Topstars auf dem Sprung Warum der Wintertransfermarkt nach der WM besonders spannend ist

Analyse | Düsseldorf · Transfers im Winter haftet für gewöhnlich das Image von Panikkäufen an, doch die WM in Katar hat in diesem Jahr vieles verändert. An der Wechselbörse verlässt sich der durchgeplante Profifußball aber noch immer am liebsten aufs Gefühl.

Memphis Depay (vorne) von den Niederlanden feiert sein Tor zum 1:0 gegen die USA mit dem Teamgefährten Cody Gakpo.

Memphis Depay (vorne) von den Niederlanden feiert sein Tor zum 1:0 gegen die USA mit dem Teamgefährten Cody Gakpo.

Foto: dpa/Li Gang

Während der Profifußball zur Umgehung weiterer Eskalationsstufen bei seiner Selbstvermarktung längst die Rolltreppe genommen hat, greifen auf dem Transfermarkt noch immer Modelle aus der Vorzeit. Schon vor dem ersten Pfiff bei der WM wurde darüber spekuliert, wer sich ins Schaufenster stellen und seinen Marktwert um ein möglichst Vielfaches steigern können würde. Die Elite dieser Sportart hat mit einem langfristigen Mietvertrag in eine hermetische Bizarro-Parallelwelt rübergemacht, die in Katar ihre Gebietsansprüche derart ausgeweitet hat, dass man Lionel Messis schwarzen Umhang nach dem Finale fast schon als Zugeständnis an Traditionalisten verstehen musste. Dass in diesen Zeiten noch immer eine bedeutende Kennziffer ist, welcher Spieler eine gute WM gespielt hat, ist bemerkenswert.

Trotz scharenweiser Scouts, die die Suche nach Talenten und Verstärkungen regelrecht beruflich betreiben, ist die Leistung bei einem Turnier, bei dem die wenigsten Spieler auf sieben Spiele kommen, gegen Mannschaften, die man ähnlich sinnvoll nach Nachnamen oder Geburtsmonaten gruppieren könnte, noch immer entscheidend für teure Transfers. Längst nicht alle Wechsel stehen schließlich am Ende eines ausgeklügelten Headhunting-Prozesses. Folklore, ein findiger Berater oder ein gutes Spiel gegen den künftigen Klub können Karrierewege ebnen. Spieler wie Edi Glieder oder Teemu Pukki hätte man für Erfindungen eines Managerspieles gehalten, hätten sie nicht gegen den FC Schalke erst groß aufgespielt und später dort unterschrieben. Shinji Kagawa, Mario Götze oder Nuri Sahin hätte Borussia Dortmund rückblickend wohl lieber als Avatare fürs Vereinsmuseum verpflichtet, als der Nostalgie genüge zu tun und ihnen eine zweite Amtszeit zuzugestehen. Doch dem Transfergebaren vieler Klubs wohnt noch immer eine Portion Aberglaube inne – was daran liegen mag, dass die Wechselbörse nicht viel leichter vorherzusehen ist als ein Aktienmarkt.

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Foto: AP/Martin Meissner

Dahingehend brachte der Wüstenball in Katar nur wenig neue Erkenntnisse. Dass ein gewisser Kylian Mbappé oder Herr Messi durchaus taugliche Verstärkungen für den ein oder anderen Klub wären, raunten Insider bereits vor dem Turnier. Dummerweise zahlen ihnen die katarischen Besitzer von PSG deshalb jährlich das Bruttoinlandsprodukt eines pazifischen Inselstaats dafür, dass sie in Paris ihr Tagewerk verrichten – und nirgendwo anders.

Zwangsläufig fällt der Blick der Klubs daher auf die Stars der bislang zweiten Reihe: Cody Gakpo ist so einer und hat zuerst drei Tore in fünf WM-Spielen erzielt und mit dem FC Liverpool nun einen neuen Klub. Bis zu 56,5 Millionen Euro könnte das den englischen Klub kosten – wenn es gut läuft und Gakpo erfolgreich ist. Ein Geheimtipp war der Niederländer nicht, aber das Team von Jürgen Klopp sucht einigermaßen händeringend nach Verstärkungen, um nach dem verkorksten Saisonstart bis zum Frühjahr noch zu retten, was zu retten ist.

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Foto: AP/Manu Fernandez

Ein Suchprofil, das nicht nur die Großen erstellt haben: Vom VfL Bochum bis zum FC Sevilla fahnden die abstiegsbedrohten Klubs nach potenziellen Überlebensversicherungen in Person von preiswerten Tormachern oder verlässlichen Sicherheitskräften für hintenrum. Wenn sich bei den Bayern Manuel Neuer verletzt, hat das womöglich Auswirkungen auf die Transferpläne der AS Monaco. Alles hängt ohnehin mit allem zusammen. Dass aus Perspektive der Nordhemisphäre erstmals eine WM im Winter ausgetragen wurde, wirkt sich zusätzlich auf die Statik des Wintertransferfensters aus. Ein Star des Turniers ist weitgehend unabhängig von möglichen Folgeverwendungen für einige Klubs ein Must-have in einer WM-Saison. Derart große finanzielle Transferbewegungen können Dominoeffekte bis in Amateurligen auslösen.

Dabei gibt es populäre Argumente gegen Wintertransfers. Spieler, die nach einer halben Saison zu haben sind, sind das meist aus Gründen. Dass Profis bei einem Verein ins Abseits geraten sind, muss nicht bedeuten, dass sie anderen Klubs nicht helfen können. Eine frische Misserfolgsgeschichte entfacht aber häufig nicht den Geist, der eine taumelnde Mannschaft wieder ins Lot stellen kann. Wer zuletzt Fußball eher trainiert als gespielt hat und sich ohne ausgiebige Sommervorbereitung einfügen muss, bei dem sind Anlaufschwierigkeiten programmiert. Die Statistik spreche eher dagegen, dass Wintertransfers helfen, zitieren Trainer und Manager da gerne. Retouren, B-Ware, Grabbeltisch – unappetitliche Assoziationen, nicht nur, weil das sogenannte Spielermaterial noch immer zu 100 Prozent aus Mensch besteht.

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Foto: AP/Andre Penner

Dabei ist es wie immer im Leben: es kommt drauf an. Newcastle United war im vergangenen Winter zwar bereits brandneureich, das zugehörige Premier-League-Team aber dessen ungeachtet akut abstiegsgefährdet. Die neuen Besitzer aus Saudi-Arabien legten insgesamt 130 Millionen für neue Spieler wie Bruno Guimaraes oder Kieran Trippier hin, Newcastle kletterte vom vorletzten auf den elften Tabellenplatz und ist ein Jahr später Zweiter. Virgil van Dijk wechselte im Januar 2018 von Southampton nach Liverpool. Viele bessere Transfers hat selbst Klopp nicht gelandet, sodass selbst die gut 84 Millionen Ablöse für einen Innenverteidiger in der Rückschau wie ein Ausweis großer Vernunft wirken. Grundsätzlich ist der Markt im Winter allein deshalb beschränkt und teuer, weil Spielerverträge bis zum Saisonende datiert sind und erst im Sommer auslaufen. Einen Wechsel zwischen den Jahren muss also vor allem der abgebende Klub wollen – kein zwangsläufig berauschendes Arbeitszeugnis.

Gleichwohl sind für 2023 bereits einige Transfermeldungen zu erwarten. Dass etwa Jude Bellingham, Marcus Thuram oder Alexis Mac Allister gute Fußballer sind, haben nun auch Menschen ohne Pay-TV-Abo sehen können. Für die Klubs, die es sich leisten können, sind Spieler mit dieser Popularität allein aus Marketinggründen ein lohnender Einkauf. Für die, die nur wenige Millionen ausgeben können, bleibt die Hoffnung auf ein Glückslos in der Transferlotterie.

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