Im NGZ-Gespräch: Sportdirektor Christian Hochstätter Wir müssen die Straße in den Verein holen

Von Dirk Sitterle

Von Dirk Sitterle

VfL Borussia Mönchengladbach — ein Mythos ist zurück in der Fußball-Bundesliga. Sportdirektor Christian Hochstätter, dem Traditionsverein bereits seit 1982 verbunden, sprach mit der NGZ über die Zukunft der Borussia, aber auch über die Tücken der Jugendförderung und die sportliche Krise im Land des dreimaligen Weltmeisters Deutschland.

Herr Hochstätter, die Borussia ist in Neuss immer ein Thema. Unzählige Fans aus dem Kreisgebiet pilgern regelmäßig zum Bökelberg, nehmen Anteil am Schicksal des Vereins. Gibt es Untersuchungen darüber, wieviele Anhänger der VfL in Neuss und Umgebung hat?

Hochstätter: Durch unseren Fanbeauftragten sind wir über unsere Fanklubs natürlich genau informiert. Ansonsten machen wir eigentlich keine gezielten Untersuchungen, wir werben für uns über die Art und Weise, wie wir Fußball spielen. Aber da ich selber in Neersbroich wohne, bekomme ich Einiges mit. Dadurch, dass Fortuna Düsseldorf nicht mehr in dieser Klasse spielt, sind wir die unumstrittene Nummer eins am Niederrhein. Aber unsere Fans kommen aus ganz Deutschland sowie aus aus dem holländischen und belgischen Raum.

Die prägten bei der Rückkehr ins Bundesliga-Oberhaus den Slogan: der Mythos ist zurück. Mönchengladbach gehört einfach in die Bundesliga.

Hochstätter: Klar, Gladbach und die Erste Liga, in der der Verein 35 Jahre spielt, das passt. Aber aufgrund unseres Namens wird die Aufgabe nicht leichter.

Wo soll der Verein in fünf Jahren stehen?

Hochstätter: Was soll ich darauf antworten? Soll ich sagen, ich möchte in fünf Jahren Deutscher Meister sein? Als Fan darf man träumen, aber ich bin Realist. Es kann so viel so schnell passieren. Ein Beispiel: Der VfL Wolfsburg. 1995, als wir den im Endspiel des DFB-Pokals geschlagen haben, spielten der Klub noch in der Zweiten Bundesliga. Mittlerweile ist Wolfsburg meilenweit von Borussia Mönchengladbach entfernt. Diese Differenz müssen wir erst mal schließen, bevor wir über Riesen wie Bayern München, Borussia Dortmund oder Bayer Leverkusen nachdenken können.

Also ist in den kommenden Jahren vor allem Geduld gefragt?

Hochstätter: Es ist doch schon viel passiert. Obwohl wir gezwungen waren, einen rigorosen Sparkurs zu fahren — wir haben binnen kürzester Zeit immerhin 30 Millionen Mark Schulden abgebaut —, hatten wir sportlichen Erfolg, sind sogar aufgestiegen. Das ist doch eigentlich paradox. In zwei Jahren haben wir endlich ein neues Stadion — ein Thema seit zehn Jahren, das viel Kraft, Zeit und Energie fordert und gefordert hat. Dann ist es uns möglich, auch unabhängig vom sportlichen Bereich Gelder zu generieren. Wir hatten sicherlich Glück, sind aber noch nicht am Ende. Wir sind immer noch nicht in der Lage, für einen neuen Spieler fünf, sechs, ja vielleicht sogar zehn Millionen Mark auszugeben.

Kann das denn wirklich das Ziel sein? Die Fohlen als Geldsäcke?

Hochstätter: Man muss doch mal sehen, für drei Millionen Mark kriegen sie nicht die erste Kategorie an Spielern. Es ist sicherlich nicht mein Ziel, 100 Millionen Mark für Transfers ausgeben zu können, aber wenn es damit schneller geht, werden sie doch, nicht zuletzt auch durch Medien, dahin getrieben.

Doch davon ist der Klub noch ein ganzes Stück entfernt, oder?

Hochstätter: Auf jeden Fall. Wir müssen schauen, dass wir die nächsten beiden Jahren in der Liga bleiben. Erst im dritten Jahr werden wir unseren Fans nicht mehr verkaufen können, dass wir nur um den Klassenerhalt spielen.

Apropos Klassenerhalt. Was wäre passiert, hätte die Borussia die anvisierte Rückkehr in die Erste Fußball- Bundesliga im Sommer nicht geschafft?

Hochstätter: Im zweiten Jahr in der Zweiten Bundesliga hat Borussia Mönchengladbach finanziell und sportlich noch von seinem guten Namen gelebt. Trotzdem war der Aufstieg natürlich kein Selbstläufer. Hätte es nicht geklappt, wäre sicher eine Zäsur nötig gewesen, hätten wir Spieler abgeben müssen. Aber, frage ich Sie, warum sollen wir uns über ungelegte Eier unterhalten?

Okay. Reden wir über den fußballerischen Nachwuchs. Was halten Sie von den Bemühungen des DFB, die Jugendförderung im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land massiv auszubauen?

Hochstätter: Jugendkonzept, das hört sich alles so heroisch an. Wer in der Jugendarbeit tätig ist, der braucht vor allem Zeit, das umzusetzen, was er sich vorgenommen hat. Deshalb wollte da keiner so richtig dran. Auch ich habe nicht das Patentrezept, doch die Priorität muss auf der Ausbildung liegen. Ob wir im Nachwuchsbereich Deutscher Meister werden, interessiert mich nicht.

Wie weit ist Borussia Mönchengladbach?

Hochstätter: Ich bin mir absolut sicher, jeder Bundesligaverein hat bessere Möglichkeiten als wir. Die komplette Jugendabteilung trainiert auf einem Platz, so bekommen wir keinen Jugendnationalspieler nach Gladbach. Es ist eigentlich schon zielmlich traurig, was hier in den vergangenen Jahren versäumt wurde. Eine klare Kritik an den Leuten, die hier vorher tätig waren. Auch seitens der Stadt Mönchengladbach haben in der Vergangenheit die nötige Unterstützung vermisst. Aber mittlerweile sind wir auf einem guten Weg, was uns einfach fehlt, sind die Plätze.

Aber macht Jugendarbeit überhaupt Sinn, wenn am Ende in der Bundesliga sowieso keiner aus dem eigenen Stall zum Einsatz kommt, wenn selbst in der A-Jugend viele Positionen mit ausländischen Spielern besetzt werden?

Hochstätter: Ich kann da nur für mich sprechen. Das Ausland ist nicht die Priorität, da müsste man schon die Garantie haben, dass der Junge mal in der Bundesliga spielen wird. Natürlich zählt unterm Strich nur das Ergebnis, aber ich glaube an die deutschen Spieler, an ihre Mentalität.

Aber warum schaffen dann immer weniger Talente den Sprung ins Oberhaus?

Hochstätter: Die Qualität an jungen Spieler, die wir in Deutschland haben, ist gar nicht so schlecht. Das Problem: wir haben im Vergleich zu Frankreich, Holland oder England zu schlechte Ausbilder.

Und das war früher anders?

Hochstätter: Aber sicher! Ich war besser ausgebildet, davon können Sie ausgehen. Aber im Gegensatz zu früher haben heute die in Frage kommenden Trainer kein Interesse mehr, die wollen lieber direkt 'ne A-Jugend haben. Die Folgen sehen wir jetzt: Die Schwächen der Jungen, die im Lizenzspielerbereich ankommen, besonders im fußballtechnischen und taktischen Bereich sind für mich erschreckend.

Gibt es darüber hinaus weitere Gründe?

Hochstätter: Früher habe ich den Schulranzen in die Ecke geschmissen und bin raus zum Bolzen gegangen. Mein Sohn kann das gar nicht, weil er keinen hat, mit dem er Fußball spielen kann. Eine Aufgabe der Klubs muss es daher sein, die Straße in den Verein zu holen. Die Freizeit, die wir unseren Kinder geben, sollten sie mit Fußball verbringen.

Wie sieht Talentsichtung bei Borussia Mönchengladbach aus?

Hochstätter: Wir sehen zunächst nur das Talent, überlegen uns, ob er für uns eine Bereicherung sein kann. Wichtig ist, dass ein Spieler lernt, sich weiterentwickeln will. Es gibt auch 15-jährige, die hören nicht zu, die meinen, sie könnten schon alles. Doch selbst vom Talent her gesegnete Spieler wie Sebastian Deisler oder Marcel Ketelaer haben in ihrer Jugend einfach mehr gearbeitet als andere.

Stichwort Sebastian Deisler: Warum gibt es so wenige Spieler in Deutschland von seinem Format? Bekommen sie zu wenig Chancen in ihren Vereinen?

Hochstätter: In diesem Bereich wird nirgendwo so gut gearbeitet wie in Holland. Wie die ausbilden, ist sensationell. Weil in deren erster Liga nur ein Verein absteigt, haben die die Möglichkeit, ihre Spieler in jungen Jahren ohne Angst auf höchstem Niveau auszubilden.

Trotzdem biss sich der Nachbar über viele Jahre an typisch deutschen Tugenden wie Kampfkraft und Ausdauer die Zähne aus.

Hochstätter: Kämpfen und rennen — das lese ich viel zu oft. In Holland werden sie keine fünf Trainer finden, die Laktat-Werte messen. Mein alter Jugendtrainer hat immer gesagt: Das was Du auf dem Platz läufst, reicht aus. Und der Begriff kämpfen wird für meinen Geschmack in Deutschland überstrapaziert. Für mich ist das normaler Einsatz. Was soll das heißen? Wir haben zwar verloren, aber toll gekämpft. Schwachsinn! Wenn ich verloren habe, habe ich verloren. Der Rest interessiert mich einen Scheißdreck!

Klingt einigermaßen überraschend, galten sie während ihrer aktiven Zeit doch als Kicker, der den Schönheiten des Spiels stets zugetan war.

Hochstätter: Man muss da trennen. Im Jugendbereich liegt das Hauptaugenmerk auf dem Begriff spielen. Bei den Senioren, da bin ich ganz ehrlich, sind die Punkte wichtiger, auch wenn es mich natürlich schon freut, wenn wir so spielen wie in den ersten sechs Partien.

Noch mal zurück zur Jugendförderung. Es gehört fast zur Tagesordnung, dass die Talentspäher Borussias im Jagdrevier Neuss fündig werden und damit für jede Menge Ärger sorgen. Wie kann man das abstellen? Vielleicht indem man für einen Rückfluss nicht benötigter Talente sorgt?

Hochstätter: Grundsätzlich muss doch mal festgehalten werden, dass wir für die Breite ausbilden, denn die meisten Talente schaffen es nicht bis in den Profibereich. Zur Frage: Wenn ein Nachwuchsspieler aus Neuss nach Mönchengladbach wechselt, wird das immer böses Blut geben. Wer gibt schon gerne seinen besten Fußballer ab? Und auch einen Rückfluss kann es und wird es nur ganz selten geben. Denn kehrt ein Spieler zu seinem alten Klub zurück, kommen er als Gescheiterter. Das erlebt niemand gerne.

Das ist wohl wahr. Doch in den vergangenen Jahren hat man immer mehr den Eindruck, als wenn Gefühle im Fußball nichts mehr zählen. Der schnöde Mammon zählt. Beispiel Champion League.

Hochstätter: Sie haben sicher recht, der Fußball hat sich verändert. Die Champions League in ihrer jetzigen Form finde ich langweilig. Aber das sind Phasen, mehr nicht. Man kann sich ja mal irren, das ist doch nicht schlimm.

Aber auf den echten Fan, der von der Flut der Spieler schlichtweg überfordert wird, hört niemand mehr. Eine gefährliche Entwicklung.

Hochstätter: Das sehe ich anders. Der Fan ist heute viel mündiger als früher, macht seinen Einfluss immer energischer geltend. Dass wir ein neues Stadion brauchen, sieht auch er ein, aber versuchen sie mal, eins ohne Stehränge zu bauen.

Macht, vor der selbst Medienmogul Leo Kirch und der Privatsender sat 1 in die Knie gehen. Wie stehen sie dazu? Immerhin geht es dabei (natürlich) auch um viel Geld. Geld, auf das die Vereine dringend angewiesen sind.

Hochstätter: Man muss aufpassen, was man sagt. Das ist ein ganz schmaler Grat, auf dem man sich bewegt, schließlich gilt auch im Profi-Fußball: Wer die Musik bezahlt, der bestimmt auch, was gespielt wird. Und wir sollten nicht vergessen, dass wir in der Zweiten Liga mit den insgesamt elf Montagsspielen auf DSF gute Erfahrungen gemacht haben. Sicher, wir hatten weniger Zuschauer im Stadion, aber verbunden mit den Live-Übertragungen war ein nicht zu unterschätzender Imagegewinn, davon hat der Verein enorm profitiert.

Das Fernsehen als Heilsbringer? Keine Änderungsvorschläge?

Hochstätter: Es gibt Bestrebungen, und denen möchte ich mich anschließen, mit der Bundesliga wieder auf den Freitag zurückzugehen. Dadurch könnten die Sonntagspiele entfallen, was den Amateurvereinen zu Gute kommen dürfte.

Themenwechsel. Sie haben im Profibereich bislang nur in Mönchengladbach gearbeitet, zunächst als Spieler, nun als Sportdirektor. Sieht ganz so aus, als würden sie bei der Borussia irgendwann mal in Rente gehen.

Hochstätter: Ich bin zwar mittlerweile seit 20 Jahren hier, aber ich bin mit dem Klub nicht verheiratet. Aber ein Wechsel ist im Moment kein Thema.

Kein Wunder, fällt in ihre Amtszeit doch die Rückkehr in die Bundesliga.

Hochstätter: Aber ich bin mit dem Verein auch abgestiegen. Diesen Schuh ziehe ich mir an, wenngleich ich nicht sage, dass ich schuld daran war. Genauso halte ich es mit dem Aufstieg.

Könnten Sie sich denn vorstellen, auch mal in anderer Funktion im Fußball tätig zu sein?

Hochstätter: Ja klar. Ich könnte mir schon vorstellen als Trainer zu arbeiten — irgendwann mal.

Haben Sie noch einen Traum, den Sie sich im sportlichen Bereich erfüllen wollen?

Hochstätter: Ich will mal Deutscher Meister werden, das ist mir als Spieler nämlich nie gelungen.

(NGZ)
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