träger der diesjährigen Alternativen Nobelpreise von der Right Livelihood Stiftung bekanntgegeben worden.

(lha/dpa)
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