Corona und die Folgen Haas: „Wir sind auf einer Rutschbahn“

Kleve · Kleves Stadtkämmerer hat nach 2006, 2010 und 2014 seine bereits vierte Haushaltssperre verhängt – in Zeiten der Corona-Pandemie auch mit Blick auf das Jahr 2021. Zwei Millionen Euro sollen in diesem Jahr eingespart werden.

Corona-Pandemie: Klever Stadtkämmerer verhängt Haushaltssperre
Foto: Markus van Offern (mvo)

2006, 2010, 2014 – wer die Jahreszahlen hört, denkt unwillkürlich an die Fußball-Weltmeisterschaften in diesen Jahren. Für Willibrord Haas, Kämmerer der Stadt Kleve, hat die Zahlenfolge indes eine ganz andere, berufliche Bedeutung, denn in diesen Jahren verhängte er eine Haushaltssperre. Dreimal hat er das im Laufe seiner 15 Jahre als „Herr der Zahlen“ getan, vorsorglich und frühzeitig und von Erfolg gekrönt, denn über der Kreisstadt ist der Pleitegeier noch nicht gesehen worden. Aber die vierte Haushaltssperre, die Haas gerade ausgesprochen hat, „wird mit Sicherheit die schwierigste in meiner Laufbahn“, sagt er voraus. „Wir sind auf einer Rutschbahn“.

Die aktuelle Schieflage der Wirtschaft, ausgelöst durch Virologen-gestützte Politiker-Entscheidungen im Laufe der Corona-Pandemie, kann noch kein Mensch derzeit in Zahlen ausdrücken. „Alleine in den letzten Wochen haben sich die Zahlen so dramatisch entwickelt, dass ich meine ursprüngliche Prognose von einem Defizit in Höhe von fünf Millionen Euro auf zehn Millionen verdoppeln musste“, rechnet Haas vor und ist davon überzeugt, dass die aktuellen Auswirkungen schlimmer sein werden „als in der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt“. Auf der Grundlage der Steuerschätzungen und der tatsächlichen Gewerbesteueranmeldungen hat er weitere Einnahmeausfälle längst einkalkuliert, zum Beispiel habe man die veranschlagten 19 Millionen Euro Gewerbesteuer schon abgesenkt auf etwa zehn Millionen Euro. Die aktuelle Lage entwickle sich dynamisch: „Wir fahren auf Sicht. Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, was nicht zwingend nötig ist“, sagt Haas, der es „für illusorisch hält, in absehbarer Zukunft einen Nachtragshaushalt aufzustellen“. Wobei erschwerend hinzu kommt, dass die Stadt angesichts der Corona-Pandemie schon 200.000 Euro an nicht einkalkulierten Sachaufwendungen ausgeben musste, unter anderem für Schutzmasken und Desinfektionsmittel.

Und eines unterscheidet die Lage 2020 (kreisweit war übrigens bisher nur die Gemeinde Kerken schneller als Kleve) von allen anderen zuvor: „Die Haushaltssperre ist bereits in die Zukunft gerichtet, denn im nächsten Jahr wird sich die Situation verschlimmern, da rechne ich jetzt bereits mit einem Minus von etwa 20 Millionen Euro“, sagt Haas voraus. 2021 werde „noch viel dramatischer, weil wir mit noch weniger Gewerbesteuereinnahmen rechnen müssen, weil wir weniger Schlüsselzuweisungen von Bund und Land bekommen werden und weil wir von einer höheren Kreisumlage ausgehen können“.

Das augenblickliche Ziel der haushaltswirtschaftlichen Sperre, wie es so schön sperrig im Amtsdeutsch heißt: „Ich möchte gerne zwei Millionen Euro im Ergebnishaushalt einsparen, damit wir unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten“, steckt Haas die Vorgaben ab, ohne schon in die Details der Einsparungsmöglichkeiten zu gehen. „Eine solche Liste werden wir mit den zuständigen Fachbereichen innerhalb der nächsten drei, vier Wochen erarbeiten und vorlegen“, sagt Haas und erzählt, dass er zum Beispiel „beim jüngsten Umwelt- und Verkehrsausschuss schon Drucksachen einkassiert“ habe, „weil fest steht, dass das Geld dafür nicht da ist“. Bekannt gegeben wurde schon, dass Neu- und Wiederbesetzungen (im Personalbereich) einer Zustimmung des Stadtkämmerers bedürfen. Bei den Sach- und Dienstleistungen dürfen vorerst nur Aufwendungen getätigt werden, zu denen die Stadt  gesetzlich oder vertraglich verpflichtet ist, Die Beauftragungen für das Gebäudemanagement und die Umweltbetriebe seien auf das unabweisbar Notwendige zu reduzieren. Bewilligte Fördermaßnahmen im Ergebnishaushalt und Investitionshaushalt dürfen fortgesetzt werden. Im Haushalt 2020 neu veranschlagte investive Maßnahmen dürfen nur nach vorheriger Zustimmung des Kämmerers aufgenommen werden, Alle Investitionen als Fortsetzungsmaßnahmen können fortgeführt werden. Insbesondere im Bereich  Schulen will Haas   Ausnahmen von der  Sperre vornehmen.

 Auch in Pandemie-Zeiten indes liegt nach Auskunft des Städte- und Gemeindebundes die sogenannte „Budgethoheit“ beim Stadtrat, der in den Jahren zuvor allerdings  dem Kämmerer immer gefolgt war. Die nächste Ratssitzung ist Ende Juni, Zeit für die Fraktionen, sich zu entscheiden, ob sie der Sperre zustimmen oder nicht. Tatsache ist, dass alle Politiker von der Entscheidung überrascht wurden und jetzt in ihren Fraktionssitzungen über das Vorgehen diskutieren. CDU-Fraktionschef Wolfgang Gebing sagt: „Wir unterstützen die Sperre, weil die wirtschaftlichen Probleme auf der Hand liegen. Investive Schulmaßnahmen dürfen aber nicht betroffen sein.“ Für  die Bündnisgrünen als Koalitionspartner sagt Hedwig Meyer-Wilmes: „Angesichts der aktuellen Situation ist die Handlungsweise verständlich, auch wenn wir alle sehr überrascht waren. Der Kämmerer macht sehr deutlich, dass wieder Sparen angesagt ist“. Sie spricht von einem „Fanfarenruf“.

Für die SPD-Fraktion betont Petra Tekath, man könne „noch nichts Abschließendes sagen“, weil das Thema „erst in der Fraktion, auch gemeinsam mit dem Kämmerer, besprochen werden“ müsse. Und für die FDP wundert sich Daniel Rütter „ein bisschen, denn Kleve ist ja finanziell gut aufgestellt“. Zudem warte man, ob das Land für die Kommunen einen Rettungsschirm aufspanne. „Deshalb halte ich das Signal im Moment für unglücklich“.

Für die Offenen Klever erklärt der Vorsitzende Udo Weinrich schriftlich, Haas habe den Rat „faktisch entmachtet“ und ruft die Kollegen  auf, das Budgetrecht zu verteidigen. Die Gemeindeordnung gebe dem Rat das Recht, eine Haushaltssperre  aufzuheben: „Jede Fraktion kann eine Ratssondersitzung mit dem Tagesordnungspunkt Haushaltssperre der Stadt Kleve beantragen“. Vier Monate vor der Kommunalwahl dürfe die Politik  sich nicht hinter dem Rücken des Kämmerers verstecken und in „Fraktionsvorsitzenden-Konferenzen“ einigeln: „Der Rat muss öffentlich diskutieren und Prioritäten setzen!“ Kleve brauche jetzt keinen „Kahlschlag von oben“ und keine „Panikverkäufe“, sondern unverzüglich eine Sondersitzung des Rates, schreibt Weinrich.

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