TV-Gelder gerecht verteilen Wieso die Bundesliga sich neu erfinden muss

Meinung | Düsseldorf · In einem zusehends verödenden Wettbewerb regt sich Widerstand gegen die Verteilung der TV-Gelder. Traditionsklubs fordern eine stärkere Koppelung an Zuschauerzahlen. Die DFL muss sich am Ende fragen, ob sie als geschlossene Gesellschaft nicht erfolgreicher wäre.

TV, Zeitstrafe, Draft: Was sich der Fußball aus anderen Sportarten abgucken könnte​
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Was sich der Fußball von anderen Sportarten abgucken könnte

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Foto: IMAGO

Was ist eigentlich Gerechtigkeit? Menschen haben ganze Bücherwände mit ethischen Abwägungen und Gesetzestexten vollgeschrieben, die sich knapp zusammenfassen lassen mit: es kommt drauf an. Ob Tempolimit oder Erbschaftssteuer, Migration oder Dosenpfand: egal, in welches Outfit sich ein Streitthema gewandet, hintergründig geht es doch immer auch um die Frage, was gerecht ist und vor allem für wen.

Im Sport als spieltheoretischem Experimentierfeld für soziales Mit- und vor allem Gegeneinander ist das ungleich weniger bedeutsam aber keinesfalls weniger kompliziert. Bei Einzelsportlern dürfte man sich auf gerechte Förderung und Chancengleichheit als Ideale noch schnell verabreden können. Von da an sind dann alle für sich: möge die Beste gewinnen. Serena Williams oder Muhammad Ali waren keine Profiteure eines Systems, sondern schlicht die Besten ihres Fachs.

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Um Gerechtigkeit in einem ungleich komplizierteren Ligaspielbetrieb zu organisieren, leuchten die Vorteile des US-Systems auf Anhieb ein. Zumindest sofern man unter Gerechtigkeit vor allem Chancengleichheit versteht. Brachial vereinfacht: Für alle Klubs gilt eine verbindliche Gehaltsobergrenze. Das schlechteste Team einer Saison bekommt zur nächsten Runde die erste Wahl beim „Draft“, in dem Nachwuchsspieler aus dem College in die Profiligen berufen werden. Dadurch beugen NFL, NBA und NHL einigermaßen zuverlässig Meisterschaftsdynastien wie der des FC Bayern vor. In Sportarten mit kleineren Teams wie Basketball oder Eishockey haben einzelne Spieler zudem noch größeren Einfluss als im Fußball und können eine ganze Franchise über Nacht wachküssen. Dass mit diesem amerikanischsten aller Versprechen auch kleine Gaunereien wie das mutwillige Abschenken einer Saison einhergehen, erscheint angesichts der Vorteile des Systems verkraftbar. Regelrecht körperliche Schmerzen verursacht dagegen bei Menschen, die dem Fußball europäischer Prägung zugetan sind, dass Auf- und Abstiege quasi zwangsläufig ausgeschlossen sind.

Sportlicher Wettbewerb lässt sich aber kaum vorstellen ohne Belohnungssystem und Aufstiegsversprechen. Im deutschen Fußball etwa ist deshalb die unterste Kreisliga logisch mit der Bundesliga verknüpft. Sollte der FC Hellas Düsseldorf plötzlich anfangen, Spiele zu gewinnen und damit einfach nicht mehr aufhören, wäre er irgendwann Deutscher Meister. Dass die öde Realität wenig Sinn für solche zauberhaften Geschichten hat, ist dabei so nebensächlich wie die insgesamt überschaubare Zahl von Millionären, die ihr Vermögen mit Tellerwaschen gemacht haben. Allein die Möglichkeit verspricht Gerechtigkeit, weil sie in beide Richtungen funktioniert. Wer Fehler macht, sich verkalkuliert oder chronisch glücklos agiert, steigt am Ende ab. In der öffentlichen Beobachtung oft noch moralisch aufgewertet: selbst schuld eben. Dass Sport Leistung belohnt und Scheitern sanktioniert, ist ein unverkäufliches Prinzip.

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Foto: Frederic Scheidemann

Längst erschöpft sich Profifußball aber nicht mehr allein im Wettbewerb um Tore, Punkte, Meisterschaft. Die Kommerzialisierung des Sports begann mit dem Verkauf der ersten Eintrittskarte. Die Frage, wie die Milliarden zu verteilen sind, die der Profifußball erwirtschaftet, stellt sich aber mit der heutigen Dringlichkeit erst, weil die Vereine nicht mehr nur ihre eigenen Erlöse verantworten und das Bezahlfernsehen Sport als ausgesprochen einträgliche Handelsware identifiziert hat.

Die Gewinne, die Sky, Dazn und andere Anbieter mit ihren Übertragungen erwirtschaften, sind vergleichsweise leicht messbar. Rund 1,1 Milliarden springen für die 36 Erst- und Zweitligisten durch den Verkauf der Übertragungsrechte in der laufenden Saison heraus. Anders als die Prämien aus den internationalen Wettbewerben, die ursächlich dafür sind, dass die Lebensrealität der Dauergäste in der Champions League sich weitgehend von dem Rest der Ligen entkoppelt hat, gehen die TV-Gelder dabei anteilig an alle Klubs, die sich für eine der Profiligen qualifiziert haben.

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Foto: AP/Martin Meissner

Während viele schon seit Gründung der Bundesliga mehr oder weniger regelmäßig dabei waren, verdanken einige Klubs ihr Dasein als Bundesliga-Standort erst einer großzügigen Anschubfinanzierung durch einen Großsponsor oder ein angeschlossenes Dax-Unternehmen. Leverkusen und Wolfsburg drängen sich als Bundesliga-Standorte schon nicht zwangsläufig auf, der Sinsheim angeschlossene Ortsteil Hoffenheim zählt gerade mal 3.266 Einwohner. Der ansässige Verein spielt nur in der Bundesliga als inkarnierter Jungstraum eines Großunternehmers. Der spielt mit seinem Heimatklub irgendwie nachvollziehbarerweise durch, was vielen bei Fußballmanager-Games ja ebenfalls eine harmlose Freude bereitet – nur eben mit echtem Geld und beeindruckend realistischer Grafik.

Wie sich kleine Standorte mit Unterstützung des lokalen Mittelstands gegen große Namen behaupten können, führen auch Zweitligisten wie Sandhausen und Heidenheim seit Jahren vor. Nach jetzigem Tabellenstand in der 3. Liga würden in der kommenden Saison Elversberg und Wehen Wiesbaden hinzukommen und ihren Anteil vom DFL-Geld beanspruchen. Dabei belegen diese für sich jeweils bemerkenswerten Erfolgsgeschichten nur die Durchlässigkeit und Funktionalität des Systems.

Wie gut das allerdings ist, fragen vor allem diejenigen, die sich per Gewohnheitsrecht im Kreis der Großen beheimatet fühlen und denen die Zugezogenen vom Lande jetzt zusehends das Wasser abgraben. Dass sich mit Schalkes Axel Hefer jüngst der Aufsichtsratschef des amtierenden Tabellenletzten der Fußball-Bundesliga meldete, um eine Umverteilung der Fernsehgelder einzufordern, überrascht deshalb nicht. Dabei hielt er sich auch nicht damit auf, mit neuen Ideen zu irritieren. Da dem Fußball aus unterschiedlichen Gründen aber auf absehbare Zeit ein Zuschauerproblem droht, ist der Boden, auf den diese Debatte fällt, womöglich gerade besonders fruchtbar. „Wir bekommen vom Kuchen sehr wenig ab, obwohl unsere Spiele selbst in der zweiten Liga von mehr Leuten geschaut werden als ein Spiel von Hoffenheim oder Wolfsburg in der ersten Liga“, begründetet Hefer seine Forderung in einem Gespräch mit Zeit Online. „Wir haben sehr hohe Zuschauerzahlen, stehen aber – was die Fernsehgelder betrifft – auf dem vorletzten Platz. Das ist nicht gerecht.“

Gerecht findet die DFL ihr derzeitiges Verteilungskonzept dabei durchaus. Darin wird neben dem Sockelbetrag, der alle Erst- und Zweitligisten jeweils gleich behandelt, vor allem sportlicher Erfolg belohnt. Nachwuchsförderung (drei Prozent) und neuerdings auch das Interesse an den Klubs (zwei Prozent) zahlen aber nur homöopathisch auf die Etats ein. Mit der Säule „Interesse“ will die DFL nach eigener Darstellung „eine möglichst hohe gesellschaftliche Relevanz – auch im Sinne der Medienpartner“ fördern. Übersetzt: Auch die Liga hat Interesse an zuschauerträchtigen Vereinen, damit die übertragenen Spiele von möglichst vielen Menschen gesehen werden, damit Unternehmen für möglichst viel Geld bei den Sendern werben, die von dem Geld neue teure Rechte bei der DFL einkaufen.

Diesbezüglich muss Hefer also keinen unbedingten Widerspruch befürchten. Unerwähnt ließ er jedoch, dass Schalke Zuschauerinteresse und andere geldwerte Vorteile über Jahrzehnte nicht davon abgehalten haben, sich von Standorten wie Hoffenheim und Wolfsburg erst überholen und schließlich abhängen zu lassen. Zudem spielen TV-Erlöse für die Kräfteverhältnisse nur eine Nebenrolle. Sollte die DFL nicht davon abrücken, rund die Hälfte der Einnahmen zunächst gleichmäßig auf alle Klubs zu verteilen, sind selbst von einer deutlich stärkeren Gewichtung des Interesses keine fundamentalen Umwälzungen zu erwarten.

Viele Grundsatzprobleme blieben zudem ungelöst: Die Kluft zwischen Bayern, Dortmund, Leipzig und dem Rest wächst mit jedem Champions-League-Spiel dieser Klubs und den üppigen Prämien, die dort ausgeschüttet werden. Dass sich die Anziehungskraft der Bundesliga zusehends verflüchtigt, hat freilich viele Ursachen und wird durch verödete Gästeblöcke und Klubs mit penetranter Kreisliga-DNA bloß beschleunigt. Um dem vorzubeugen, müssten in erster Linie die davongaloppierenden Spitzenklubs eingehegt werden. Das freilich wäre nur mit einem radikalen Systemwechsel zu gewährleisten. Womit wir wieder beim US-Sport wären. Dessen Segnungen nachzueifern, bedarf es inzwischen keiner großen Anstrengungen mehr. Der neue Champions-League-Modus ist bereits ein Zugeständnis an die vorerst gescheiterten Pläne einer europäischen Super League. Die jetzt schon praktisch gelebte Realität von Abonnement-Teilnehmern in der europäischen Königsklasse dürfte häppchenweise mit einem Reglement unterfüttert werden, das den großen Klubs ein Startrecht mehr oder weniger garantiert. Um aus diesem elitären Kreis noch einmal rauszufallen, müsste man es schon drauf anlegen. Das kommt der Architektur einer US-Liga ziemlich nahe.

Fraglich ist vor allem, wie der europäische Fußball mit dem großen Rest umzugehen gedenkt, der daran auch perspektivisch nicht teilhaben wird. Allein die Abschaffung der 50+1-Regel, um Investoren die Tür zu öffnen, verheißt keinesfalls zwangsläufigen Erfolg. Hertha BSC, der Hamburger SV oder 1860 München durften sich auch so bereits mit den Vor- und Nachteilen potenter Geldgeber vertraut machen. Eine weitere Öffnung würde vermutlich eher noch weitere Diaspora-Standorte an die Oberfläche spülen, weil sich dort für Investoren viel unbefangener walten lässt als bei Traditionsklubs mit anstrengenden Fans.

Hoffenheimer Fanblock beim Pokal-Achtelfinale in Leipzig.

Hoffenheimer Fanblock beim Pokal-Achtelfinale in Leipzig.

Foto: dpa/Jan Woitas

Die Show muss dennoch weitergehen. Die Verbände sollten ein vitales Interesse daran haben, möglichst viele an dieser teilhaben zu lassen und werden auf kurz oder lang gezwungen sein, den Wettbewerb zu regulieren – zugunsten der Klubs, die Zuschauer garantieren. Das wiederum lässt sich nur über eine wie auch immer geartete Einladungsliga gewährleisten. Sei es über fundamentale Budget-Umverteilung oder geschlossene Ligen, für die es freilich eine europäische Lösung bräuchte. Im Fußball geht es schließlich längst nicht mehr um die Frage, was gerecht ist, sondern nur darum, was unterhält. Auf Dauer wird die DFL dem Rechnung tragen müssen.

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