Deutschlands beste Basketballerin im Interview „Mutterschutz und Babysitter sind ein Fortschritt“

Düsseldorf/Los Angeles · Aus Opladen in die beste Basketball-Liga der Welt: Marie Gülich schaffte es als dritte deutsche Frau in die amerikanische WNBA. Wieso aus der Sportlerin auch eine Aktivistin geworden ist.

 Marie Gülich im Einsatz für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft.

Marie Gülich im Einsatz für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft.

Foto: imago/Hübner/Susanne Hübner, Susanne Huebner

Plötzlich ging alles ganz schnell: Am Samstag kam der Anruf vom Manager, Dienstag ging der Flug. Nach monatelanger Corona-Pause ist Marie Gülich zurück in den USA, wo sie ab Ende Juli für die Los Angeles Spars auf Körbejagd gehen soll. Kurz nach ihrer Landung in Kalifornien sprachen wir mit der 26-Jährigen, die zwischen 2011 und 2014 für das BBZ Olpaden spielte, über  über die Auswirkungen der Corona-Pandemie, Rechte für Frauen im Sport, die aktuelle Rassismus-Debatte in den USA und ihre sportliche Karriere.

Frau Gülich, eigentlich wären Sie schon seit Mitte Mai in der WNBA aktiv, Corona hat aber auch den Betrieb in der besten Basketball-Liga der Welt zum Erliegen gebracht. Wie ist es Ihnen in der Krise ergangen?

Gülich Ich habe den Frühling in Deutschland verbracht und mich in Leverkusen und Berlin fitgehalten. Ich hatte in Leverkusen eine Wohnung zur Untermiete und konnte eine Sporthalle von Bayer zum Training nutzen. Letzte Woche kam dann der Anruf aus den USA, dass die Saison Ende Juli startet und ich mir einen Flug buchen soll. Jetzt bin ich in Los Angeles und warte, dass es losgeht.

Die USA sind so heftig wie kein Land der Welt von Corona betroffen . Wie lebt es sich in einer Millionen-Metropole wie LA?

Gülich Es ist wie eine Reise zurück in die Vergangenheit. Hier hat noch fast alles geschlossen, es sind kaum Menschen unterwegs – quasi so, wie es in Deutschland vor ein paar Wochen noch war. Bei der Einreise am Flughafen braucht man sonst Stunden, dieses Mal war ich in fünf Minuten durch. Im Flughafen selbst waren kaum Menschen, alle Shops waren geschlossen.

Wie haben Sie die Corona-Situation zuvor erlebt?

Gülich Mein Vater lebt in San Francisco, mit dem habe ich auch in der Corona-Hochphase regelmäßig telefoniert und bei dem was er erzählte war ich echt froh hier in Deutschland und nicht in den USA zu sein. Zuerst war da Trump, der die ganze Sache überhaupt nicht ernstgenommen und dann viel zu spät reagiert hat. Und dann ist das Gesundheitssystem in den USA ja überhaupt nicht für solche Situationen ausgelegt. Sowas beschäftigt mich mit Blick auf meine Zukunft natürlich schon. In der Pandemie wird einem mal wieder deutlich, was man an Deutschland hat.

Und in nun sollen Sie in den USA bald wieder professionell Basketball spielen. Die Liga will ein Turnier mit 22 Spielen pro Team plus Playoffs in einem geschlossenen Areal in Florida austragen lassen. Was halten Sie von den Plänen?

Gülich Zunächst mal freue ich mich, dass ich wieder Basketball spielen kann. Mein letztes Fünf-gegen-Fünf-Spiel war im März, entsprechend groß ist jetzt die Vorfreude auf das neue Team und die Saison. Aber natürlich gibt es auch ein paar Bedenken. Wenn jetzt bald sehr viele Spiele in sehr kurzer Zeit gespielt werden sollen, ist die Verletzungsgefahr entsprechend hoch. Und ich weiß noch nicht, wie es mental läuft, wenn man so lange an einem Ort untergebracht wird. Es sind auch einfach noch sehr viele Fragen offen: Wie genau werden wir unterkommen? Welche Freizeit-Möglichkeiten haben wir vor Ort? Oder auch: Wie läuft es mit dem Essen?

Im US-Sport sind Spielergewerkschaften sehr mächtig. Haben Sie denen von Ihren Bedenken erzählt?

Gülich Klar, ich bin ja nicht die einzige mit einer gewissen Skepsis. Die Gewerkschaft sammelt die Anliegen der Spieler, fragt regelmäßig nach und ohne Zustimmung der Gewerkschaft gibt es keine Saison. Ich denke, dass so sichergestellt sein wird, dass wir Spielerinnen unsere Privatsphäre haben werden. Ich stelle mir zum Beispiel eine Unterbringung in kleinen Apartments wie in einem Ressort vor, sodass man auch wirklich mal nach Hause kommen kann.

Die NBA mietet für ein solches Vorhaben mal eben einen Teil des Disney World-Geländes. Wie sieht es im Frauen-Basketball aus?

Gülich Die finanziellen Möglichkeiten sind sicherlich viel größer als bei uns. In der NBA darf jeder Spieler drei Personen aus seinem privaten Umfeld mitbringen und ich habe gehört, dass jeder Spieler seinen eigenen Koch hat. Sowas wird es bei uns mit Sicherheit nicht geben. Ich habe meinen Hund direkt in Deutschland gelassen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich ihn mit aufs Gelände bringen darf. Aber andere Spielerinnen haben viel größere Probleme, weil sie Kinder haben. Das ist auf unserer Seite schon ein größeres Thema als bei den Männern, wenn man als junge Mutter mehrere Monate von den Kindern getrennt wird. Wie gesagt: Da gibt es noch viele offene Fragen.

In der Coronakrise haben manche Sportler in Deutschland eine solche Gewerkschaft schmerzlich vermisst und seither gefordert. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht gemacht?

Gülich Ich halte es für wichtig, dass wir Sportler für unseren Standpunkt einstehen und unsere Anliegen selbst vertreten können. Die Liga ist ein Unternehmen, es geht viel um Geld und der Sportler wird da gerne mal hinten angestellt. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Möglichkeit haben, auch mal auf die Bremse zu treten und zu sagen: Wir sind das Produkt. Wenn ihr Geld verdienen wollt, müsst ihr auch in uns investieren.

Das ist ja auch passiert. Der seit diesem Jahr gültige Tarifvertrag sieht Gehaltssteigerungen von knapp 30 Prozent vor, das Durchschnittsgehalt liegt jetzt bei 130.000 Dollar pro Jahr. Bei den Männern liegt der Durchschnitt aber bei 7,7 Millionen. Sind Sie dennoch zufrieden?

Gülich Es gibt viele Spielerinnen, die schon seit Jahren in der Liga sind, aber kaum genug Geld verdient haben, um mal etwas für die Zeit nach der Karriere an die Seite zu legen. Mit dem neuen Vertrag gibt es jetzt aber nicht nur mehr Gehalt für alle, es ging vor allem darum, mehr Chancen abseits des Feldes zu schaffen. Es gibt jetzt beispielsweise bezahlten Mutterschutz und Babysitter für Mütter, wenn Auswärtsspiele anstehen. Außerdem werden in der spielfreien Zeit normale Berufe oder ein Studium unterstützt. Das waren riesige Schritte nach vorne.

In Europa, wo viele Basketballerin außerhalb der WNBA-Saison spielen, ist die Situation anders.

Gülich Ja, hier ist mir nichts Vergleichbares bekannt.

Welche Auswirkungen hat das?

Gülich In den USA wird sehr viel darauf geachtet, dass man nicht nur körperlich gut drauf ist, sondern auch mental. Es gibt klare Pläne zur Genesung zwischen Training und Spiel, man hat auch mal einen Tag frei. In Europa gibt es Länder, wo man einfach über Wochen durchspielt. Das war bei mir zum Beispiel in Italien der Fall. Letztes Jahr habe ich dann in Polen gespielt, dort hatten wir nach jedem Spiel einen freien Tag. Ich bin dann meistens trotzdem in der Halle gewesen, aber es war meine eigene Entscheidung und kein Zwang. Das macht mental einen riesigen Unterschied. An dieser Stelle wäre eine Gewerkschaft wirklich gut, es geht schließlich nicht nur ums Geld, sondern vor allem darum, aufeinander aufzupassen. Das habe ich in Europa noch nirgendwo erlebt.

Themenwechsel. Sie leben seit 2014 einen Großteil des Jahres in den USA. Der gewaltsame Tod von Georg Floyd hat für einen bemerkenswerten Aufschrei und Massendemonstrationen in den Staaten und weltweit gesorgt. Hat Sie diese Entwicklung überrascht?

Gülich Das ist eine sehr schwierige Frage. Was heißt überrascht…

Rassismus und Polizeigewalt gegen Afroamerikaner sind ja leider nichts Neues.

Gülich Ja, deshalb überrascht es mich nicht, dass das Fass jetzt übergelaufen ist. Mich überrascht viel mehr, dass dieser alltägliche Rassismus, von dummen Sprüchen bis zur tödlichen Polizeigewalt, erst jetzt thematisiert und scheinbar realisiert wird. Ich habe schon in meinem ersten Jahr an der Uni in Oregon gemerkt, dass in den USA ein großer Unterschied zwischen schwarzen und weißen Menschen gemacht wird, viel in Stereotypen gedacht wird. In den USA ist es in weiten Teilen der Bevölkerung noch immer völlig normal, zwischen schwarz und weiß zu sortieren. Diese Art des Rassismus ist dort alltäglich.

Wie ist Ihnen dieses Thema bislang begegnet?

Gülich Teamintern war das Thema während meiner Unizeit omnipräsent. Ich hatte Mitspielerinnen, die sehr engagiert waren und von denen ich unglaublich viel gelernt habe über die Geschichte der schwarzen Bevölkerung in den USA. Klar wusste ich aus dem deutschen Geschichtsunterricht ein bisschen was über die Sklaverei, aber die Ausmaße, vor allem aber die dauerhaften Auswirkungen, waren mir nicht bekannt. Meine Mitspielerinnen leiden bis heute unter systematischem Rassismus, diese Erkenntnis bedrückt mich sehr.

Es gibt Stimmen, die fordern, Athleten sollten sich nicht zu solchen Themen äußern und auf ihren Sport konzentrieren. Wieso halten Sie das anders?

Gülich Ich finde, nicht nur wir Sportler sollten uns äußern, sondern jeder, der eine Plattform hat. Egal ob man zehn oder 100 Menschen erreicht, man hat einen Einfluss. Aber natürlich: Ich habe eine besonders große Plattform, eine besonders hohe Reichweite und diese Position muss ich nutzen. Man muss den Mund aufmachen und klar Stellung beziehen. Wir sollten die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA unterstützen, wir sollten aber auch die Gelegenheit nutzen, mal mit dem Finger auf uns selbst zu zeigen. Rassismus ist schließlich kein exklusiv amerikanisches Problem, sondern auch in Deutschland immer noch verbreitet. Auf solche Missstände können gerade wir Sportler, die wir so viel öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, hinweisen und dabei helfen, dass sich gesellschaftlich wirklich etwas ändert.

Waren Sie auf einer der „Black Lives Mater“-Demonstrationen?

Gülich Leider nicht, nein. Ich war auf dem Rückweg zwischen Berlin und Westerwald als an dem Samstag die Demos liefen, da habe ich es leider nicht geschafft. Aber ich finde es ein starkes Zeichen, dass so viele Menschen – vor allem Jugendliche – in Deutschland zu dem Thema aufstehen.

Dirk Nowitzki lebt auch nach seinem Karriereende in den Staaten. Er sagt, er sorgt sich um das Wohl seiner Kinder. Welchen Einfluss haben die Geschehnisse auf Ihre persönliche Zukunft?

Gülich Soweit bin ich noch gar nicht. Klar denke ich manchmal darüber nach, wo ich mittelfristig leben und was ich nach meiner Karriere machen möchte. Aber erstmal möchte ich noch so viel mit Basketball erreichen, dass ich mir über die Zeit danach wirklich wenige Gedanken mache. Mir geht’s darum, wie ich als Sportlerin und Mensch besser werden und wachsen kann.

Zuletzt: Sobald die Saison losgeht, werden alle Augen in der WNBA auf die zweite Deutsche in der Liga gerichtet sein. Satou Sabally wird für Dallas spielen und gilt als absolutes Ausnahmetalent, das obendrein ebenfalls politisch laute Töne anschlägt. Wie haben Sie ihre Entwicklung erlebt?

Gülich Es ist einfach total cool und hochverdient. Satou hat unglaublich viel gearbeitet und sich krass entwickelt. Erstmal bin ich sehr stolz darauf, so jemanden zu kennen. Und dann ist es einfach sehr gut für Deutschland, dass wir jemanden wie Satou haben. Eine Frau, die Kraft hat und Willens ist, Dinge zu verändern. Für den deutschen Basketball kann es gar nicht besser sein, wir brauchen Personen wie Satou.

Wohl nie zuvor hat eine Basketballerin auch in Deutschland so viel Aufmerksamkeit bekommen, zuletzt war sie sogar im Sportstudio. Schauen Sie manchmal auch ein wenig neidisch auf jemanden, der 22 Jahre alt ist und noch kein WNBA-Spiel absolviert hat?

Gülich Ach was! Ich bin selbst engagiert, ich will auch, dass die Welt ein besserer Ort wird. Ich will als Sportlerin und Mensch wachsen, ich will lernen und Einfluss auf Menschen haben. Aber ich bin einfach anders. Satou ist ein neues, anderes, riesiges Puzzlestück, das den deutschen Basketball ein großes Stück voranbringen wird und das uns auch gesellschaftlich helfen wird, einen anderen Einblick in manche Dinge zu bekommen. Darüber freue ich mich riesig und werde sie bei allem, was sie tut, unterstützen.

Sie selbst gehen in ihr drittes Jahr. Welche Erwartungen haben Sie an sich und die neue Saison?

Gülich Ich möchte versuchen, mir eine klare Rolle im Kader zu erarbeiten. Durch den engen Spielplan und die besondere Situation hoffe ich, dass ich einiges an Spielzeit bekomme und dem Team durch meine Energie und harte Arbeit in der Verteidigung oder beim Rebounding helfen kann. Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die um die Meisterschaft mitspielen kann. Das ist eine neue, aber eine tolle Situation für mich.

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