Zum Tode von Hans-Christian Ströbele Freigeist, Querkopf, Ikone

Düsseldorf · Hans-Christian Ströbele war eine Identifikationsfigur der Grünen, friedensbewegt, streitbar und mit politischem Kampfeswillen bis ins hohe Alter. Jetzt ist der Parteilinke und ehemalige RAF-Anwalt im Alter von 83 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Hans-Christian Ströbele: Sein Leben in Bildern
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Bilder aus dem Leben von Hans-Christian Ströbele

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Foto: dpa/Britta Pedersen

Es ist Winter. Über Nacht hat es in Berlin heftig geschneit. Der Fahrdienst des Bundestages ist im Dauereinsatz. Nur auf der John-Foster-Dulles-Allee kämpft sich ein einsamer Abgeordneter auf dem Fahrrad durch den tiefen Schnee. Auf dem Schutzblech seines Hinterrades verrät ein Aufkleber die Euro-Abgasnorm sechs, die es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gibt. Ein Statement: Ich fahre total sauber, CO2-frei. „Tapfer, Herr Ströbele“ ruft ihm jemand aus dem Auto zu. Hans-Christian Ströbele lächelt. Den Fahrdienst des Bundestages zu rufen, wäre ihm, damals bereits 76 Jahre alt, nie in den Sinn gekommen. Bei keinem Wetter. Und wenn es noch so stürmt und schneit.

So war Ströbele. Revoluzzer, Partei-Linker, Rechtsanwalt. In seinen politischen Überzeugungen und Ansichten blieb der Grünen-Politiker standfest bei jedem Wetter. Bis zuletzt. Gebeugt hat er sich nie. Bei keinem Parteitag, in keiner Bundestagsdebatte, in keinem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, in dem der Rechtsanwalt meist einer der kundigsten und schärfsten Ermittler war. Zeugen mussten ihn fürchten, jedenfalls mussten sie auf seine gut vorbereiteten Fragen gewappnet sein. Jetzt ist Hans-Christian Ströbele im Alter von 83 Jahren gestorben. Sein Rechtsanwalt Johannes Eisenberg schreibt dazu in einer Mitteilung für die Öffentlichkeit: „Er hat selbst entschieden, dass er den langen Leidensweg, den ihm seine Erkrankung zugemutet hat, nicht mehr fortsetzen wollte und lebenserhaltende Maßnahmen reduziert. Er war bis zuletzt bei vollem Bewusstsein. Nicht der Geist, der Körper wurde ihm zur Qual und hat ihn am 29. August 2022 verlassen.“

Ströbele war eine Ikone der Grünen, ein Freigeist und Querkopf, ein Parteilinker, der in Fragen von Krieg und Frieden auch den scharfen Diskurs mit dem damaligen Ober-Realo und Außenminister Joschka Fischer nicht scheute. Ein Friedensbewegter, ewig streitbar, aber eben nicht biegbar. Co-Parteichef Omid Nouripour schreibt auf Twitter: „Ich verliere einen wunderbaren Ex-Büronachbarn, von dem ich so viel über kritischen, substanziellen und respektvollen Diskurs gelernt habe. Hans-Christian, ruhe in Frieden.“ Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betont am Rande der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg, den Einsatz von Ströbele für Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte. Er sei ein Politiker von besonderer Geradlinigkeit gewesen.

Selbst Kritiker und parteipolitische Gegner attestierten ihm politische Standfestigkeit. Im Parteispenden-Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des CDU-Spendenaffäre war Ströbele einer der profiliertesten Ermittler und Fragesteller. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl wollte die Namen angeblicher oder tatsächlicher Spender nicht nennen und lästerte in einer Sitzung über SPD und Grüne, die, seit sie an der Macht seien, sich total verändert hätten und nur noch an ihren Ministerposten interessiert seien. SPD-Obmann Frank Hofmann fragt daraufhin den Zeugen Kohl: „Herr Zeuge, Rote und Grüne haben sich verändert, sagen Sie. Der Herr Ströbele auch?“ Kohl antwortet sofort: „Nein, den Herrn Ströbele muss ich da ausnahmsweise in Schutz nehmen. Der Herr Ströbele hat sich überhaupt nicht verändert. Und zwar überhaupt nicht.“ Ströbele muss schmunzeln. Er weiß, wie Kohl es gemeint hat. Ströbele sei sich eben treu geblieben. Und so sieht es der Angesprochene selbst auch.

Ströbele, 1939 knapp vor Kriegsbeginn in Halle an der Saale geboren, absolvierte ein Jura-Studium, ging nach Heidelberg und dann nach West-Berlin. Hier wird er Anwalt der APO, der Außerparlamentarischen Opposition, auch angetrieben von der Überzeugung, dass das deutsche Rechtssystem der 1970er Jahre noch vom Nationalsozialismus unterlaufen sei. Er wird zum RAF-Anwalt, allerdings vom Stammheim-Prozess gegen die erste Riege der terroristischen Rote Armee Fraktion als Anwalt ausgeschlossen. Der Vorwurf: Missbrauch von Anwaltsprivilegien. Später wird er wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, der RAF, zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ströbele war Mitgründer der Tageszeitung „taz“ und später als Bundessprecher der Grünen auch einer der Vorsitzenden seiner Partei. 2002 holt er als erster Grüner überhaupt in seinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg ein Direktmandat im Bundestag.

 Das Fahrrad war sein Markenzeichen: Als Abgeordneter verzichtete Hans-Christian Ströbele grundsätzlich auf den Fahrdienst des Bundestages und fuhr stattdessen Rad

Das Fahrrad war sein Markenzeichen: Als Abgeordneter verzichtete Hans-Christian Ströbele grundsätzlich auf den Fahrdienst des Bundestages und fuhr stattdessen Rad

Foto: dpa/Tobias Kleinschmidt

In vielen politischen Debatten im Bundestag wie auch in seiner Partei war Ströbele ebenso Mahner wie er Antreiber sein konnte. Anti-Atomkraft, gegen Aufrüstung und deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg oder beim Afghanistan-Einsatz. Auch gegen die Hartz-IV-Reformen ging er mit aller Entschlossenheit vor. Ströbele war Überzeugungstäter, sein eigenes Markenzeichen. Weiße Haare, roter Schal – und in 21 Jahren im Bundestag immer mit dem Fahrrad unterwegs. Er wird seiner Partei fehlen. Und wohl auch einigen seiner politischen Gegner, die sich wunderbar mit ihm streiten konnten. Denn Ströbele hatte Kultur. Streitkultur.

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