Atelier-Besuch „In Düsseldorf fing für mich das Malen an“

Seit mehr als 30 Jahren lebt und arbeitet der algerische Künstler Driss Ouadahi in der Landeshauptstadt. Der 59-Jährige entlockt Rohbauten und Hochhäusern eine einzigartige räumliche Wirkung.

 Der aus Algerien stammende Künstler Driss Ouadahi.

Der aus Algerien stammende Künstler Driss Ouadahi.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Driss Ouadahi malt gern Fassaden. Schaut man sich in seinem Atelier im städtischen Künstlerhaus Unterrath um, hat es den Anschein, als sei da ein Besessener am Werk. Man fühlt sich in französische Banlieus versetzt, in jene Vorstädte, die hierzulande mehr durch soziale Unruhen als durch ihre Architektur von sich reden machen. Doch um Politik geht es dem Maler nur am Rande. Seine „Urbanen Landschaften“ sind Tiefenblicke in städtische Architektur, räumlich gestaffelte Ansichten von menschenleeren Häusern, Straßen und Plätzen. Und er weiß aus  Erfahrung, dass man in vielen dieser Plattenbauten ganz gut leben kann.

Die künstlerische Arbeit des in Marokko geborenen, in Algerien aufgewachsenen 59-jährigen Driss Ouadahi ist eng mit seiner Biografie verflochten. In Algerien studierte er in den 80er Jahren zunächst Architektur, dann Kunst. Als auf einmal Massen junger Arbeitsloser das Straßenbild der Städte prägten, ein Bürgerkrieg bevorstand und zudem Ouadahis Vater gestorben war, verließ er sein Land in Richtung Paris. Ein deutsches Ehepaar lud ihn auf einen Besuch nach Köln ein, ebnete ihm den Weg in die Düsseldorfer Kunstakademie, und so fand er sich, zunächst ohne nennenswerte Deutschkenntnisse, in der Grafikklasse von Fritz Schwegler wieder. Dann entdeckte er für sich Michael Buthe, den Maler, Bildhauer und Schriftsteller mit dem großen Herzen für den Orient, als seinen Wunschprofessor. Buthe freute sich darüber, endlich einen Algerier in seine Klasse aufnehmen zu können, und so wurde Driss Ouadahi zum ersten Nordafrikaner an der Akademie. Er verließ sie als Meisterschüler.

„In Düsseldorf fing für mich das Malen erst richtig an“, erzählt Ouadahi, „Dieter Krieg, Gotthard Graubner und Gerhard Richter waren meine Helden.“ Das merkt man seinen ersten Bildern an. Neben- und übereinandergesetzte Flächen aus leuchtenden Farben der Mittelmeerregion wirken ungegenständlich, sind aber in Wirklichkeit reduzierte Wüstenlandschaften mit Lehmhäusern und hohem Himmel.

Ouadahi war nun Düsseldorfer mit einem guten Gedächtnis für seine Herkunft, hatte während des Studiums seine spätere Ehefrau Ursula kennen gelernt, mit der er einen Sohn hat, und reist nach wie vor regelmäßig zu Freunden in den Banlieus französischer Städte. Sein Ziel ist vor allem Paris, wo er heute seinen zweiten Wohnsitz hat. In den Vorstädten begriff er den Plattenbau als Spiegel sozialer, politischer Verhältnisse, als Ausdruck von Gettobildung, aber „mich hat auch diese seltsame Poesie interessiert“, betont er.

Die Leute, die dort wohnten, waren aus den Slums der Städte gekommen, sie fühlten sich in den neuen eigenen vier Wänden wohl. „Später“, so fügt Ouadahi hinzu, „wurde sehr schnell und nicht mehr so gut gebaut, und die Konflikte nahmen zu.“

Damals, in den 90er Jahren, fand Ouadahi das Thema, das ihn bis heute in Atem hält: Fassaden von Wohnsilos und Rohbauten, ab 2006 auch Drahtzäune und Unterführungen. Man muss sich eine dieser urbanen Landschaften einmal einzeln vornehmen, um ihre Tiefgründigkeit zu erfassen, „Unter uns“ von 2014 zum Beispiel, eine zwei mal drei Meter große, mit Ölfarbe bemalte Leinwand und damit ein übliches Format aus Ouadahis Werkstatt. Rasterförmige, transparente Rohbauten von Hochhäusern bilden den Vordergrund. Eines der Gebäude führt perspektivisch in den Stadtraum dahinter, in dem sich mehrere Wohnblöcke erheben. Auch die sind wiederum räumlich gestaffelt. Perspektivisch verkürzte Straßen und Plätze unterstreichen diesen Eindruck. Geometrisch verteilte Quadrate in pastelligen, mediterranen Wohlfühlfarben wie Orange, Gelb und Hellblau zieren die fensterlosen Seiten der Hochhäuser. Hier und da macht sich in der Vorstadt ein wenig Grün bemerkbar.

Das alles liest sich nicht wie eine Anklage, eher wie eine Liebeserklärung an Le Corbusier, den 1965 gestorbenen schweizerisch-französischen Architekten und Stadtplaner, an dessen Bauten sich noch heute die Geister scheiden. Ouadahi rühmt dessen Entwürfe für ein ganzheitliches komfortables Wohnen, mit Geschäften, Kinderbetreuung, Gastronomie und Versammlungsflächen unter einem Dach, und nimmt sein Idol in Schutz vor jenen, die in seiner vermeintlichen Nachfolge nur mehr Wohnmaschinen produzierten: „Sie bauten, ohne die Idee zu kapieren.“

Beim Blick auf die „Urbanen Landschaften“ fällt hier und da ein Detail auf, das unter Ouadahis Händen eines Tages ganze Leinwände zu füllen begann: der Drahtzaun, stets zerrissen, als hätte jemand in die Freiheit fliehen wollen. Ganz unpolitisch sind Ouadahis Bildfindungen eben doch nicht. Bereits 2010 hatte er Unterführungen im Stadtraum zu malen begonnen, zunächst in Toulouse, wo er ein Jahr zuvor Gastdozent an der  Hochschule der Schönen Künste war. Auch in diesen Gemälden spielt die Perspektive die tragende Rolle, die Erschafferin von Raum und Tiefe. „Unterführungen“, so sinniert Ouadahi, „sind Orte, die verbinden, aber zugleich Orte der Angst, der Klaustrophobie.“ Wie in den „Urbanen Landschaften“ sind öde Kachelwände durch farbige Quadraten aufgelockert, wie in den Landschaften zieht Ouadahis grandioses Spiel mit der Perspektive den Betrachter in die Tiefe des Bildes. Wie er die Szenerie deutet, bleibt ihm überlassen.

Ouadahi weist darauf hin, dass es ihm beim Malen „um Farbe, Musik, innere Resonanz, Linien und Flächen“ gehe, dass er mit Orange, Gelb und Rot, den Farben seiner algerischen Heimat, eine „Mischung aus Emotionalität und Intellektualität“ hervorrufen wolle. Die Betrachter sollen „eintauchen in Räume, in die Choreografie der Farben“.

Längst hat die Kunstwelt daran Gefallen gefunden. Ouadahi verbreitet seine Werke hauptsächlich über die Galerien Hosfelt in San Francisco und Lawrie Shabibi in Dubai. Immer wieder hat er Glück gehabt in seinem Leben.

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