Museum Kurhaus Kleve Die Intuition des frühen Beuys

KLEVE · Beim NRW-Ausstellungs-Reigen beuys2021 widmet sich das Museum Kurhaus der Zeit von 1945 bis 1961. Es handelt sich also um die biografische Prägungsphase ab der Rückkehr des 24-Jährigen aus dem Zweiten Weltkrieg bis zur Berufung des 40-Jährigen als Professor an die Düsseldorfer Kunstakademie.

  RP-Fotos: M  arkus van Offern

RP-Fotos: M arkus van Offern

Das Atelier im alten Kurhaus der Stadt Kleve war sein Rückzugsort, sein Kokon: Hier arbeitete Joseph Beuys an seinem ersten öffentlichen Auftrag, dem Büdericher Ehrenmal. Nur seinen späteren Galeristen Schmela ließ er in die Räume. Der Galerist realisierte bei dem Besuch sofort, dass sich hier ganz Neues entwickelte, erinnerte er sich später. Als Beuys den Kokon Kurhaus verließ, folgte er dem Ruf an die Düsseldorfer Kunstakademie. Das Atelier wurde sein Lager, später räumte er es. Heute ist es Teil des Museums.

Jetzt ist der so genannte „frühe“ Beuys wieder da – und nicht nur der. Feine Zeichnungen, humorvolle plastische Bilder wie das mit Fingerhut und Filz auf der einen, die Filzplatten als Wärme und Energiespender auf der anderen Seite. Und dann vor allem die Zeichnungen – sie alle künden von dem Phänomen Beuys, das von hier aus nach Düsseldorf ging und die Welt eroberte. „Dass Kleve sich in diesem Kontext einmal mehr dem Frühwerk des Künstlers widmet, sollte nicht verwundern, bilden dieser Ort und die mit ihm verbundenen Ereignisse und Erzählungen doch so etwas wie den mythischen Urstoff seines gesamten Œuvres“, sagt Kleves Museumsdirektor Harald Kunde.

In den Blick genommen wird diesmal insbesondere der Zeitraum von 1945 bis 1961 – also die biografische Prägungsphase ab der Rückkehr des 24-Jährigen aus dem Zweiten Weltkrieg bis zur Berufung des 40-Jährigen als Professor an die Düsseldorfer Kunstakademie. „Die Ausstellung Intuition! Dimensionen des Frühwerks“ in den Räumen des Joseph-Beuys-Westflügels rings um sein ehemaliges Atelier will vielfältige Einblicke in den geistigen Kosmos des frühen Beuys bieten“, sagt Kunde. Dazu hat er den Beuys-Kenner und Philosophen Wolfgang Zumdick als Hauptkurator geholt, der sich auch mit der für viele leidigen Affinität von Beuys zu Rudolph-Steiner gewinnbringend auseinandersetzt und in einem der Ausstellungssäle thematisiert. Geordnet ist der frühe Beuys darin in Kapiteln wie „Poesie“ – hier seine so weich gezeichneten manchmal auch sehr expliziten Aktzeichnungen, zarte Landschaften, wunderbare Frauenporträts – „Naturwissenschaften“, die viele seiner Materialien und Experimente aufzeigen, oder die frühen Zeichnungen aus der „Biographie“.

Es gehe um eine Würdigung „dieses zweifellos einflussreichsten Künstlers der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, so Kunde. Und um die Utopie vom Erweiterten Kunstbegriff und der Sozialen Plastik für eine Welt, die sich unabweisbar im globalen Katastrophenmodus befinde. Hier weist die Ausstellung in einem der Kabinette auch nach Italien, wo Beuys eines seiner Naturprojekte umsetze, die ihn momentan so aktuell, seiner Zeit weit voraus erscheinen lassen.

Bevor der Besucher aber nach Italien kommt, wird’s politisch: Er muss durch die Beuys-Performance „Sonne statt Reagan“ – eine humorvolle Aufnahme mit Beuys als Frontmann in einem Protest-Song gegen den konservativen US-Amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der zuvor Schauspieler war. Ein Blick zurück in die Zeit des Nato-Doppel-Beschlusses und der Gründungszeit der Grünen.

„Wir wollen auch den Humor von Beuys’ nicht vergessen“, sagt Kuratorin Susanne Figner mit Blick auf den das Mikrophon kreisen lassenden Künstler. Kunde fasst das so zusammen: „Weder vorbehaltlose Heiligenverehrung noch der momentan gern praktizierte Sockelsturz durch Spätgeborene erweisen sich im Umgang mit dem Phänomen Beuys als produktiv, sondern allein der fortgesetzte Versuch, so präzise und lebendig wie möglich seine Arbeiten, seine Handlungen, seine Botschaften und seinen Humor miteinander in Beziehung zu setzen“.

Das Kurhaus bietet so eine Reise zu bekannten Werken und neuen Einblicken, wie die Bilder aus der Sammlung Viehof, es sind viele Leihgaben aus Moyland dabei, aus der Klever Sammlung, startend mit dem androgynen Selbstporträt von Beuys. Bis zum Gips jenes Kopfes, den Beuys nahm, auf die Feldschlange der Straßenbahnhaltestelle setzte und zu Anacharsis Cloots machte. Damit ist ein weiterer Klever Punkt erreicht.

Spannend bleibt Steiner: Zumdick hat hier die typischen Beuys-Tafeln mit denen Steiners konfrontiert. „Kunst kann nach Beuys dann entstehen, wenn neben den Formen der Ratio auch noch andere Formen des Denkens geschult werden, die er, wiederum angelehnt an Rudolf Steiner, als höhere Formen des Denkens, als „Imagination, Inspiration und Intuition“ bezeichnet“, schreibt Zumdick in seinem Text zum Katalog.

Letztlich verweist die Ausstellung auf das Frühwerk als Labor und Reservoir für Beuys, der sich, so Zumdick, zwar immer weiter entwickelte, dabei aber auch immer wieder auf dieses Labor zurückgriff. „Den Beuys der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre versteht man erst in Gänze, wenn man diese frühen Erkundungen und Streifzüge, diese intensive Begegnung mit den sichtbaren und unsichtbaren Erscheinungsformen des Daseins im Frühwerk miteinbezieht“, so Zumdick. Interessanterweise habe Beuys diesen Zusammenhang auch in seinem Werk insofern thematisiert, als er immer wieder auf frühe Arbeiten zurückgriff und sie in eine direkte Beziehung zu seinen aktuellen Aktivitäten setzte.

Jetzt lädt das Kurhaus zur Erkundung des Frühwerks ein. Die Eröffnung ist am heutigen Samstag, 19. Juni, von 11 bis 17 Uhr im Kurhaus. Um 15.30 Uhr wird es eine informelle Eröffnung geben: Wolfgang Gebing und Harald Kunde sprechen einige Begrüßungsworte und Wolfgang Zumdick wird in die Ausstellung einführen.

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