Regierungserklärung von Hendrik Wüst „Lassen Sie uns aufeinander achtgeben“

Düsseldorf · NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat in seiner Regierungserklärung die Maßnahmen für Corona, Energiekrisen und Dürre vorgestellt. Einen Schwerpunkt legte er zudem auf das Thema Einsamkeit in der Gesellschaft. Die Opposition warf ihm Unkenntnis über die wahren Sorgen der Bürger vor.

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht im Plenum des Landtags.

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht im Plenum des Landtags.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat in seiner ersten Regierungserklärung der laufenden Legislaturperiode einen groben Überblick über das Regierungshandeln der kommenden Monate gegeben. Herausforderungen wie die Dürre, Corona, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Rekordinflation seien im Jahr 2022 ständige Begleiter des Alltags der Bürger und Unternehmen in NRW. „Unsere Aufgabe als Politik ist es, die Herausforderungen anzugehen und die Probleme zu mindern. Nach Lösungen zu suchen. Den Menschen zu helfen, dass sie sich ihr normales Leben noch leisten können“, sagte er. Das sei auch wichtig, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stark bleibe und die Risse in der Gesellschaft nicht tiefer würden.„Die Menschen erwarten von uns keine Hexerei und keine Wundermittel. Aber sie erwarten von uns zurecht, dass wir unsere Arbeit machen und unserer Verantwortung gerecht werden. Pragmatisch, aber auf einem verlässlichen Wertefundament. Ideologiefrei, aber mit einem klaren Ziel vor Augen.“

Mit Blick auf Corona sagte der Ministerpräsident: „Die Pandemie ist nicht vorbei. Für den Herbst gehen viele Wissenschaftler von einer neuen Welle aus.“ Doch anders als vor zwei Jahren wisse man heute besser damit umzugehen. Wüst erneuerte sein Versprechen, dass es keine Schulschließungen geben werde: „Kinder brauchen Präsenzunterricht, weil gemeinsames Lernen und der soziale Austausch wichtig sind.“

Zur Energiekrise sagte Wüst, drei Dinge seien besonders wichtig: die Unabhängigkeit von russischem Gas, Flexibilität bei der Kohleverstromung. Und den Ausbau der Erneuerbaren mit ganzer Kraft. Für letzteren Punkt hatte das Kabinett sich am Tag zuvor auf Eckpunkte für den Landesentwicklungsplan geeinigt, die unter anderem den Wegfall von Mindestabständen vorsehen. Stattdessen soll die Einrichtung von Konzentrationszonen die neue Steuerungsgröße werden. Windräder sind dann auch beispielsweise in vom Borkenkäfer betroffenen Wäldern und in Gewerbegebieten erlaubt.

Wüst forderte zudem Berlin auf, konkrete Zusagen gen Belgien für den Auf- und Ausbau einer nötigen Pipeline-Infrastruktur zu geben. „Dafür setzen wir uns mit Nachdruck beim Bund ein. Ich kenne kein überzeugendes Argument dagegen.“ Wenn man es richtig mache, könne man sie zukünftig auch für den Transport von grünem Wasserstoff nutzen.

„Wir sind bereit, weitere Kohlekraftwerke aus der Reserve wieder ans Netz zu lassen, um eine stabile Stromversorgung zu garantieren, ohne am Kohleausstieg 2030 zu rütteln“, versprach Wüst. Zur Zukunft des symbolträchtigen Ortes Lützerath schwieg der Regierungschef. Für das Wochenende haben Klimaaktivisten bereits zu Demonstrationen dort aufgerufen.

Wüst verlangte erneut ein drittes Entlastungspaket vom Bund. „Als Land sind wir bereit, diese Entlastungen mitzutragen“, sagte er und verwies darauf, dass dem Land allein durch die geplante Absenkung der Mehrwertsteuer als Kompensation für die Gasumlage eine halbe Milliarde Euro entgehe. „Das darf man nicht vergessen.“

Der Ministerpräsident erklärte, künftig stärker die Familien in den Mittelpunkt der Landespolitik zu rücken. Grundlage dafür werde der Aktionsplan „Familienfreundlichkeit Nordrhein-Westfalen“ sein. Dieser beinhaltet beispielsweise den Ausbau des Betreuungsangebotes in Kitas und in der Kindertagespflege, eine Fachkräfteoffensive, die Fortführung des Alltagshelferprogramms an den Kitas sowie die Beitragsfreiheit im dritten Kita-Jahr vor der Einschulung. Der Schulfrieden solle gewahrt werden, 10.000 neue Lehrkräfte eingestellt und die Qualität des Ganztags gestärkt werden.

„Allen Abiturientinnen und Abiturienten des kommenden Jahres rufe ich zu: Der Lehrerberuf ist ein großartiger und ein besonders wertvoller Beruf. Wenn Sie an entscheidender Stelle an der Zukunft unseres 483 Landes arbeiten wollen: Werden Sie Lehrerin oder Lehrer in NRW!“

Eingestellt werden sollen auch mehr Kräfte bei der Polizei, die Rede ist von 3000 Stellen pro Jahr. Zudem versprach Wüst die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität. „Denn Null-Toleranz gilt in unserem Land auch bei Straftaten gegen unsere natürlichen Lebensgrundlagen.“ In Männer- und Frauenhäuser solle mehr Geld investiert werden und queere Menschen besser vor Diskriminierung geschützt werden.

Wüst versprach eine Fachkräfteoffensive, die Frauenerwerbstätigkeit durch bessere Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zu verstärken.

Der frühere Verkehrsminister versprach etwas vage, den Öffentlichen Personennahverkehr und den Schienenverkehr flächendeckend zur echten, preiswerten Alternative machen. Der Radverkehr solle gestärkt, die digitalisierte und vernetzte Mobilität vorangebracht, Straßen und Brücken saniert und Neu- und Ausbauprojekte weiter vorangetrieben werden.

Für die Landwirte hatte er ein „bürokratiearmes Sofortprogramm zur Unterstützung der bäuerlichen Familienbetriebe“ im Gepäck, für Waldbesitzer Fördermittel für klimastabile und widerstandsfähige Mischwälder.

Bei der Frage der Altschulden der Kommunen sagte Wüst zwar Unterstützung zu, sieht aber einmal mehr den Bund zuerst in der Pflicht: „Wir setzen auf das Wort von Bundeskanzler und Bundesfinanzminister, dass der Bund maßgeblich mitanpackt.“

Neben weiteren Einzelmaßnahmen, die weitestgehend aus dem Koalitionsvertrag bekannt sind, konzentrierte sich Wüst zum Schluss seiner Rede auf das Thema Einsamkeit. „Gelebter Zusammenhalt heißt für mich auch, miteinander und nicht nebeneinander zu leben.“ Er forderte die Menschen auf, stärker hinzuschauen, wie es der oder dem anderen gehe.

„Einsam kann sich jeder fühlen, unabhängig vom Alter, vom Einkommen und vom Geschlecht und sogar unabhängig davon, wie viele Menschen um einen herum sind.“ Beispielhaft nannte er Alleinerziehende, Verwitwete und Migranten, aber auch viele Kinder, Jugendliche und jüngere Menschen. Einsamkeit sei nicht gut für unsere Gesellschaft. „Wir dürfen uns als Gesellschaft mit der Unsichtbarkeit dieser Menschen nicht abfinden“, verlangte Wüst.

Die Politik werde auch in Zukunft Orte schaffen, an denen Menschen sich begegnen können, wie zum Beispiel die Dritten Orte, also Räume, an denen Menschen sich bei Kunst und Kultur im ländlichen Raum treffen könnten. Aber auch der Sport, das Ehrenamt oder die Heimatpflege.

„Lassen Sie uns gemeinsam genau hinschauen. Wie geht es der Kollegin, dem Nachbarn oder dem Bekannten, den man lange nicht gesprochen hat. Lassen Sie uns aufeinander achtgeben.“

Die eigentliche Replik auf die Erklärung ist für diesen Donnerstag angesetzt. Jede Fraktion hat dann 45 Minuten Zeit zu antworten. Dass der Opposition die Ausführungen des Ministerpräsidenten aber zu vage sind, wurde bereits im Nachgang deutlich. SPD-Fraktionsvize Alexander Vogt sagte bei einer aktuellen Stunde zur Gas-Umlage: „Dieser Sommerschlaf, den Sie seit zwei Monaten führen, ist offenbar auch noch für den Herbst und Winter geplant.“ Vogt warf Wüst vor, nicht zu wissen, „was draußen im Land los ist, was die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger sind.“ Er forderte erneut direkte Entlastungen des Landes für die Bürger und nicht nur den Verweis auf den Bund.

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