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Gedenken an Brandanschlag in Solingen „Vor 25 Jahren waren wir schon einmal weiter“

25 Jahre ist es her, seit beim Brandanschlag von Solingen fünf Menschen ihr Leben lassen mussten. Am Jahrestag der schrecklichen Tat treffen sich Angehörige und Politiker zum Gedenken in der Stadt. Deutliche Worte findet dabei vor allem der Oberbürgermeister.

Gedenken an die Opfer des Brandanschlages in Solingen vor dem früheren Haus der Familie Genc.

Gedenken an die Opfer des Brandanschlages in Solingen vor dem früheren Haus der Familie Genc.

Foto: Mathias Schumacher

An gewöhnlichen Tagen erinnert in der Unteren Wernerstraße wenig an das, was vor 25 Jahren geschah. Fünf Kastanien wurden gepflanzt, wo einst das Haus der Familie Genc stand. Fünf Kastanien für die fünf Menschen, die in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993 ihr Leben verloren. Und eine kleine Gedenktafel: Hatice Genc, 18, Gülüstan Öztürk, 12, Hülya Genc, 9, Saime Genc, 4, und Gürsün Ince, 27, die sich vor den Flammen durch einen Sprung aus dem Fenster zu retten versuchte. Sie starb, aber das Kind, das sie in den Armen hielt, überlebte.

Es ist ein Ort, der Ruhe gebietet. Ein Ort, der an Gedenktagen ganz der Familie Genc und ihrer Trauer gehört. Auch an diesem Dienstag sollen Politiker hier keine Reden halten, hier sieht das Programm für die Gedenkfeiern zum Brandanschlag in Solingen „Stilles Gedenken mit Angehörigen der Familie Genc“ vor. Geredet wurde an diesem Tag schon anderswo.

Und auch in Solingen versammeln sich an diesem Nachmittag Politiker, um an jene Brandnacht zu erinnern, die als eines der schlimmsten rassistischen Verbrechen der Nachkriegszeit in die deutsche Geschichte einging. Sie sind gekommen, um mit der 75-jährigen Mevlüde Genc und ihrer Familie zu trauern - und dafür zu danken, dass sie trotz ihres großen Schmerzes die Kraft fanden, für Versöhnung zwischen Deutschen und Türken einzutreten. In jede dieser Reden mischt sich die Sorge um die Folgen aktueller rechtspopulistischer Tabubrüche.

Brandanschlag in Solingen: Angela Merkel trifft Mevlüde Genc
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Gedenken an Solinger Brandanschlag - Merkel trifft Mevlüde Genc

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp fragt gerade, warum es nicht gelang, „das Versprechen zu erfüllen, auf das jeder Bürger, ob einheimisch oder zugewandert, einen Anspruch hat: nämlich frei und in Sicherheit zu leben“. Wenig später bricht ein heftiges Gewitter los. So heftig, dass die Veranstaltung abgebrochen werden muss.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu kommt nicht mehr dazu, seine Rede zu halten. Er wollte laut Redemanuskript daran erinnern, wie aufgebracht das türkische Volk kurz nach dem Brandanschlag war. Und dass es ausgerechnet die Familie Genc war, die es mit ihrem Wunsch nach Versöhnung besänftigte.

Auch Calogero Vassallo, der heute in Solingen als Taxifahrer arbeitet, kann sich an die Stimmung nach dem Anschlag gut erinnern. „Es herrschte Krieg auf der Straße“, sagt er. Aufgebrachte Gruppierungen hätten aus Protest auf Straßenkreuzungen Lagerfeuer gemacht, die Polizei habe alle Hände voll zu tun gehabt, die Lage zu deeskalieren.

Wahlkampf, wie zuvor befürchtet, wollte Cavusoglu an diesem Nachmittag in Solingen laut Redetext nicht machen. Mit Respekt vor der Familie Genc dürfe man diesen Jahrestag nicht mit jeglichen politischen Debatten überschatten, wollte er demnach sagen. Aber er weist in dem Text daraufhin, dass das Verfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in der Türkei und die rechtspopulistischen Strömungen in Deutschland genau verfolgt würden. Es sei nicht richtig, wenn gegen Migranten ausgrenzende Ausdrücke gebraucht würden. „Der Brandanschlag in Solingen war kein Einzelfall“, so Cavusoglu.

Sein deutscher Amtskollege gibt ihm darin recht. Doch auch Heiko Maas kommt nicht mehr dazu, seine Rede wie geplant zu halten. 312 Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte habe es allein im vergangenen Jahr gegeben, fast einer pro Tag, listet Maas in seinem Redemanuskript auf. Meinungsverschiedenheiten zwischen der Türkei und Deutschland dürften keine Absage an das gemeinsame Gedenken zur Folge haben.

Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach kann seine Rede als erster Redner immerhin wie vorgesehen zu Ende zu bringen. Er spricht die schonungslosesten Worte an diesem Nachmittag. Die Stimmung in Solingen kurz vor dem Brandanschlag beschreibt er rückblickend so: „Ja, es stimmt, eine rechte Szene existierte.“ Sie habe aber überschaubar gewirkt - und die Personen, die man gekannt habe, hätten als ungefährlich gegolten, als „skurril“.
Welch ein Trugschluss. Die Täter, vier deutsche Neonazis, verkehrten seit Langem in der Skinhead-Szene. Einer von ihnen war ein Nachbar der Familie Genc von gegenüber.

Der Oberbürgermeister aber geht in seiner Analyse weiter als jeder andere Politiker an diesem Tag. Er sieht in der aktuellen Stimmungslage im Land nicht nur Parallelen zur Gegenwart, sondern vielmehr einen Rückschritt: „Mit einer Erkenntnis waren wir vor 25 Jahren schon einmal deutlich weiter“, sagt er, nämlich dass den rassistischen Anschlägen eine Verrohung der politischen Sprache vorangegangen sei.

Es sei damals die Rede gewesen von einer „Flut“ von Ausländern, die Parole 1993 habe gelautet: „Das Boot ist voll.“ Aus dem Wahlkampf heraus seien Ressentiments geweckt worden. „Und auch 2018 ist Wahlkampf“, sagt Kurzbach, und schiebt an die Adresse der AfD gerichtet nach: „Mehr noch. In unserem Parlament sitzt seit wenigen Monaten eine Partei, für die Hass, Ausgrenzung und der bewusste Bruch des respektvollen Miteinanders geradezu der Markenkern sind.“ Diese Partei habe auch andere Politiker zu einem gefährlichen verbalen Buhlen um den rechten Rand der Gesellschaft verführt.

An diesem 25. Jahrestag des Brandanschlages sind viel weniger Menschen gekommen als erwartet, um der Opfer zu gedenken. Beim Sternmarsch am Vormittag waren es einige hundert. Und auf der Wiese am Mahnmal haben sich der Polizei zufolge deutlich weniger als 1000 Menschen versammelt. Nicht mehrere tausend, wie die Stadt erwartet hatte.

(kib)
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