Para-Sport Die ideale Besetzung für einen einzigartigen Job

Leverkusen · Seit Anfang des Jahres ist die Leverkusenerin Sara Grädtke die erste fest angestellte Klassifiziererin für Para-Leichtathletik – und sie geht voll auf in dem Job.

 Ein Bild aus dem Sommer 2019: TSV-Vorsitzender Klaus Beck mit den erfolgreichen Para-Sportlern Markus Rehm, Irmgard Bensusan, Johannes Bessell, Johannes Floors sowie der Klassifiziererin Sara Grädtke und Matthias Esser (v.l.).

Ein Bild aus dem Sommer 2019: TSV-Vorsitzender Klaus Beck mit den erfolgreichen Para-Sportlern Markus Rehm, Irmgard Bensusan, Johannes Bessell, Johannes Floors sowie der Klassifiziererin Sara Grädtke und Matthias Esser (v.l.).

Foto: Ulrich Fassbender

Fast zehn Jahre arbeitete Sara Grädtke als Physiotherapeutin. Ihr Job führte sie auch nach Leverkusen. Damals hätte sie sich vermutlich nicht ausmalen können, wie ihre berufliche Karriere verläuft. Inzwischen arbeitet Grädtke nämlich als Trainerin für Para-Leichtathletik beim TSV Bayer 04 – und neuerdings auch mit einer von der Sportstiftung NRW finanzierten halben Stelle als Klassifiziererin für den Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen. Sie ist die erste hauptamtliche Klassifiziererin in Deutschland.

Grädkte wirkt wie die ideale Besetzung für den Job. Neben ihrem physiotherapeutischen Wurzeln bekommt die 36-Jährige täglich als Trainerin die Praxis mit. Sie leitet in Leverkusen die „#HappyParaKids“- und die „#FitMitOhneProthese“-Gruppe für alle Sportbegeisterten. Zudem trainiert sie unter anderem Johannes Bessell, der 2018 in Berlin bei der Europameisterschaft Bronze über 1500 Meter gewann und nun im Marathon auf die Qualifikation für die Paralympics 2021 in Tokio hofft.

„Ich persönlich finde den Mix mega gut“, sagt Grädtke. Als Klassifiziererin testet und vermisst sie Athletinnen und Athleten in ganz NRW. Zudem unterstützt sie in ihrer Funktion als Klassifizierungsbeauftragte der deutschen Para-Leichtathletik bundesweit bei Fragen. „Es hat eigentlich nur Vorteile: Als Trainer ist es hilfreich, über die Thematik Bescheid zu wissen und dadurch seinen Athleten eine gute Perspektive bieten zu können. Und die Erfahrung als Trainerin hilft bei der Klassifizierung zur Überprüfung der funktionellen Aspekte, ob die Funktion zur Klasse passt.“

Klassifizierung ist im paralympischen Spitzensport ein großes Thema, um die Leistungen trotz der körperlichen Unterschiede vergleichbarer zu machen und allen Teilnehmenden die größtmögliche Chancengleichheit zu ermöglichen. Gleichzeitig soll es aber nicht zu viele Klassen geben, um weiterhin attraktive Wettbewerbe mit ausreichend Teilnehmenden zu gewährleisten.

In der Para-Leichtathletik gibt es fünf Behinderungskategorien: Sehbehinderung, intellektuelle Beeinträchtigung, Zerebralparese, Amputierte/Les autres und Rückenmarksverletzungen. Je größer die Klassennummer, desto geringer ist der Grad der Behinderung. Zudem wird der Nummer der Buchstabe T für Track, also Bahn- und Sprungdisziplinen, oder F für Field, also technische Disziplinen, vorangestellt. Doppelt unterschenkelamputierte Sprinterinnen und Sprinter sind beispielsweise in der Klasse T62.

Grädtke war von Anfang an fasziniert von der Klassifizierung. Sie sagt: „Ich liebe es, die Tests durchzuführen und die Athleten zu vermessen und fand es schon immer spannend zu sehen, wer in welcher Klasse starten darf und wer nicht.“ Schließlich kommt es immer wieder zu gefährlichem Halbwissen, dass jungen Athletinnen und Athleten ohne Überprüfung gesagt wird, dass sie in dieser und jener Klasse seien – was am Ende manchmal nicht stimmt. „Das ist in meinen Augen ein absolutes No-Go, denn wenn man falsch liegt, kann das ziemlich schwerwiegende Folgen für die Athleten haben.“ Einige Disziplinen wie Diskuswurf werden in der Para-Leichtathletik nämlich nur in gewissen Klassen angeboten: „Wenn der Athlet dann in der falschen Klasse ist und im schlimmsten Fall die falsche Disziplin trainiert, ist das schon etwas bedauerlich, weil ja potenzielle Teilnahmen dadurch nicht mehr möglich sind.“

Eine der bekanntesten Klassifizierungsdebatten der vergangenen Jahre war jene über die Prothesenlängen bei den amputierten Sprinterinnen und Sprintern. Nach einer neuen Formel, mit der die Prothesenlänge proportional besser zum Körper passen soll, hätten die Prothesen von einigen der Top-Athleten mehr als 15 Zentimeter kürzer werden müssen, um weiter teilnehmen zu dürfen.

Der Einstieg in den Trainerbereich gelang Grädtke durch Johannes Floors, den weltweit schnellsten Prothesen-Sprinter. Sie war seine erste Trainerin. „Die Arbeit mit Johannes hat mich sehr geprägt, ihm verdanke ich eine turbulente Saison und den emotionalsten sportlichen Moment meiner Karriere, als er als erster deutscher amputierter Athlet die 400 Meter unter 50 Sekunden gelaufen ist.“

Doch nicht nur die Top-Leistungen haben es Grädtke angetan, generell brennt sie für den Sport von Menschen mit Behinderung. „Es bedeutet mir sehr viel und es ist beeindruckend, was die Athleten trotz oder besser gesagt mit Handicap leisten. Es macht mir unheimlich viel Spaß, den Kindern und Anfängern beim Laufen zuzusehen.“

 Rechts: Die Trainerin des TSV Bayer 04 übt mit einer Para-Sportlerin den Speerwurf.                        Links: Die erste hauptamtliche Klassifiziererin Deutschlands im Porträt – Sara Grädtke.

Rechts: Die Trainerin des TSV Bayer 04 übt mit einer Para-Sportlerin den Speerwurf. Links: Die erste hauptamtliche Klassifiziererin Deutschlands im Porträt – Sara Grädtke.

Foto: Mika Volkmann/TSV Bayer 04

Sie selbst probiert aktiv neue Trendsportarten wie Ultimate Frisbee gerne aus, geht mit ihren Gruppen zum Kampfsport oder trainiert Stabhochsprung mit ihnen – obwohl letzteres gar nicht paralympisch ist: „Ich finde es super wichtig, alles auch selber mal zu testen, um zu sehen, wie sich das auswirkt und ob es überhaupt umsetzbar ist für Para-Sportler.“

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