Beuys und die Schamanen Ein Embryo in der Graphit-Wand

BEDBURG-HAU · Geschichten von Geburt, Tod und Wiedergeburt, vom neuen Umgang mit der Natur und von luftleichten Gefährten erzählt die Ausstellung in Museum Schloss Moyland. Gezeigt werden Werke von sechs Gegenwartskünstlern.

 Die Video-Arbeit von Melanie Bonajo inmitten einer Sitzsack-Landschaft.

Die Video-Arbeit von Melanie Bonajo inmitten einer Sitzsack-Landschaft.

Foto: Markus van Offern (mvo)

 Der Blick geht in eine Landschaft, eine junge Frau schaut still vom Hügel herab über die erhabene Weite. Es scheint, als sei die Frau eins mit sich und der Welt, die romantische Wanderin vor der alles überragenden Natur. Doch das Video der niederländischen Künstlerin Melanie Bonajo verharrt nicht bei der klassischen Romantik mit ihrem Natur-Blick, ihre Frau, eine Indianerin, wird aktiv.

„Bonajo erforscht die spirituelle Leere ihrer Generation, untersucht die sich wandelnde Beziehung der Menschen zur Natur und versucht existentielle Fragen zu verstehen“, schreibt das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien über die Arbeit der 1978 geborenen Niederländerin.

Für Bonajo selbst ist die Magie wichtig, die von ihren Video-Bildern ausgeht, die Magie der Landschaft und auch die Magie der indianischen Schamanen. In ihrem Video erzählt sie auch von der Suche der Schamanen nach den Geistern: „Die immaterielle Realität ist genauso wichtig wie die materielle. Das habe ich durch die Arbeit mit Schamanen in der ganzen Welt gelernt. Es ist daher nur logisch, dass diese beiden Dinge – Schamanismus und Magie – in meiner vorwiegend westlich geprägten Weltanschauung zusammenfließen“, sagt Bonajo. Und da ist es auch logisch, dass die Niederländerin, die ihr Land auf der Biennale in Venedig vertritt und in allen großen Museen ausstellt, Teil der Schamanismus-Ausstellung in Museum Schloss Moyland zum NRW-Ausstellungsreigen beuys2021 ist.

In Moyland werden zwei Bonajo-Videos präsentiert, die sie in einer Installation in einem der Kabinette des Schlosses eingerichtet hat. Der Besucher macht es sich in einer Landschaft aus Sitzsäcken bequem und taucht in die Filme der Niederländerin ein, die von einem neuen Verhältnis zur Natur trommelt (und das im Sinne des Wortes), von den Bergen und Seen erzählt und davon, dass man Tiere nicht in kleine Käfige sperren würde, wenn man wüsste, dass sie Schwestern seien. Das kalt-diffuse Weiß-in-Weiß der Moyland-Kabinette hebt Bonajo mit warmen braun-ocker Tönen auf, die das Kantige der Räume in organische Formen zu verwandeln scheinen. Der Kunsthistoriker Gerard Goodrow macht im Katalogtext zur Moyländer Ausstellung noch eine weitere Ebene im Werk von Bonajo aus: Schamaniusmus aus einer weiblichen, feministischen Perspektive.

Sechs zeitgenössische Künstler hat Kuratorin Barbara Strieder von Museum Schloss Moyland zur Ausstellung Beuys und die Schamanen gesellt. Im Erdgeschoss des Schlosses haben diese ihre Arbeiten eingerichtet und flankieren die Moyländer Ausstellung „Beuys und die Schamanen“. Sie sollen aufzeigen, so Strieder, dass die Auseinandersetzung mit dem Schamanismus auf unterschiedliche Weise weiter geht.

Wie bei Bonajo oder vor allem auch bei Igor Sacharow-Ross, aus dessen düstere Installation das dauernde Klackern der Schamanentrommel herüber weht. Sacharow-Ross hat eine aus gepressten Graphit-Platten gebaute, dunkel glänzende Wand aufgerichtet, ihr gegenüber ragt ein mit Graphit verkleideter Holzkeil in den Raum, Graphit-Filz-Vorhänge hängen schwer herunter, lassen durch einen Spalt nur einen dünnen Baumstamm sehen.

Sacharow-Ross habe den Raum eigens für Moyland konzipiert, erklärt Strieder. Die Arbeit „Kam und musste gehen, wieder fortgebannt“ erzählt vom Leben. Vom Embryo, dessen Bild der in Russland geborene und in Köln lebende Künstler mitten in die Graphit-Wand gesetzt hat als geradezu fotorealitisch gemaltes Bild. „Grundgedanke ist der Ideenkreis von Geburt, Tod und Wiedergeburt, in dem Graphit die Rolle zufällt, negative Energie zu binden“, sagt Sacharow. Der Künstler ist bei seinem verbannten Vater in Ostsibirien aufgewachsen und wurde dort immer wieder mit Schamanismus konfrontiert, so Goodrow. In Moyland beeindruckt die dunkle Installation mit der so kostbar schimmernden Graphitwand, die das Embryo-Bild bei aller Düsternis warm umschließt. Und dann sind da noch aufgereihte schwere schwarze Balken, die aus einem uralten Moor zu stammen scheinen. Ein spannender Raum.

Der Schwere von Sacharow-Ross stehen die filigran leichten Figurationen von Unen Enkh gegenüber. Der Mann aus der Mongolei schuf wahre Luftgefährte, die gemacht sind, durch den Raum gleiten oder Ballett-Szenen in den Raum zu zeichnen. In Moyland fangen die Arbeiten „Böö-büj“ und vor allem „Naiguun“ (so die Titel) den ritualen Schamentanz ein.

Ganz andere Schamanengeister beschwört Lili Fischer, die eine schmananische Lanze für die Schnaken und Mücken bricht: Es geht in ihren feinen Zeichnungen der Schnaken um „Animismus“, der allen Dingen der Natur eine Seele zuschreibt. Eben auch den Schnaken. Zumal im Schamanismus, so Strieder, geflügelte Wesen als Mittler zwischen Diesseits und Jenseits verstanden werden, die bei der Suche nach verlorenen gegangenen Seelen helfen.

Seelen wie sie von Anatol Donkan ins harte Holz geschnitten sind. Grob plakativ, wie volkstümlich an den alten Vorbilder im ethnologischen Teil der Ausstellung orientiert. Sie stehen als Hausgeister auf schwarzen, hochglänzenden „Eisschollen“ und treiben den Fluss Amur herab, erklärt Strieder. In Moyland treiben diese Schollen durch den Ecksaal. Anatol Donkan, der zur Bevölkerungsgruppe der Nanai am Fluss Amur im fernen Osten Russlands gehört, greife hier bewusst die einfache Darstellung der Hausgeister auf, erklärt Strieder. Im Turmkabinett beschließt schließlich der Brite Marcus Coates den Rundgang durch die Ausstellung, der in seinen Videos schamanische Rituale anwendet und wie in Trance in die Unterwelt hinabsteigt.

Zu sehen ist die Ausstellung bis 29. August.

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