Viersen Neue Hoffnung als Lehrling

Viersen · Wie funktioniert in Viersen Integration durch Arbeit? Das wollen Mitglieder eines Arbeitskreises untersuchen. In zwei Betrieben sprachen sie mit Flüchtlingen, die dort ihre Ausbildung machen. Einer leitete früher eine Bäckerei.

 Abdullah Akbari war Bäcker in Afghanistan. Jetzt ist der 33-jährige Auszubildender der Konditorei Kerskens in Viersen.

Abdullah Akbari war Bäcker in Afghanistan. Jetzt ist der 33-jährige Auszubildender der Konditorei Kerskens in Viersen.

Foto: Nadine Fischer

In Afghanistan war Abdullah Akbari sein eigener Chef. „Ich hatte eine Bäckerei. Wir waren da vier, fünf Leute“, sagt der 33-Jährige. Er hatte aber auch „Probleme durch den Krieg“, also verließ Akbari seine Heimat. Jetzt lebt er als Flüchtling in Viersen und arbeitet wieder in einer Bäckerei – als Auszubildender. Im September 2017 fing er in der Bäckerei Kerskens an. Statt typisch afghanischer Teigwaren backt er mittlerweile deutsches Brot und Torten. Sich an neue Rezepte zu gewöhnen, sei für ihn von Anfang an kein Problem gewesen, erzählt Akbari. Denn egal, ob afghanische oder deutsche Backwerkskunst: „Teig ist Teig und Wasser ist Wasser.“

Ob ihm als Flüchtling etwas in der Ausbildung Schwierigkeiten bereitet, welche Pläne er für die Zeit danach hat und wie er überhaupt an den Ausbildungsplatz gekommen ist, wollten jetzt zwei Mitglieder eines Arbeitskreises der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt der SPD erfahren.

Der 22-jährige Masud Khan aus Bangladesch macht in der Premio-Autowerkstatt in Viersen eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker.

Der 22-jährige Masud Khan aus Bangladesch macht in der Premio-Autowerkstatt in Viersen eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker.

Foto: Nadine Fischer

Ausgestattet mit Kugelschreibern und Fragebögen besuchen Michael Lambertz und Martin Hilbig vom Viersener Arbeitskreis am Dienstagvormittag den 33-Jährigen und seinen Chef, Konditor Armin Houben, in der Bäckerei. „Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass Integration gut funktioniert und alle davon profitieren“, sagt Hilbig. „Wir möchten solche positiven Beispiele darstellen“, ergänzt Lambertz.

Später am Tag wollen die beiden auch noch den 22-jährigen Masud Khan treffen, der in einer Autowerkstatt in Viersen eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker macht. „Wir würden außerdem gerne mit einer Auszubildenden sprechen, aber wir haben bisher keine gefunden“, sagt Lambertz. Das Ergebnis der Befragung zum Thema „Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit in Viersener Unternehmen“ soll später in die Parteiarbeit einfließen.

Er sei aus Afghanistan erst in den Iran geflohen, erzählt Abdullah Akbari. „Da habe ich acht Jahre gelebt und als Schweißer gearbeitet.“ Er lernte seine Frau Sarah kennen, die beiden gründeten eine Familie. Mit Sarah und Sohn Medi, heute sechs Jahre alt, sei er dann weiter gezogen – unter anderem in die Türkei. „Seit 2016 sind wir in Viersen.“ Erst wonte die Familie in Flüchtlingsunterkünften, mittlerweile lebt sie in einer Wohnung nahe der Konditorei Kerskens. Der Kontakt zu Konditor Houben kam über einen gemeinsamen Bekannten, Manfred Schelkes, zustande: Das Ehepaar Akbari spielt ab und zu Volleyball bei der Leichtathletik-Gemeinschaft Viersen, der ehemalige Volleyball-Abteilungsleiter Schelkes ist Kunde bei Kerskens. Zuerst machte Akbari in der Backstube ein achtwöchiges Praktikum. Als klar war, dass er eine Ausbildung beginnen könnte, habe er erst noch eineinhalb Monate lang auf eine behördliche Genehmigung warten müssen. „Ich wollte hier nicht einfach nur rumsitzen, ich wollte arbeiten“, erzählt der Afghane – 70 Prozent seiner afghanischen und deutschen Freunden teilten seine Einstellung. Wenn er jetzt mal wieder für Jobcenter oder Ausländeramt Formulare ausfüllen muss, hilft ihm Schelkes dabei.

Anfangs sei die Verständigung etwas schwierig gewesen, erinnern sich Houben und Akbari, doch mittlerweile kann sich der Azubi auf Deutsch gut verständigen. „Es macht Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten“, sagt Houben, der ihn 2020 gerne als Geselle übernehmen würde. Denn heutzutage sei es für Handwerksbetriebe schwierig, Fachkräfte zu finden.

Auch Harald Krievans, Geschäftsführer der Premio-Autowerkstatt in Viersen, klagt über den Fachkräftemangel. Deshalb ist er froh, dass Masud Khan zum Team gehört. Noch zufriedener wäre er, „wenn wir noch zwei wie ihn hier hätten“, betont Krievans. Khan ist jetzt im zweiten Ausbildungsjahr, wie Abdullah Akbari machte auch der 22-Jährige erst ein Praktikum. „Ich bin seit dreieinhalb Jahren in Deutschland“, erzählt Khan. In Bangladesch sei er Verkäufer in einem kleinen Modegeschäft gewesen, habe dann das Land wegen der politischen Lage verlassen. Fast ein Jahr lang sei er als Flüchtling unterwegs gewesen, unter anderem über Dubai, Libyen und Italien nach Deutschland gelangt.

Der junge Mann wohnt in einer Flüchtlingsunterkunft in Schwalmtal. „Als ich hier ankam, wollte ich schnell die deutsche Sprache lernen und zur Schule gehen“, sagt Khan. Eine Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit habe ihn in eine dreimonatige Berufsorientierung vermittelt, dazu gehörte ein sechswöchiges Praktikum. Sein Lehrer habe ihm den Platz in der Werkstatt besorgt, erzählt er. „Anfangs hatte ich Sprach-Schwierigkeiten, aber die Arbeit machte mir Spaß. Das passt.“

Während Bäcker-Azubi Akbari erleichtert ist, weil – wie er sagt – für ihn mittlerweile ein Abschiebeverbot aus humanitären Gründen gelte, ist Khan in Deutschland geduldet. So lange er seine Ausbildung mache, bleibt das so, erzählt er. Danach müsse er schnell eine Stelle finden. Dann habe er die Chance, bleiben zu dürfen. „Die Unsicherheit ist ein Problem für mich, ich habe manchmal Angst“, sagt Khan. Diese Ungewissheit sei es seiner Erfahrung nach auch, die dafür sorge, dass sich einige Flüchtlinge in seinem Bekanntenkreis nicht um einen Ausbildungsplatz bemühen. Doch er möchte nicht voller Angst leben, denn: „Hoffnung ist Leben. Und ohne Hoffnung hat man kein Leben.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort