Serie Gladbacher Lesebuch (30) Was eine einzige Bombe anrichtete

Eicken · Ein Bomber auf dem Rückflug warf über Eicken seine letzte Bombe ab. Sie tötete 36 Menschen. Die Zeit hatte nicht gereicht, die Menschen frühzeitig zu warnen. Auch der Großvater der Autorin starb an diesem Oktobertag.

 Das brennende Mönchengladbach am Morgen des 10. Septembers 1944.

Das brennende Mönchengladbach am Morgen des 10. Septembers 1944.

Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach

Der 14. Oktober 1944 war ein schöner Herbsttag. In der Eickener Pfarre St. Maria Rosenkranz hatte Pastor Hermann Joseph Lambertz uns, die Kommunionkinder aus diesem Jahrgang, zu einer Kindermesse mit anschließender Beichte eingeladen. Es wurde eine traurige Veranstaltung mit nur wenigen Besuchern.

Viele Pfarrangehörige waren „ausgebombt“, wie das damals hieß. Innen und außen am Kirchengebäude gab es Kriegsschäden, die dringend beseitigt werden mussten und oft vom Pastor persönlich notdürftig repariert wurden. Dazu sah man ihn auch manchmal im blauen Anzug hoch oben auf dem Kirchendach werkeln, um seine Kirche zu retten.

Der Blumenschmuck war dürftig, Kerzen galten als Mangelware. Die kleinsten Stücke steckte man in hohe Hülsen, um so große Kerzen vorzutäuschen. Glocken gab es nicht mehr. Unter schrecklichen Umständen waren sie aus dem Kirchturm heraus geholt und abtransportiert worden. Sie sollten eingeschmolzen werden.

Im Oktober 1949 kehrten sie zurück, man hatte sie nach Kriegsende im Hamburger Hafen gefunden. Aber manchmal, bei festlichen Angelegenheiten, da klang das Geläute aus der Sakristei heraus, denn Pastor Lambertz hatte es noch rechtzeitig auf Schallplatten aufzeichnen lassen. Dann war es in der Kirche still und viele Erwachsene weinten.

Am 14. Oktober gab es jedoch keine Feierlichkeiten. Es herrschte Angst. Mein Kirchweg von der Krefelder Straße bis zur Eickener Kirche war weit und gefährlich. Hier lagen, wie man es damals nannte, viele Ziele von Bombenabwürfen: große Textilfabriken, das Gaswerk, die Bahnstrecke, die „Drehscheibe“ für Lokomotiven, das Straßenbahndepot und eine wichtige Eisenbahnbrücke.

Meine Mutter begleitete mich an diesem Dienstagmorgen im Oktober. Während des Gottesdienstes gab es, wie befürchtet, Alarm. Wir rannten aus der Kirche zu einem Erdbunker nahe der Rosenkranzkirche an der Marienkirchstraße und erreichten ihn gerade noch, als ein furchtbarer Schlag erfolgte. Der Bunker schaukelte wie ein Boot. Es war einfach schrecklich, wir hatten es gerade noch bis hier geschafft.

Was wir aber nicht ahnten, das war, dass Opa nur einige hundert Meter weiter durch den Luftdruck dieser Bombe getötet wurde. Unser Opa galt zunächst als vermisst. Man suchte lange nach ihm. Er wurde später gefunden – auf einem Dach in der Nachbarschaft, vom hohen Luftdruck dahin geschleudert. So hat man es jedenfalls den Angehörigen mitgeteilt.

Bei der Seidenweberei Siepermann herrschte damals großer Personalmangel. Alle Männer, die noch „kriegstauglich“ waren, wurden an die Front geschickt. Der Betrieb hatte die Rentner zurückgerufen. Zu der Gruppe gehörte auch mein Opa. Während einer Arbeitspause hatten sich mehrere Personen zu einer Besprechung auf dem Betriebshof versammelt.

Offensichtlich wurde diese Menschengruppe an diesem klaren Herbsttag gesichtet und diente als Ziel für eine einzige Bombe. Die Zeit hatte nicht mehr ausgereicht, den Luftschutzraum der Firma aufzusuchen. Meine Mutter hat mir dann später erzählt, dass man das alles nicht in der Todesanzeige erwähnen durfte. Es wäre sonst als „Wehrkraftzersetzung“ bestraft worden.

Insgesamt wurden durch diese einzige Bombe mindestens 36 Menschen getötet und 15 weitere verletzt. Bei dem „Bombenwerfer“ hat es sich wirklich nur um ein einziges Flugzeug gehandelt. Daher war die Zeit für den Fliegeralarm auch so kurz gewesen. Es war ein Kampfflugzeug, das sich auf dem Rückflug befand. Aber dieser Pilot eine hatte gereicht, mir meinen Opa zu nehmen und vielen anderen Familien Angehörige.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort