Feuerwehrleute aus Xanten helfen im Ahrtal Wiederaufbau nach der Flut-Katastrophe

Xanten/Altenburg · Xantener Feuerwehrleute unterstützen die Menschen im Ahrtal nach der Flut-Katastrophe. Eine Betroffene berichtet, wie sie sich mit Sohn und Enkelkindern gerade noch vor dem Wasser retten konnte.

 Etwa 20 Feuerwehrleute aus Xanten (auf dem Foto fehlen einige) waren Ende August auf eigene Initiative im Ahrtal, um den Menschen nach der Hochwasserkatastrophe zu helfen.

Etwa 20 Feuerwehrleute aus Xanten (auf dem Foto fehlen einige) waren Ende August auf eigene Initiative im Ahrtal, um den Menschen nach der Hochwasserkatastrophe zu helfen.

Foto: Feuerwehr Xanten

Anita Böhm steht vor ihrem Haus in Altenburg und erklärt, wie sie die Flut überlebt hat. Xantener Feuerwehrleute sind gekommen, um ihr nach der Hochwasserkatastrophe zu helfen. Sie machen gerade eine Pause. Böhm hat belegte Brötchen für alle besorgt. Die 66-Jährige zeigt auf die Dachkante einige Meter über ihr. Bis dahin stieg die Ahr Mitte Juli. Innerhalb weniger Stunden liefen Erdgeschoss und obere Etage voll. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig mit zwei Enkeln und einem Sohn retten. Alle anderen Familienmitglieder waren zum Glück woanders.

Dann zeigt Böhm auf die Dachspitze. Dorthin flüchteten sich die beiden Erwachsenen mit den sechs- und zehnjährigen Kindern vor dem Wasser. Dafür rannten sie zuerst vom Erdgeschoss die Treppe hinauf. In der ersten Etage stiegen sie durch ein Fenster auf den Balkon des vorderen Hauses, weil es ein Stockwerk mehr hatte. Aber auch dort konnten sie nicht bleiben. Also liefen sie in die zweite Etage und kletterten durch ein Gaubenfenster auf das Dach des hinteren Hauses. Keine fünf Minuten später brach am Vorderhaus eine Wand ab. Heute steht es gar nicht mehr.

 Anita Böhm vor ihrem Haus: Mitte Juli stand die Ahr bis zum Dach, auf das sie sich mit einem Sohn und zwei Enkeln gerettet hatte. Vorne links stand das Haus des Sohnes – es musste nach der Flut abgerissen werden.

Anita Böhm vor ihrem Haus: Mitte Juli stand die Ahr bis zum Dach, auf das sie sich mit einem Sohn und zwei Enkeln gerettet hatte. Vorne links stand das Haus des Sohnes – es musste nach der Flut abgerissen werden.

Foto: RP/Markus Werning

Auf dem Dach endete ihre Flucht. 13 Stunden mussten sie dort bleiben, die ganze Nacht und auch den Morgen noch, während sie von einem Meer umgeben waren und Autos, Öltanks oder Hauswände vorbei schwammen. Böhm wirkt gefasst, während sie davon berichtet, wie sie Hab und Gut verlor und in Lebensgefahr war. Zwischendurch lacht sie auch mal. „Man muss damit abschließen“, sagt sie entschlossen. „Sonst wird man damit nicht fertig.“ Sie will auch wieder in Altenburg im Ahrtal leben, wenn die Behörden dort Häuser weiter erlauben. Sie ist hier aufgewachsen, Hochwasser gehört zu ihrem Leben, sagt Böhm. Davor habe sie sich auch nie gefürchtet.

Auf dem Dach habe sie aber Angst gehabt, erzählt die mutige Frau. Bisher sei die Ahr nie weiter über die Ufer getreten als bis zur Einfahrt des Grundstücks. An diesem Tag jedoch überflutete der Fluss fast den gesamten Ort. Von ihrem Haus ragte nur noch das Dach heraus. „Wohin sollten wir denn noch gehen, wenn das Wasser weiter gestiegen wäre?“ Sie hätten auch aufpassen müssen, dass sie nicht herunterrutschen und von der Strömung mitgerissen werden. „Dann wären wir weggewesen.“ Erst am Vormittag konnte ein Hubschrauber sie abholen.

Seitdem sind sieben Wochen vergangen. Es ist der letzte Samstag im August. Die Feuerwehrleute sind privat und auf eigene Initiative ins Ahrtal gekommen. Sie wollen helfen. Beim Aufräumen, beim Wiederaufbau. Die meisten sind am Freitag angereist und bleiben bis Sonntag. Einige kommen am Samstag nach und fahren abends wieder. „Jeder tut das, was er kann“, sagt eine Feuerwehrfrau. Böhm dankt allen mehrfach. „Man ist nicht allein, man wird nicht allein gelassen, man bekommt Hilfe – und was für Hilfe“, sagt sie.

Es ist schon das zweite Mal, dass Xantener Feuerwehrleute im Ahrtal helfen. Michael Jansen kümmert sich um die Organisation, spricht vorher mit Kontaktpersonen vor Ort, um zu klären, wo die Feuerwehrleute helfen können. Mitte August waren er und zwölf weitere Xantener bereits nach Altenburg gefahren und hatten ein Haus entkernt. Ende August sind manche wieder dabei, andere zum ersten Mal. Um die 20 Xantener sind es. Hinzu kommen noch diejenigen, die von zu Hause aus unterstützen, die Familien, aber auch Unternehmer, die den Feuerwehrleuten Maschinen leihen oder Verpflegung mitgeben. Oder die Stadt Xanten, die ihnen wieder erlaubt, mit Feuerwehrfahrzeugen ins Ahrtal zu fahren.

Ihre Unterkunft liegt wieder in einem nahegelegenen Ort: Zwei ältere Einwohner haben die Helfer aufgenommen und sie in ihren Häusern untergebracht, sie bewirten sie auch – aus Gastfreundschaft und Dankbarkeit dafür, dass die Xantener helfen. Morgens und abends essen alle zusammen, reden miteinander, hören einander zu. Auch das ist wichtig. Für Helfer und Betroffene. Sie verarbeiten, was sie erleben, denn auch an den Xantenern geht die Flut nicht spurlos vorbei. Am Samstagnachmittag zieht sich ein Feuerwehrmann zurück. Nach den Berichten der Betroffenen, nach den Bildern vor Ort braucht er einen Moment für sich.

Noch Wochen nach der Flut ist das Ahrtal ein Katastrophengebiet. Bahngleise sind verbogen und hängen in der Luft. Wege enden im Nichts, weil Brücken eingestürzt sind, oder sind notdürftig geflickt. Von einigen Häusern sind nur Wände geblieben, andere mussten abgerissen werden. Die meisten konnten zwar stehen bleiben und sind auch schon leer geräumt. An den Straßen türmen sich Schutt und Müll. Aber viele Gebäude müssen noch entkernt werden. Denn die Feuchtigkeit ist überall, das Wasser ist bis in jede Ritze vorgedrungen. Im Badezimmer von Anita Böhm im Obergeschoss steht es sogar zwischen Badewanne und Wand.

Das komplette Haus wird an diesem Samstag von den Feuerwehrleuten entkernt. Sie schlagen Fliesen von den Wänden und Böden, reißen den Estrich heraus, bringen den Schutt nach draußen. Alles läuft gut organisiert und hoch motiviert. Die anderen machen diese Arbeiten in einem Haus im nahegelegenen Dernau, reißen außerdem eine Wand heraus. Bis zum Abend bohren, hämmern und schleppen die Feuerwehrleute. Dann erst machen sie Feierabend. Am Sonntag geht es weiter, bevor sie wieder nach Hause fahren.

 Die Feuerwehrleute stemmen den Boden auf, um ihn herauszureißen.

Die Feuerwehrleute stemmen den Boden auf, um ihn herauszureißen.

Foto: RP/Markus Werning
 Der Schutt aus der oberen Etage wird durch die Fenster in die Schaufel eines Radladers geworfen, um ihn abzutransportieren.

Der Schutt aus der oberen Etage wird durch die Fenster in die Schaufel eines Radladers geworfen, um ihn abzutransportieren.

Foto: RP/Markus Werning

Es soll nicht das letzte Mal sein, dass die Feuerwehrleute im Ahrtal helfen. Sie wollen wiederkommen, weiter helfen, zumal sie sehen, dass die Helfer insgesamt weniger werden und wie viel Unterstützung noch nötig ist, zusätzlich zu dem, was vom Staat oder von den Versicherungen kommt. Als die Xantener abends zu einer der Essensstellen gehen, die für die Helfer aufgebaut wurde, kommen sie an einem Balkon vorbei, an dem ein Bettlaken hängt. „Danke an alle Helfer“, haben die Bewohner auf den Stoff geschrieben. „Vergesst uns nicht. Wir brauchen euch noch ganz ganz lange.“ Die Feuerwehrleute nicken.

(wer)
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