Redaktionsgespräch mit Britta Thie „Das Minto hat einen digitalen Hinterhof“

Mönchengladbach · Atelierstipendiatin Britta Thie spricht über ihren Film „Powerbanks“, jugendliche Piraten und ihre Liebe zu Mönchengladbach.

 Britta Thie drehte mit Jugendlichen einen Film im Minto.

Britta Thie drehte mit Jugendlichen einen Film im Minto.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Sie haben Kontakt zu Jugendlichen im Minto gesucht und mit einigen von ihnen den Film „Powerbanks“ gedreht. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Thie Einkaufszentren sind ja schon seit Jahrzehnten die Treffpunkte von Jugendlichen. Das ist eigentlich nichts Neues. Ich komme aus Minden in Westfalen, und wir haben uns in den 90er Jahren immer im Kaufhaus Hagemeyer getroffen. Inzwischen haben Einkaufszentren wie das Minto aber einen digitalen Hinterhof bekommen, wenn sich die Jugendlichen nämlich beispielsweise auf ihren Instagram-Accounts präsentieren. Ich habe das Gefühl, sie kapern die Einkaufszentren wie Piraten ein Luxusschiff. Sie probieren die Sachen an, machen Fotos und stellen sie auf ihren Account. Sie bewegen sich damit ständig zwischen Realität und Fiktion. Ich finde das faszinierend. Erinnern Sie sich noch an Polly Pocket, diese Mini-Welten zum Aufklappen? Das Minto ist für mich ein großes Polly Pocket voller kleiner Polly Pockets, überall sind Geschichten und kleine Welten verborgen.

Worum geht es in Ihrem Film „Powerbanks“?

Thie Es geht einerseits um eine Liebesgeschichte, andererseits um einen Identitätsverlust. Die Protagonistin verliert ihr Sketchpad, und ihr Account wird von einer Mädchenbande gehakt und gelöscht. Was passiert, wenn der eigene Account und damit ein Teil der Identität einfach weg sind? Wie abhängig sind wir von unserer digitalen Repräsentation? Eine spannende Frage. Ich habe mich mit Jugendlichen darüber unterhalten und im Minto dann den Film gedreht, fünfzehn Jugendliche sind darin Darsteller. Die Dialoge sind oft improvisiert, das Script, das ich mit zwei großartigen Autorinnen, Lea Becker und Ariana Berndl, geschrieben habe, hat sich während der Dreharbeiten immer wieder etwas verändert. Der Film läuft jetzt gleichzeitig in der Ausstellung Powerbanks im Museum Abteiberg und im Saturn im Minto. Bei der Ausstellungseröffnung waren dann die Darsteller und Jugendliche mit ihren Eltern und Geschwistern dabei.

Museum Abteiberg und Minto – das ist eine ungewöhnliche Verknüpfung. Waren die Jugendlichen, die Sie im Einkaufszentrum getroffen haben, vorher schon mal im Museum?

Thie Vielleicht mal mit der Schule, aber sonst schien mir ein Großteil eher eine Hemmschwelle zu haben herzukommen. Ich halte diese Verknüpfung von Orten aber für sehr wichtig, deshalb stehen jetzt im Eingangsbereich des Museums Powerbanks, Nachbauten der Sitzgelegenheiten aus dem Minto, es gibt freies W-Lan, ganz viele Steckdosen und Jugendliche bis 20 Jahre haben freien Eintritt, solange die Ausstellung läuft. Das hat funktioniert. In Freistunden oder an Nachmittagen kamen immer wieder Schüler, um ihr Handy aufzuladen, abzuhängen oder zu surfen. Ich finde es auch super, dass sich im Umfeld so viele Jugendliche aufhalten. Immer wenn ich aus dem Museum komme, sehe ich irgendwo knutschende Teenager. Das gehört zu den Dingen, die ich an Mönchengladbach so liebe.

Ist die Wahl eines Einkaufszentrums als Handlungsort nicht auch eine Verbeugung vor dem Konsum?

Thie Man kann das dystopisch sehen, aber ich versuche, mit der Lebensrealität der Jugendlichen umzugehen. Ich kann ja auch nicht in den Wald ziehen, obwohl mir manchmal danach wäre, mich aus allem herauszuhalten, weil ich den Kapitalismus verabscheue und mich die Digitalisierung stresst. Ich denke, wir müssen damit umgehen, dass es überall beigefarbene Vapianos und gelbe Nanunanas gibt, die in jeder Stadt einfach eine Realität sind. Und vielleicht findet man darin plötzlich einen poetischen Umgang und die Möglichkeit der kritischen Reflexion. Ich lebe und arbeite mit dem, was da ist, was uns und die Jugendlichen umgibt und anzieht.

Sie haben auch mit Jugendlichen aus dem Jugendzentrum Step gearbeitet.

Thie Ja, ich habe dort einen Workshop gemacht. Die Jugendlichen haben Videos gedreht und selber geschnitten. Auch diese Filme laufen jetzt in der Ausstellung im Museum Abteiberg.

Planen Sie ähnliche Projekte wie „Powerbanks“ auch in anderen Städten?

Thie Ja, das könnte ich mir vorstellen. Ich habe auch eine Stadt im Auge. Die dortige Mall sieht von innen so aus wie hier das Minto von außen.

Sie haben sich schon als Kind für das Medium Film interessiert. Wie kamen Sie zu Ihrer ersten Kamera?

Thie Ich bin erst mit sechs Jahren getauft worden, weil meine Eltern wollten, dass ich mich bewusst dafür entscheiden konnte. Direkt nach der Feier habe ich meinen Vater angebettelt, mit dem geschenkten Geld eine Videokamera zu kaufen. Ich habe dann anschließend vor allem Talkshow- und Entertainment-Formate nachgespielt. Das fand ich faszinierend. Später sind wir umgezogen, und ich habe vor dem Auszug die gesamte Wohnung abgefilmt, weil ich sie einfach nicht vergessen wollte. Diese Clips habe ich vor einiger Zeit digitalisiert und war in der Zeit ziemlich durch den Wind, weil meine Kindheit und Jugend mit all ihren Unsicherheiten und Objekten plötzlich wieder so greifbar waren.

Sie haben sich nach dem Abitur entschlossen, Kunst zu studieren. Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Thie Ich habe zuerst zwei Semester Kommunikationswissenschaften studiert. Ich wollte etwas „Ordentliches“ machen, aber ich habe schnell gemerkt, dass das nicht mein Ding ist. Ich kann einfach besser mit Bildern umgehen. Ich habe dann an der Kunstakademie Münster mit dem Studium begonnen, bin aber schnell nach Berlin gewechselt. Dann ging es nach New York, schließlich wieder zurück nach Berlin. Meine Eltern haben das eigentlich ganz entspannt gesehen.

Mit Ihrer Art der Kunst muss es doch recht schwierig sein, Geld zu verdienen.

Thie Es ist richtig, ich arbeite nicht sehr kunstmarktorientiert. Mich interessiert der offene Kontext. Ich finde es immer spannend, wenn eine Arbeit aus dem Ausstellungsraum heraus drängt, vielleicht ins Digitale oder in den öffentlichen Raum, weil sie einfach nicht anders kann. So wie damals Translantics in der Schirn-Kunsthalle am logischsten auf YouTube funktioniert hat als Webserie, die für alle zugänglich war und immer noch ist. Ich kooperiere oft mit Institutionen, Theatern oder auch Fernsehsendern. Dabei finde ich es spannend, wie man digitale und zeitbasierte Formate analog verankern und ineinander verschränken kann.

Sie sind die 30. Atelierstipendiatin der Stadt Mönchengladbach. Ihr Stipendiat endet am 14. Oktober.Was halten Sie von diesem Stipendiat, das von der Wilberz-Stiftung seit 20 Jahren gefördert wird?

Thie Das Atelierstipendium ist etwas ganz Besonderes für mich, wofür ich mich auch noch einmal bedanken möchte. Es gab mir die Gelegenheit, durchzuatmen und mich voll und ganz auf dieses Projekt und die Stadt hier zu konzentrieren. Auch die Zusammenarbeit mit Susanne Titz ist großartig und hat mir viel Freude bereitet. Ich bin auch schon von anderen Künstlern auf das Atelierstipendiat angesprochen worden. Das ist eine tolle Möglichkeit, die nicht viele Städte bieten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort